Aktuell *Ost Über Uns Archiv Impressum English




Von Ute Woltron.

Unit Birkensee

Architektur: Eichinger oder Knechtl

Der Nachbar ist der Hecht

Die Wiener Architekten Gregor Eichinger und Christian Knechtl waren immer schon Avantgarde.

Die beste Architektur entsteht, wenn Bauherren, Planer und Ausführende die Gunst des Zusammenarbeitens erkannt haben und jeder seinen spezifischen Teil zum späteren Ganzen beiträgt. Kollegial, versteht sich, und in fruchtbarem Diskurs. In Zeiten der omnipotenten Geldgeber, die den Planungs- und Bauprozess meist empfindlich abzukürzen trachten, stellen solche Kooperationen mittlerweile eher die Ausnahme dar, was sich in mediokren bis schlechten Häusern manifestiert. Umso reizvoller also, wenn man mitbeobachten darf, dass es auch anders geht.

Die Wiener Architekten Gregor Eichinger und Christian Knechtl waren immer schon Avantgarde. Nicht nur, weil sie das ganzheitliche Bauen – zumal die den Hüllen maßgeschneidert angepassten Innenausstattungen – zu einer neuen, eleganten Form gebracht haben, sondern auch weil sie stets die Zusammenarbeit mit Künstlern, Designern und Konstrukteuren internationalen Formats gepflegt und so ein recht ansehnliches Netzwerk der Kreativität rund um den Globus gespannt haben. „Eichinger oder Knechtl“ waren dabei bis dato betont urbane Planer, doch mit dem Unit Birkensee sind sie nun einen weiten Weg in die österreichische Provinz gegangen. Sie haben dabei einen flotten rural-urbanen Pas de deux hingelegt und einen aufregenden kleinen Akkord in ein Thema gebracht, in dem bis dato von Qualitätsarchitektur bedauerlicherweise kaum etwas zu sehen war: Die fortschreitende Bebauung von künstlich angelegten Teichen, wie es sie im Osten Österreichs zuhauf gibt und an deren Rändern in den vergangenen Jahrzehnten klammheimlich Wochenend- und Wohnhäuser sonder Zahl aus dem Boden schossen.

Die Atmosphären an diesen Baggerteichen sind vielfältig und gewissen Lebenszyklen unterworfen. Das grüne Grundwasser jüngst gegrabener Schotterteiche etwa erfrischt für wenige Sommer das schlapfen- und handtuchbewehrte Badevolk, das hier unter niedrigem Buschwerk manch gloriosen Sonnentag verbringen darf, bevor die Teiche weiter abgebaggert und für Besuche aller Art geschlossen werden. Die Arealerund um mittelalte Ziegelteiche sind bereits mit höherer Vegetation bewachsen, und auch schon mit Kleinhäuslein, dicht an dicht. Hier gibt es keinen Zutritt für Unbefugte. Aber schauen darf man als Zugereister wenigstens noch, und man sieht hier Fertigteil an Fertigteil und wundert sich über die Diskrepanz zwischen der Un-Qualität des Gebauten und der Kostbarkeit der Lagen – denn wer will nicht am Rand des Wassers leben im Binnenland Österreich?

Die Senioren unter diesen Teichen – gewissermaßen die mittlerweile jahrzehntealte Baggeraristokratie – dürfen von Außenstehenden nur noch aus der Ferne als Grünoasen im weiten, flachen Ackerland geahnt werden. Die Bäume wachsen dort schon in ehrwürdige Höhen, die Seegrundstücke dazwischen sind bereits so gut wie unerschwinglich geworden, die stillen Stichstraßen zu den Kleinvillen im Stile des Bürgerrokoko sind Geheimpfade.

Die Künstler Anna Heindl und Manfred Wakolbinger waren, wie Eichinger oder Knechtl, auch immer schon gut im Aufspüren des Unerwarteten, sowohl in der Kunst als auch in der Natur – und wer, wenn nicht sie, hätte das letzte noch freie Stückchen Land an einem dieser still gewordenen Teichveteranen im Süden Niederösterreichs aufspüren und mit Außergewöhnlichem besiedeln können. Dass das Grundstück zum Verkauf stand, war ein Glücksfall; dass Heindl und Wakolbinger zur rechten Zeit am rechten Ort waren, gehörte dazu; dass die Architekten Eichinger oder Knechtl als Planer vor Ort gerufen wurden, ebenso.

Das Haus, das sodann entstand, ist ein Maßgewand der Architektur für zwei Künstler, die einander symbiotisch ergänzen und die, wohin auf dieser schönen Welt sie auch reisen, das Schöne und Außergewöhnliche einfangen: in ihrer Kunst, in ihrer Weltläufigkeit, in den mitgebrachten Accessoires ihrer Reisen.

Sie bauten sich ein Haus, das außen Bollwerk ist, und innen so weit wie die ganze Welt. Sie überließen den Architekten ihre eigene Reise durch die Räume und Konstruktionen, gewissermaßen auch durch die Interpretationen ihrer, der Bauherrschaft, selbst, um zugleich das feine Gespinst des Privaten, Persönlichen direkt in die Architektur einzuweben.

Aus Afrika mitgebrachte, prächtige Stoffe etwa wurden zu feinen Wandbespannungen, ein großformatiges Wandbild von Franz Graf zur raumtrennenden Schiebetüre, eine Arbeit in Glas von Eva Schlegel zum Vexierbild, das den Eingang markiert. Die tragende Architektur besteht aus einer vertikalen, auf Scheiben gelagerten Stahlbetonröhre, die das gesamte Obergeschoss bildet, rundum auskragt und an den Enden voll
verglast ist. Hier wird gewohnt, getafelt, gekocht. Hier kragt ein Betonkubus als Kamin aus – die Sichtscharte verglast in Anlehnung an den berühmten Kamin der Villa Malaparte, sodass das Wasser des Sees durch die Flammen durchblinken kann. Im Untergeschoss sind die dienenden Räume untergebracht – das Bad, das WC, die hinter und in schönen Holzarbeiten versteckten Garderobe- und Stauräume, die Garage.

Auffällig gut gemachte Handwerksarbeit, wohin man schaut, gespickt mit künstlerischen Interventionen: Eichinger oder Knechtl sind materialbegabte Architekten, und das wird in jedem Quadratzentimeter spürbar. Dunkel gebackenes Buchenholz kontrastiert elegant mit Rauleder, der nackte Beton wird über kunststoffgegossenen Böden zu einer freundlich samtigen Wohnhöhle, rein gläserne, geklebte Vitrinen bieten die rechten Durchblicke in das Ambiente, gekonnt angebrachte Spiegel holen das Grün der Umgebung sogar bis in das WC.

Eichinger oder Knechtl sind die Meister der raffinierten Doppelfunktion, ihre Einbauten sind stets mehr als nur Schränke oder Raumtrenner, sie sind immer mit mehreren Aufgaben bedacht, was den Pfad durch das Haus zu einem spannenden Weg werden lässt. Die Türen des Badezimmers werden zu Schrankelementen, die Glasregale zu Fenstern oder zum Stiegengeländer, das gleichzeitig Vitrine für Wakolbingers Kupferskulpturen ist, die Aufzugskabine dient auch als WC-Vorraum, ein begehbares Podest als Stauraum, in dem eine Bibliothek auf rollenden Regalelementen untergebracht ist.

Das Haus liegt zwischen den Birkenbäumen am Seeufer gut verborgen, es bleibt freilich ein Solitär zwischen den nachbarschaftlich angesiedelten privaten Bollwerken bürgertümlicher Kleinhäuslerei, die in Balustradenpink oder Hirschgeweihrustikal versunken sind. Die geschickte Anordnung der Licht- und Fensterbänder des vergleichsweise UFO-artig futuristischen Neuankömmlings wehrt etwaige Einblicke aus den kleinteiligen Sprossenfenstern und aus den Gärtchen hinter den löwenkopfverzierten Toreinfahrten ab. Die Ausblicke wurden von den Architekten so überlegt in den Stahlbeton geschnitten, dass lediglich der ferne Horizont oder der See selbst wie in Bildausschnitten sicht- und spürbar bleibt.

Lediglich die dem See zugewandte untere Front des Hauses ist voll verglast. Dahinter: das Badezimmer. Ausgerechnet. Für Privatheit wurde jedoch auch hier Vorsorge getroffen: Eine raumhohe textile Wand lässt sich semitransparent und flächendeckend vor die Fenster schieben, der Stoff schillert in Grün und Pink und trägt unverkennbar die Handschrift Peter Koglers – eines weiteren Kunst-Weggefährten der Birkensee-Bewohner.

Wenn Anna Heindl und Manfred Wakolbinger die eigene Welt dann doch gelegentlich zu eng wird, wenn sie zu lange am selben Ort verharrt sind, dann tauchen sie ab in die grünlichen Tiefen des Sees, um dort eine andere Nachbarschaft aufzuspüren. Die Hechte und die Karpfen, die Seegewächse und die Lichtspiele einer wieder anderen Welt.





Ute Woltron (geb. 1966), studierte Architektur an der TU Wien (Dipl. Ing.). Seit 1988 ist sie als Redakteurin für das Wirtschaftsmagazin Trend, das Nachrichtenmagazin Profil und die Tageszeitung Der Standard tätig. Seit 1999 ist sie Mitarbeiterin des ORF, Treffpunkt Kultur, seit 2002 Mitarbeiterin von Radio Ö1, Diagonal. Seit 2001 hat sie einen Lehrauftrag an der TU Wien, Institut für Gebäudelehre, für Architektur und Publizistik sowie Vergabe- und Wettbewerbswesen. Von 2003 bis 2004 leitete sie die Kommunikation der BIG (Bundesimmobiliengesellschaft). Sie publizierte in internationalen Medien wie unter anderem taz, Weltwoche, Elle, Baumeister. Ihr Essayband "Gartenfieber" erschien 2003. Lebt als Autorin und Journalistin in Ternitz, Niederösterreich.

Text erschienen in:
Einfach! Architektur aus Österreich. Just! Architecture from Austria

ISBN 3-901174-61-3
978-3-901174-61-2
Verlag Haus der Architektur Graz
2006/148 Seiten/pages
Verkaufspreis/price: € 28,9

> Mehr zu "Einfach! Architektur aus Österreich" > Link:Haus der Architektur Graz- > Link:FSB Greifen und Griffe- > Link: Eichinger oder Knechtl- > Link: Nextroom / Anna Walkobinger-Heindl- > Link: Manfred Walkobinger-