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In der Architekturproduktion hat der Faktor “Zeit” eine wesentlich pragmatische Bedeutung. Das Symposion im Haus der Architektur Graz über “Zeit als Wert und Bewertungsstruktur für Architektur” hat versucht, sich dem Thema über Fachleute aus den Bereichen Projektentwicklung, Grafik, Design, Landschaftsplanung, Pädagogik und Wirtschaft zu nähern... Von Manuela Hötzl.

Zeitbeschleuniger - Zeitverzögerer - Zeit als Planungsparameter

Hubert Matt: Künstler, Philosoph
Frank Albert: Investor
Patricia Zacek: Architektin, Architekturpublizistin
Alex Kellas: Designer
Olaf Geramanis: Wirtschaftspädagoge
Michael Mellauner: Landschafts- und Freiraumgestalter
János Kárász: Architekt, Sozialwissenschaftler


Das Zeitverständnis drückt sich immer auf subjektive Weise aus, die Vortragenden reflektierten den zeitlichen Aspekt in ihrem Produktionsablauf und ihrem Umfeld. Ihre Auseinandersetzung brachte wesentliche Impulse für die Architektur, gesehen als wirtschaftliches und kulturelles Glied in der Kette des Marktes.
Zeit und Architektur standen immer in einemengen Verhältnis zueinander. Doch war lange “Zeitlosigkeit” für die Bewertung von guter Architektur ausschlaggebend. Dauerhaftigkeit wurde mit kulturhistorischer Anerkennung gleichgesetzt. Qualität wird erst “mit der Zeit” erkannt bzw. bewertet.
Mit der Beschleunigung in allen Lebensbereichen hat sich auch die Lebenszeit von Architektur reduziert. Das Verfallsdatum ist schon in der Planung inbegriffen. “So wie sich das Fahrzeug im Zuge des ‘Fortschritts’ beständig beschleunigt hat, so hat sich auch die Lebensdauer eines Gebäudes beschleunigt, was sich in einem schnelleren Altern und einem dementsprechend rapiden Verfall manifestiert. Es gibt dafür ein viel sagendes Beispiel. Bisher brauchte man nur eine Baugenehmigung, um etwas zu bauen. Heute braucht man in den USA und bald sogar in Frankreich dazu noch eine Abrissgenehmigung.
Die vorübergehende Dauer eines Gebäudes ist von den Planern also schon von Anfang an einkalkuliert. Das Gebäude hat aufgehört, etwas Dauerhaftes, geschweige denn Ewiges zu sein wie früher. Es ist eine Art Moment geworden, ein dreidimensionales Bild, das bald wieder verschwinden wird, weil seine Lebensdauer auf eine Dauer von 50 oder 100 Jahren beschränkt ist.” (Paul Virilio im Gespräch mit Andreas Ruby. Andreas Ruby: Im Zeitraum des Trajekts. In: Der Architekt, Zeitschrift des Bundes Deutscher Architekten BDA, 3. März 1996, S. 171)
Wenn also Architektur nicht mehr von Dauer ist und auch nicht mehr so geplant wird oder werden kann, welchen Wert hat sie dann noch? Bedeutet Vergänglichkeit eine Wertminderung? Darf Architektur von vornherein vergänglich geplant sein?

Ein weiterer Aspekt für Architektur und Zeit ist der technische. Die Produktion und die Schnelligkeit der Produktion werden mit dem Werkzeug Computer, der industriellen Vorfertigung und der Standardisierung optimiert. Verliert sie deswegen den künstlerisch handwerklichen Anspruch oder öffnen sich dadurch ein größerer Markt und vielfältigere Einsatzgebiete?

Hubert Matt analysiert in seiner Einleitung zum Thema “Zeit als Wert- und Bewertungsstruktur für Architektur”, wie widersprüchlich das Phänomen “Zeit” gedeutet werden kann. In der wissenschaftlichen und philosophischen Definition steht Zeit in enger Beziehung zur Bewegung, die sich in weiterer Folge auf den Raum ausdehnt. Subjektivität der Wahrnehmung und mediale Darstellungen sowie Kommunikationsmittel sind als Faktoren immanent. Zeit ist die vierte Dimension des Raumes. Zeit ist Veränderung und Ereignis, Dauer und Wandel.

Frank Albert beschreibt den Faktor Zeit in der Projektabwicklung als “zweidimensionales Phänomen”. Architektur spielt für ihn im Produktionsablauf die geringste Rolle, Zeit verzögernd sind, aus mangelnder Entscheidungsfähigkeit, Behördenverfahren. Auch er bestätigt, dass weniger eine kürzere Planungszeit als die Reduzierung der Dauerhaftigkeit der Bauten und Immobilien von Bedeutung ist. Träge ist die Gesetzgebung, die, z.B. steuerlich, noch zu wenig auf die zeitgenössische Projektentwicklung reagiert:

“Grundsätzlich sind Projekte von Entwicklern mit einer langfristigen Betrachtungsspanne (größer als fünf Jahre) so aufgebaut und finanziert, dass eine entsprechende Verweildauer im Investment vorgesehen ist. Dies bedeutet, dass das finanzielle Konzept eine nachhaltige positive Cashflow-Situation des Projektes sicherstellen muss.”
“Dies hat zur Konsequenz, dass die Finanzierungsspanne ein ‘full payout’ ermöglichen muss. Gleichzeitig muss sichergestellt sein, dass die zu erwartende Nutzungsdauer der Immobilie zumindest gleich groß ist wie der Finanzierungszeitraum.”
“Die für Handelsimmobilien üblicherweise angesetzten Finanzierungszeiträume betragen 15 bis 18 Jahre. Eine – durchaus nicht unübliche – Verlängerung dieses Zeitraumes dient nicht der Liquiditätssicherung des Projektes, sondern ermöglicht dem Entwickler einen Cashflow-Zufluss vor dem Ausstieg aus dem Investment.”
“Wichtig ist der Verweis auf die Inkongruenz der Fristen zwischen Finanzierung und Abschreibungen. Für gewerblich genutzte Immobilien wird ein Zeitraum von 33 Jahren angesetzt, Wohnimmobilien bedürfen sogar der Abschreibung auf 67 Jahre. Diese Fristen gehen am Markt vorbei und dienen ausschließlich dem Staat zur Budgetsicherung. Realistisch ist, keinesfalls davon auszugehen, dass Immobilien eine derart lange Lebensdauer ohne massive Vornahme von Ersatzinvestitionen haben.”

Patricia Zacek sieht im Phänomen Zeit, überträgt man es auf die Architektur, “in erster Linie eine Schnelligkeit, die sich in den gedanklichen Vordergrund drängt.” Sie spricht den ökonomischen Vorteil im Gewinn von Zeit an. Effizienz und schnelles Arbeiten steht für sie in einem engen Zusammenhang mit der Synchronisation von Bildern, die z.B. für den Bauherrn produziert werden. Das verlangt “ein ständiges Aufrollen von Gedankenprozessen”, die zwar zu Zeitverlust, aber auch zu mehr Präzision führen können:
“Es stellt sich die Frage, ob Zeitverlust in der Architektur nicht genau gegenteilig, nämlich ein Gewinn ist, weil die gedanklichen Prozesse zu einer Schärfung und Verbesserung des Produkts führen.”
“Mit der Fertigstellung eines Bauvorhabens wird ein Denkprozess abgebrochen und neue Muster werden eingeleitet. Von der Herstellung zur Verwendung. Der Zeitfaktor ist nicht mehr direkt ökonomisch spürbar, sondern mit dem Phänomen der Brauchbarkeit, der Verwendung gekoppelt.”
“Architektur muss heutzutage zwischen Vordergrund und Hintergrund hin- und herpendeln und sich mit dem Zeitphänomen auseinander setzen wie dem Entstehungsdruck, der Originalität, der Außergewöhnlichkeit, der Neuheit, aber auch der Aussagekraft, der Möglichkeit, Inhalte zu transportieren.”

Alex Kellas und Olaf Geramanis sind jeder auf unterschiedliche Weise mit “Zeit” konfrontiert, versuchen aber dem wirtschaftlichen Maßstab “Zeit ist Geld” entgegenzuwirken.

Alex Kellas: “In meinem Beruf verliere ich täglich eine Menge Zeit, nicht weil ich besonders schlecht organisiert bin, sondern ganz einfach, weil die verlorene Zeit anderer Menschen sich auf meine Zeit addiert, und damit beginnt die Aufholjagd nach meiner verlorenen Zeit.”

Olaf Geramanis, der sich als Pädagoge hauptsächlich mit der Modernisierung von Berufs- und Arbeitsprozessen beschäftigt, sieht in der Zeit durchaus einen Wert, der sich allerdings in der Geschichte stark verändert hat: “Mit der Einführung der mechanischen Uhr und mit den geänderten Zeitvorstellungen und Handlungsmöglichkeiten entstand auch die Frage, woran man sich zeitlich orientieren sollte, wenn es nicht mehr Gott oder die Natur ist. Die neuen Maßstäbe lauteten: Geld und Maschinentakt. Die heute zum Gemeinplatz gewordene Parole ‘Zeit ist Geld’ (von Benjamin Franklin 1758 formuliert) drückt genau dies aus, dass Geld der neue Zeitgeber ist. Wobei unter kapitalistischen Produktionsbedingungen diese Formel natürlich immer lautete: ‘Zeit-Vorsprung ist Geld’. Zeit wird zum bewirtschafteten und knappen Gut. Wirtschaftliche Gewinne werden über Zeit-Gewinne realisiert. Dieses Denken setzt eine immense Beschleunigungsdynamik aller Arbeits- und Lebensverhältnisse in Gang: ‘Verzeitlicht’ – und das heißt in diesem Fall vertaktet – wurden immer mehr Bereiche des Lebens. Der ‘industrielle Geist’ eroberte die Zeit. Diese ‘beschleunigte Zeit’ koppelt menschliche Handlungen nicht nur in der Arbeit, sondern in vielfältigster Weise an Geld. Damit stellt sich aber das Problem des Maßes. Geld kennt, im Gegensatz zur Natur, kein ‘Genug’.

Wenn aber die Gleichung ’Zeit ist Geld’ gilt, dann gilt die Maßlosigkeit nicht nur fürs Geld, sondern auch für die Zeit. So kommt es, dass, völlig losgelöst von der Frage nach dem ‘Warum’ und nach dem Zweck, unisono in unserer Gesellschaft mehr Schnelligkeit, höhere Beschleunigung und steigende Zeitgewinne für fast alle Lebensbereiche gefordert werden. Erst seitdem man Zeit mit Geld verrechnet, kann man Zeit ‘gewinnen’, Zeit ‘verlieren’, man kann sie ‘sparen’, ‘stehlen’ oder auch ‘verschenken’. Auf jeden Fall setzt das Messen der Zeit
zwangsläufig eine Distanz, ‘ein Gegenüber’ zur Zeit voraus.”
“Je höher nun diese Welt beschleunigt wurde, umso größer wurde die Zeitnot. Und der Glaube, die Zeit durch immer präzisere Kalkulation und Zeit-Managementseminare schließlich doch noch beherrschen zu können, bedarf schon einer gehörigen Portion von Ignoranz. Das Steigerungsprinzip der Zeitnutzung, mit dessen Hilfe wir unseren Güterwohlstand entscheidend verbessern konnten,
wird zur ökologischen und sozialen Bedrohung.”

Alex Kellas zitiert den Zeitforscher Karlheinz A. Geißler: “Wenn man in einer bestimmten Zeiteinheit mehr erleben will, muss man auch mehr konsumieren – und das ist für die Wirtschaft wiederum attraktiv”, weiß Geißler, der auch die Folgen der Hetzjagd kennt: “Wir kaufen uns Güterwohlstand notwendigerweise mit Zeitnot. Hingegen können wir Zeitwohlstand nur haben, wenn wir auf einen Teil von Güterwohlstand oder Erlebniswohlstand verzichten.” Er beschreibt den Lifestyle auch als Verlust von Werten, Qualität und Identität.
“Mit dem Zeitverlust nehmen wir auch ganz selbstverständlich den Verlust von Qualitäten hin. In der japa- nischen Tradition gewinnen Dinge durch ihre Benutzung an Wert, sie laden sich sozusagen mit der Persönlichkeit der Benutzer auf. Im krassen Gegensatz dazu stehen die neuen Errungenschaften unserer Jetztzeit. Es ist uns möglich, per Mausklick, unseren gesamten persönlichen Lebensraum bei Ikea zu bestellen, inklusive fertig gerahmter, abstrakter Farbkomposition. Lieferung und Aufbau binnen eines Tages und sogar rund um die Uhr.”
“Angeheizt durch die Droge Lifestyle, die uns über ihre farbenfrohen Trendmagazine in immer neue Subkulturen und Szenen einteilt, mutieren wir zusehends zu Menschen mit multipler Identität. So gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Stilrichtungen wie ‘Neue Einfachheit’, ‘Autoren-Design’, ‘Retro-Design’ (New Beetle, wallpaper- Magazin), das kindliche ‘inFUNtile Design’ (Smart, Leuchten in Gummibärchenform), und vieles davon lebt friedlich nebeneinander unter einem Dach.

” Olaf Geramanis stellt die “Entstehungsgeschichte unseres heutigen Umgangs mit Zeit als dreiphasige Entwicklung von der Vormoderne über die Moderne bis zur Postmoderne dar”. “Zuerst fanden wir die Zeit in der Natur und am gestirnten Himmel über uns, dann in den Uhren und bei den Glocken, und heute entdecken wir sie in Zeitplansystemen.”
Das, was wir heute “Zeitbewusstsein” nennen, orientierte sich vorwiegend an den zyklischen Wiederholungen der Natur und der Gestirne. Man lebte in der Natur und mit der Natur. Man ging mit den Hühnern schlafen und stand beim ersten Hahnenschrei wieder auf. Die Teilung des Tages geschah insofern aufgaben-, nicht zeitorientiert. Diese Einheit von Arbeit und Leben kannte und brauchte keine abstrakten Maße.
“Hat in der Vormoderne jahrtausendelang die untergehende Sonne die Menschen völlig problemlos ins Bett gehen lassen, so brauchen sie heute – um ein
gutes Gewissen zu haben – für jegliche Tätigkeit ein ganz spezielles Motiv. Die postmoderne Angst lautet daher: ‘Auch wenn ich alles richtig gemacht habe, könnte ich das Wichtigste versäumt haben.’ Deshalb heißt der Kult der Postmoderne: ‘Alles zu jeder Zeit, überall und sofort’. Damit mutieren wir zu Simultanten. Wir machen alles simultan! Und wenn sich die Zeit schon nicht mehr beschleunigen lässt, so muss sie verdichtet werden. Verdichtung der Zeit durch Vergleichzeitigung ist das Programm, mit dem wir zwei Ziele zu erreichen versuchen: das weitere Wachstum von Wirtschaft und Wohlstand und die Ausweitung unserer mutmaßlichen Freiheitsspielräume. Gleichzeitig ist man heutzutage an- und abwesend, gleichzeitig ist man irgendwie via Handy in Gesellschaft und doch ganz allein. Wir sind zu hochmobilen Autisten der Gleichzeitigkeit geworden. ‘Polychronie’ heißt der Trend, der die Zukunft und die Möglichkeit zu einer sozialen Architektur abgelöst hat.”

Sowohl der “Produzent” Alex Kellas als auch der “Analytiker” Olaf Geramanis sehen eine Chance, der Beschleunigung zu entfliehen. Sie liegt für beide in einem bewussten Streben nach Qualität, jenseits der Zeit – mit der Entdeckung der Langsamkeit oder der Langeweile.

So meint Alex Kellas: “Was tun gegen den Terror der Zeit? Der Traum vom Aussteigen ist wohl ein Sprung vom Regen in die Traufe. Zumal die exotischen Fluchtorte auch schon in ihren materialistischen Qualitäten erkannt wurden und sich durch die systematische Ausbeutung seitens der westlichen Industriestaaten in gewaltige Armenhäuser verwandelt haben. Da bleibt nur noch die Suche nach der Qualität in der Zeit. Das verhält sich wie Gehen zu Fahren oder Fliegen. Beim Gehen eignet man sich Raum und Zeit an, beim Fahren oder Fliegen ist es eher ein Überwinden dieser. Zwischen unseren dicht verplanten Zeiteinheiten verbergen sich bei genauer Betrachtung wunderbare Momente des Genusses und der Befriedigung. Momente der Langeweile laden ein zum Entdecken von Hintergründigem, oft Unscheinbarem. Ohne den Blick auf das Detail lässt sich das Wesen des Ganzen kaum abschätzen, geschweige denn erkennen. Alles braucht seine Zeit, um sich entfalten zu können. Zeit, auf etwas zu warten, das man nicht erwartet. Zufälle, Begegnungen und Fehler, die zu neuen Lösungen führen können.”

Olaf Geramanis analysiert wie folgt: “Vielleicht sind die Chancen der Zeit auf der ‘anderen Seite’ einer ausschließlichen Quantifizierung von Zeit zu suchen. Vielleicht besitzt die Zeit auch eine Chance zur qualitativen Er-Füllung? Und um es ganz märchenhaft enden zu lassen, möchte ich mit dem Hinweis auf den Wolf, die Uhr und das siebte Geißlein schließen:
Was ist die Lehre, die uns das beliebte Märchen vom Wolf und den sieben Geißlein vermitteln will? Sicherlich gibt es nicht nur eine, aber für jemanden, der sich für die Kultur unseres Umgangs mit der Zeit interessiert, gibt es eine nahe liegende. Das siebte, das kleinste
Geißlein entgeht dem gefräßigen Wolf, wie bekannt, durch die Flucht in einen Uhrenkasten. Vordergründig mag man folgern, dass es die Uhr ist, die der kleinen Ziege das Leben rettet. Tiefgründiger jedoch ist die Botschaft, dass es jene Orte sind, von denen man die Uhrzeit gar nicht sehen kann. Diese Orte machen überlebensfähig. Die Uhr bietet Schutz und Geborgenheit, aber nur jenseits des Ziffernblattes. Dort, wo sie die Zeit nicht anzeigt, dort ist man sicher. Dass uns die Uhr rettet, das glauben wir ja bereits seit 500 Jahren – aber bisher haben wir die Rettung nie dort gesucht, wo sie eigentlich zu finden wäre, – auf ihrer zeitlosen Seite.”

Michael Mellauner und János Kárász sind als Landschafts- und Freiraumplaner auf andere Weise vom Faktor Zeit abhängig. Michael Mellauner besetzt “temporäre Freiräume” in der Stadt, die den “Beschleunigungstendenzen nichts entgegenzusetzen haben. Vielmehr müssen in einer meist knappen Zeitspanne Pausen/Verzögerungen in der Architekturmaschine ausgenutzt werden.”
“Temporäre Freiraumnutzungen, hier genauer Zwischennutzungen, bergen aus freiraumplanerischer Sicht jedoch reale Chancen für die NutzerInnen der Stadt. LandschaftsplanerInnen bzw. LandschaftsarchitektInnen, deren Alltag die Auseinandersetzung mit Freiraum und Stadt ist, nutzen den Raum zwischen ‘Unbebaut’ und ‘Bebaut’, zwischen einer Nutzung und der nächsten als Gelegenheit, quantitative wie qualitative Mängel im Freiraumangebot zu reduzieren. In Kooperation mit verschiedenen AkteurInnen der Stadt werden Konzepte zur Realisierung temporärer Freiräume entwickelt. Es entstehen nutzbare Freiräume, wo eigentlich keine sind, und sie verschwinden ebenso wieder. Sie nutzen den Raum, der sich auftut, machen aber auch wieder Platz für Neues, meist für Architektur.
So werden LandschaftsplanerInnen bzw. alle, denen temporäre Freiraumnutzung und im speziellen Fall Zwischennutzung von Brachen, Baulücken und Bauerwartungsland ein Anliegen ist, von denjenigen, die bauen, vor sich hergetrieben. Keine Zeit zur Muße. Erfahrungsgemäß müssen rasche Entscheidungen getroffen werden. Potentielle PartnerInnen sind aufzuspüren. Rechtliche und oft schwierige Fragen der Finanzierung sind zu klären.
Vor dem Einsetzen der großen Baumaschinen, also in der Zeit zwischen dem Abbruch eines Gebäudes und einem Neubau oder generell vor einer Verbauung, tun sich also Chancen für die Verbesserung der Freiraumausstattung einer Stadt auf. Stillstand wird hier also nicht als Krise interpretiert, sondern als Chance und bedeutet auch nicht Stillstand planerischer Kreativität. Die Kreativität wird in die Pause hineingezogen.”
“Temporäre Freiraumnutzung ‘besetzt’ kurzfristig also städtisches Territorium, um es bei konkretem Bedarf der EigentümerInnen wieder ‘frei’ zu geben. Sie lebt von der sich verändernden Gestalt der Stadt, zwischen dem Vergehen des Gebauten und dem Aufbau neuer Architekturen. Wird dies zum System, beginnen temporäre Freiräume in der Stadt zu vagabundieren, zu nomadisieren.
Zeit als traditioneller Faktor in der Landschaftsarchitektur wird bei der Betrachtung temporärer Freiräume noch bedeutungsvoller. Zwischennutzung und Mehrfachnutzung sind hier Strategien zur quantitativen wie qualitativen Verbesserung des Freiraumangebotes in der Stadt, aber auch in ländlichen Regionen. So wird durch zeitliches Einnischen zwischen der eigentlichen Bestimmung einer Bauparzelle bzw. durch Nutzung von bisher nicht öffentlich zugänglichen Freiräumen (etwa an Schulen) eine neue Verdichtungsebene sehr urbaner Dimension eingeführt, die städtisches Leben ermöglicht und fördert.”

János Kárász muss mit der Langsamkeit planen. “Wenn Gärten, Landschaften wachsen, altern – verändern sie ihre Form, Proportion und Dimension. Sie haben keine Halbwertszeit, sie haben eine sehr relative Lebenszeit, die immer wieder neu entwickelt, entfaltet werden kann: Landschaftsarchitektur entsteht aus Zeit, ist gebaute Zeit.”
“Zeit kann ein wesentliches Element bei der Strukturierung von Freiräumen bilden: zum einen im Hinblick auf jahreszeitliche Aspekte, zum anderen, indem die innere Gliederung und Gestaltung von Landschaften dem Phänomen der unterschiedlichen Geschwindigkeiten (des Gebrauchs) ihrer Teilräume Rechnung trägt. Ein solcher konzeptioneller Zugang ermöglicht Wertsetzungen in einem Freiraumensemble, das über übliche funktionale Betrachtungen hinausführt.”
“Die mediale Existenz von Architektur ist ein inhärenter Bestandteil von deren Produktion und Entwicklung geworden. Die Potentiale der Rechenmaschine generieren ein Neuland in der Raumgestaltung, wo das Verhältnis zwischen Realität und Simulation sich radikal verändert. Die Landschaftsarchitektur kann diesem Prozess, dieser Entwicklung nur sehr bedingt folgen. Wo sie Zeit als Material verwendet bzw. ungeplant beinhaltet, oder wenn sie Zeit als Gliederungsprinzip zugrunde legt, eignet sie sich sehr ungenügend zur Simulation: sei es der kumulativen, sei es der zyklischen Lebenszeit, sei es des Zeitmaßes der Benutzer, das genuin mit einer synästhetischen Erfahrung der Realität verbunden ist. Im Wettbewerb der Bilder gerät die Landschaftsdarstellung somit oft zur beliebigen Momentaufnahme.”
“Gefragt in der Landschaftsarchitektur ist die Entwicklung einer Art ‘poetischen Praxis’: mehr Möglichkeitssinn für das Unvorhergesehene, Unpräzise, ein Sich-Einlassen auf ein Spielen mit der Zeit.”



erschienen im HDAX_02/2003,S.98ff, Text: deutsch und englisch, 136 Seiten, 59 Abbildungen, Format: 21 x 27 cm., 19,90.-Euro, Verlag: Haus der Architektur Graz, ISBN 3-901174-50-8