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Von Jan Tabor.

Verherrlichung von Rolltüren: Zum Beispiel die Falte

Architektur: Pichler & Traupmann

Architektur verewigt und verherrlicht etwas. Darum kann es Architektur nicht geben, wo nichts zu verherrlichen ist.
(Ludwig Wittgenstein, 1920er Jahre)

Kein Zitat mochte erst so richtig passen, keines, das der Industriehalle von Pichler & Traupmann in Güssing (1992–2002) gerecht geworden wäre. Ich wollte mit einem monumentalen Satz von einem allseits geschätzten Baudenker dieses vorzügliche Bauwerk adeln, das in der Provinz errichtet wurde und unscheinbar wirkt. In einer Provinz, in der vor kurzem noch kaum zeitgenössische Architektur anzutreffen war und die nun im Begriff ist, Musterregion einer neuen Baukultur zu werden: im österreichischen Bundesland Burgenland. Burgenland, architektonisch ein neues Vorarlberg – das wäre schön, das ist denkbar, das zeichnet sich ab.

Ein technisches Bauwerk wollte ich mit dem Ausspruch loben, das versteckt in einer der üblichen, anonymen, rasch auf einer grünen Wiese entstandenen Vorstadt-Industriezonen liegt und das eine bemerkenswerte architektonische Leistung in einer Sparte darstellt, die in Österreich nur wenige – sehr wenige – Spitzenwerke vorweisen und auf keine andere Tradition zurückblicken kann – außer auf die der Ignoranz in der Architekturrezeption. Dass sich die Industriearchitektur bei den österreichischen Architekturkritikern keiner Zuneigung erfreut, lässt sich auf viele Ursachen zurückführen. Ich nenne zwei: die feudale – also aristokratischbauerhafte – Abneigung in Österreich gegen Industrie, Technik und Technologie seit der Zeit der industriellen Revolution und den dort weiterhin wirksamen Einfluss des diese Abneigung teilenden Urvaters der österreichischen Moderne Otto Wagner – trotz seiner legendären Vorliebe für allerneueste Errungenschaften der Bautechnologie und Baustoffindustrie und trotz seiner Pionierleistung der Verwendung von Aluminium. 1911, also mehr als ein Jahrzehnt, nachdem er einige technische Bauwerke wie die Stadtbahnbrücken oder die Donaukanalschleuse in Wien-Nussdorf fulminant und mustergültig in die allerhöchste Baukunst eingepackt hatte, rief er nämlich auf, „den die Schönheit vernichtenden Einfluss des Ingenieurs für immer zu brechen“.

Architektur als Fall

Rund ein Jahrhundert später – und die Industriearchitektur im Speziellen und die technologisch- konstruktive Ästhetik im Allgemeinen sind keine Nebensächlichkeiten in der österreichischen Baukultur der Gegenwart mehr. Allein in der bereits erwähnten Industriezone an der Wienerstraße nächst Güssing errichtete das Büro Pichler & Traupmann zwei Industriebauten: 1997 die Glaserei Ebner und in drei Ausbaustufen zwischen 1992 und 2002 die Produktionsanlage Guttmann Torsysteme (um die es hier geht), die als bemerkenswerte Beispiele des zeitgenössischen europäischen Bauens gelten können: Otto Kapfinger nahm sie in seinen vorzüglichen, 2004 erschienenen Architekturführer Neue Architektur in Burgenland und Westungarn auf.

Verglichen mit der Zeit um 1990, der fröhlichen Endungszeit der Noch-immer-und-schonnicht- mehr-Postmoderne, steht es besser um die Industriearchitektur in Österreich, viel besser. Damals, 1991, haben Regina Haslinger und ich an dem Buch „Architektur und Industrie 1950–1990“ gearbeitet und uns dabei fürchterlich angestrengt, wenigstens ein paar vorzeigbare Industriebauten zu finden. Würden wir heute ein Buch zu diesem Thema produzieren, hätten wir allein von Pichler & Traupmann mindestens eine Hand voll vorzeigbare Baubeispiele zu bieten. Und dies gar aus der einstigen „archaischen Provinz“ Burgenland.

Das Büro Pichler & Traupmann befindet sich in der Kundmanngasse Nr. 39 in Wien, in der sich nur wenige Schritte entfernt, auf Hausnummer 19, das so genannte Wittgensteinhaus befindet. Es ist ein höchst bemerkenswertes Bauwerk, „ein Unikat von besonderem Rang“, wie Friedrich Achleitner schrieb, ein Wohnhaus, das der Philosoph Ludwig Wittgenstein für seine Schwester Margarete Stonborough mit seinen Freunden, dem Architekten Paul Engelmann und dem Bauingenieur Jacques Groag, 1928 gemeinsam entworfen und errichtet hat.

Erstaunlich, wie unzeitgemäß, unscharf und eingeschränkt der Wiener Sprachpräzisionsdenker Wittgenstein über den Zweck und Sinn der Architektur nachgedacht hat. Gänzlich in den Denkdimensionen des 19. Jahrhunderts, die sich um die Begriffe Verherrlichung und Verewigung drehen. Ich meine, alles kann verherrlicht werden, durch Architektur oder ohne Architektur. Ganz im Sinne von Wittgensteins berühmtestem Zitat: „Die Architektur ist alles, was der Fall ist.“

Der antibürgerlich denkende, handelnde und lebende Philosoph wollte offensichtlich das Großbürgerliche am neuen Domizil seiner noblen Schwester nicht bloß nicht verherrlichen, er wollte das Großbürgerliche durch seine Architektur eliminieren, gar entherrlichen. Manifestartig. Daher zeichnet sich die Villa sowohl nach außen als auch nach innen durch überbetonte Zweckmäßigkeit aus. Sie ist eine Art Behälter, dessen Inhalt beliebig ausgetauscht werden kann. Das aber ist, wie alles, was die rätselhafte Gestalt des Hauses Wittgenstein betrifft, eine Spekulation.

Diese Beliebigkeit des unmittelbaren Inhaltlichen ist ein wesentliches Charakteristikum der Industriearchitektur. Das unmittelbar Inhaltliche kann als das verstanden werden, was es zu verherrlichen oder zu verewigen gilt. Die Verherrlichung oder Verewigung erfolgt durch ein mit dem unmittelbar Inhaltlichen abgestimmtes Bauen, das im Sinn der Wittgenstein’schen Definition dadurch, und nur dadurch, zur Architektur werden kann. Wo nichts zu verherrlichen ist, dort kann keine Architektur entstehen, meint Wittgenstein. Was Verherrlichungswertes aber müsste ein Industriebau enthalten, damit mit und in ihm Architektur im Sinn von Wittgenstein entsteht? Welche Art der Produktion, welche Art der Produkte, welche Arbeitsbedingungen usw. muss es geben?

Daher muss gelten, was Hans Hollein um 1960 postuliert hat: „Alles ist Architektur.“ Demnach kann sogar Architektur, egal welche, auch Industriearchitektur, Architektur sein. Auch kann alles, sofern man das Bedürfnis dazu hat, durch Architektur verherrlicht werden. Und es wird alles, was es gibt, durch Architektur verherrlicht. Durch gute Architektur auch dann, wenn man es gar nicht zu verherrlichen gedenkt. Zum Beispiel Arbeit, Produktionsstätten oder Produkte. Pichler & Traupmann haben die Fabrikation von Rolltüren verherr licht. Gut möglich, dass sie ein Denkmal gebaut haben.

Manche Fabriken sind zu Ikonen der modernen Architektur geworden, zum Beispiel die Hochspannungsfabrik der AEG von Peter Behrens (1910) oder die Faguswerke von Walter Gropius (1910) oder die Tabakfabrik in Linz von Peter Behrens (1935). Viele Fabriken, vor allem die aus der Gründerzeit, also aus jener Zeit, in der es galt, Industriebauten das Aussehen von Schlössern oder die Würde von Tempeln zu verleihen, wurden zu so genannten Industriedenkmälern erklärt und unter Denkmalschutz gestellt. Dadurch wird auch etwas verewigt und so der Ausspruch von Wittgenstein bestätigt – allerdings post priori, nicht a priori.


Architektur als Falte

Man kann auch ein spezifisches architektonisches Thema verherrlichen, das vorher ein weit verbreitetes, aber kaum beachtetes, sowohl natürliches als auch kulturelles Phänomen war und ist. Zum Beispiel die Falte. Zum Beispiel im Barock. Zum Beispiel seit den 1990er Jahren, nachdem Gilles Deleuze seinen einflussreichen philosophischen Essay über das Barocke und die Falte veröffentlicht hatte.

Die Falte – oder besser gesagt: die gefaltete Fläche – ist ein Thema, mit dem sich Pichler & Traupmann sowohl formal als auch konstruktiv besonders intensiv beschäftigen. So gut wie jedes Bauwerk von ihnen baut auf Falte. So auch im Entwurf der Produktionshalle Guttmann in Güssing. Vereinfacht dargelegt geht es dabei um die Kontinuität des Raumes durch die Kontinuität der den Raum herstellenden und definierten Fläche sowie durch die Aufhebung des Gegensatzes zwischen Wand, Decke und Dach.

Im Fall der Produktionsanlage Guttmann Torsysteme, so die offizielle Bezeichnung der 2002 errichteten Fabrikhalle, handelt es sich um die Faltung des Daches in Licht spendende Sheds. Am Äußeren der Halle erscheint die Falte, das gefaltete Dach, als eine Abfolge von miteinander nicht verbundenen, jeweils dreimal gebrochenen Flächen, die sie wie riesige Klappen aufgeben, als würde sie aus der Horizontale in die Vertikale (oder umgekehrt) übergehen. Besonders deutlich ist dieses gestalterische Prinzip der (erstarrten) Bewegung zum Gefalteten als Übergang von der Wand zum Dach an dem ersten Segment zu sehen.

Dieser Teil, der den Anfang des Gebäudes darstellt, besteht aus einem Paneel, das dreimal so gefaltet ist, als wäre das Dach zur Wand oder die Wand zum Dach geknickt. Die vertikale Fläche bildet die westwärts orientierte Hauptwand der Halle, die dann in die flache Schräge des Pultdaches übergeht und nach unten wie hinuntergehängt wirkt, weil hier ein hoher Spalt als Bandfenster ausgebildet ist. Der ganze Teil sieht wie aufgehoben aus.

Noch etwas ist an der Produktionsanlage Guttmann in Güssing interessant. Die Fabrik ist in drei Phasen zwischen 1990 und 2002 entstanden. Den Anfang, die erste Phase, bildet der Bürotrakt mit zwei Produktionshallen. Es war der erste große Bauauftrag für das Büro Pichler & Traupmann, der Entwurfsbeginn fiel mit der Bürogründung zusammen. Man kann die Betriebsanlage abschreiten und sehen, wie sich talentierte Jung- zu virtuosen Profi-Architekten in nur drei Schritten entwickelt haben. Mann kann hier dem Werden des Fortschritts zuschauen. Und an das Dilemma denken, in dem man steckt.



Jan Tabor (geb. 1944 in Podebrady/CZ) studierte an der TU Wien und ist heute als Architekturtheoretiker, Kulturpublizist (Kurier, Falter) und Ausstellungsmacher tätig. Er lehrt an verschiedenen Hochschulen (Universität für angewandte Kunst, Institut für Entwerfen, Zaha M. Hadid, Akademie der bildenden und angewandten Künste, Bratislava, und Architektur Fakultät, Brünn) und war Kurator bei diversen Ausstellungen wie Den Fuß in der Tür: Manifeste des Wohnens (2000) und mega: manifeste der anmaßung (2002), beide im Künstlerhaus, Wien. 1994 gab er den Katalog zur Ausstellung "Kunst und Diktatur / Architektur, Bildhauerei, Malerei in Österreich, Deutschland, Italien und Sowjetunion 1922–1956" heraus. Weitere Publikationen: "Otto Wagner. Die Österreichische Postsparkasse" / The Austrian Postal Savings Bank, Falter Verlag; "Architektur und Industrie. Betriebs- und Bürobauten in Österreich 1950–1991", Brandstätter Verlag.

Text erschienen in:
Einfach! Architektur aus Österreich. Just! Architecture from Austria

ISBN 3-901174-61-3
978-3-901174-61-2
Verlag Haus der Architektur Graz
2006/148 Seiten/pages
Verkaufspreis/price: € 28,9
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