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„Erinnere Dich an den Eindruck guter Architektur, dass sie einen Gedanken ausdrückt. Man möchte auch ihr mit einer Geste folgen." (Ludwig Wittgenstein)1 Von Manuela Hötzl.

Sieben Gesten an Ort und Stellung

In seinen „Vermischten Schriften“ behauptet Ludwig Wittgenstein knapp „Architektur ist eine Geste“ – und weiter: „...man möchte auch ihr mit einer Geste folgen.“ Diese gegenseitige Reaktion, Geste auf Geste, drückt vielerlei aus, was für ein Verständnis von Architektur von Bedeutung ist. Denn Gesten sind im allgemeinen etwas sehr persönliches, ein ergänzendes optisches Ausdrucksmittel, dass das Gesagte nicht nur unterstreicht, sondern manchmal sogar besser auszudrücken vermag. Gesten sind abhängig von dem der sie ausführt und seinem Gegenüber, der sie verstehen soll. Also vermitteln Gesten viel von dem Menschen, der sie macht, von seinem kulturellen Hintergrund, seinem Charakter, dem Willen verstanden zu werden, Authentizität und Lebensgefühl, all das erleichtert dem Anderen das Verständnis. Was anderes ist Architektur? Im besten Fall spricht Architektur den Laien mit allen sechs Sinnen an und vermittelt ihm Architektur, so wie sie sichtbar wird, als kulturelles Bild, das sinnlich, ästhetisch und brauchbar ist. Der Kunsthistoriker Felix Gmür interpretiert Ludwig Wittgenstein dahingehend: „Sofern Architektur einen Gedanken ausdrückt, will dieser auch verstanden werden.“2 Und weiter „Wichtiger als die Gesten einer die Kunst rezipierenden Person ist für uns indessen die Geste der Architektin oder Architekten selbst. Ihre Architektur drückt, sofern sie gut ist, einen Gedanken aus.“3 Doch steckt hinter diesem einen Gedanken, das komplexe System der Architektur und das vielfältige Agitationsfeld des Architekten – der bauen will, Lösungen sucht, entwirft, künstlerisch, öffentlich, politisch und wirtschaftlich operieren muss. Das Leben eines Architekten setzt sich aus vielen Aspekten zusammen und selten kann man den Zusammenhang wirklich darstellen, will man nicht sofort von Problemen sprechen, vor die ein Architekt seine ganze Laufbahn lang gestellt wird. Bleiben wir also bei dem Bild der Gesten, die keine Lösungen anbieten oder Antworten geben, die aber vielleicht zusammen das Verständnis der Architektur und des Architekten Herwig Illmaier zu fördern in der Lage sind. Seine Hauptrolle ist in dieser Betrachtung festgelegt, seine Zeit war begrenzt, doch zeigt seine Studentenzeit und sein Architektendasein weit mehr als sein persönliches Drehbuch. Zeigen, nicht sagen. Eine Annäherung in sieben Gesten.

1. Die zeitliche Geste:

Mehrere Dinge sind mir bei der Durchsicht der Dokumente, Pläne, Mappen und Zeichnungen von Herwig Illmaier aufgefallen: Eine moderne Grundhaltung ohne fassbare formale Ausdruckweise; eine verspielte Entwurfsmethodik, die scheinbar zusammenhanglos auf den jeweiligen Ort und den Anspruch eingeht (mit einer Bandbreite von technoidem Charme, pragmatischer Hülle und einzelner Ideen); eine engagierte Haltung, die auf die Rolle des Architekten nur am Rande reagiert, sondern sich eher mit vielen, vereinzelten Problematiken, wie Wettbewerben beschäftigte oder als Vorstand des Hauses der Architektur als Kommunikator agierte; eine Architektur auf dem Papier, die Zeichnung an sich, deren besondere Ausdrucksweise an eine vergangene Zeit erinnert, in der die individuelle, wie allgemeine Bedeutung eines künstlerischen Handelns manifestiert wird; und zum Schluss die Person Herwig Illmaier, die in allen Aspekten auftaucht und letztlich den Zusammenhang herstellt. Diese Punkte finden sowohl für ihre Zeit, wie für die Person Herwig Illmaiers in dieser Zeit ihre Bedeutung. Geht man davon aus, dass mittlerweile viele Ideen obsolet geworden sind oder eine andere Bedeutung bekommen haben. Die erste Geste betrifft die zeitliche Komponente. Die Zeit hat für die Geste der Architektur vielerlei Bedeutung, vor allem aber die Geste über die Zeit. Wie reagiert man auf das Umfeld: Seinem Kollegen Robert Felber blieb in Erinnerung, dass Herwig Illmaier, den Zeichensaal 3 der TU-Graz, erstmals mit einem Buch Adolf Loos´ unter dem Arm betrat. Das war ungewöhnlich, für die Zeit, und auch Illmaier sah seine Beschäftigung mit der österreichischen Architekturgeschichte als Ausnahme: „Was die tiefergehende Beschäftigung mit ÖSTERREICHISCHEN Architekten der Vergangenheit angeht, ist es verwunderlich, dass bei mir solche Auseinandersetzungen recht häufig vorkommen. Als nächstes dürfte auf Loos auch noch Frank folgen – rein gefühlsmäßig.“4 Außer diesem Hinweis für sein Interesse kultureller Zusammenhänge finden sich in seinem Notizbuch auch noch Listen von Literatur oder eine Aufstellung von Museen, die er bereits besichtigt bzw. noch besichten wollte. So viel „Tiefe“ bot die Ausbildung an der TU-Graz in den 80zigern nicht und wirklichen Einfluss auf die Studenten nahm erst Günther Domenig, der 19.. die Professur für Gebäudelehre übernahm. Sein Einfluss war weniger formal, als zeitlich. Er stellte eine Verknüpfung zur der zeitgenössischen Architekturszene her und vergegenwärtigte sie. So holte er Architekten wie Peter Cook und Coop Himmelb(l)au an die TU-Graz und prägte ein Berufsbild, das sich über eine künstlerische Idee und einer literarischen Herangehensweise definierte. Strategien mussten noch kaum entwickelt werden, um Architekt zu sein. Und wenn waren sie bestimmt von Konfliktstoff und Provokation. Herwig Illmaier sah sich in der Folge dieser „Erziehung“ sicherlich als Künstlerarchitekt, der bauen will. Dies äußerte sich bei ihm weniger formal als im Umgang mit dem Berufsbild und in einer doch spielerischer Entwurfsmethodik. Seine verspielten Zeichnungen, die weit emotionaler und expressiver, als seine Bauten sind, weisen auf diese Vorstellung hin.

2. Die örtliche Geste

Die Haltung Herwig Illmaiers war grundsätzlich modern. Seine wahren Vorbilder, wie der vieler anderer Grazer, waren in der französischen Moderne zu suchen - von Le Corbusier bis Jean Nouvel. Die eigene Orientierung war dennoch regionaler und spezifischer als viele seiner Kollegen in Graz vielleicht eingestehen würden. Auch Herwig Illmaier erkannte bei sich den örtlichen Bezug: „Ich frag mich nämlich, wieso in den letzten Jahren bei mir so eine Art Nationalismus oder Österreichismus aufgetreten ist, zumindest was die geistige Beschäftigung mit der bildenden Kunst, Architektur, Literatur anbelangt.“5 Illmaier war in Graz verwurzelt, auch in der Architektur erkannte er „den starken Regionalismus der in Graz herrscht“. Man könnte durchaus Kenneth Framtons Definition des „kritischen Regionalismus“6 in Graz wiederfinden. Der, als Reaktion auf die Postmoderne, die dem künstlerisch, literarischem Bild entsprechen wollte, sich wieder mit dem Ort auseinander setzte und sich an der modernen Tradition (auch Loss) orientierte. Illmaier beschäftigte sich mit „Maler wie Boeckl, Kokoschko, Weiler.....“. „Schnitzler, Kraus, Musil“, schreibt Illmaier über seine literarische Auseinandersetzung , „runden das Bild dieser Zeit (Anmerk. Loos) besser ab.“7 Seine Lehrer, wie Günther Domenig als Professor an der TU-Graz oder Volker Giencke, bei dem Illmaier nach dem Studium gearbeitet hat, kokketieren weit mehr mit der internationalen, wie mit der regionalen Szene, in der Konkurrenz und individueller Standpunkt eine größere Rolle spielte. So fand sich in Herwig Illmaiers Notizbuch eine Kopie von einem Text Gienckes, der darauf ziemlich deutlich hinweist: „Und doch gibt es Menschen in dieser Stadt, die heute, mehr denn je, lieber weltberühmt als stadtbekannt waren und meistens beides nicht sind... Nicht wenige von diesen bedauernswerten Zeitgenossen sind Architekten. Architekten, die in Graz, aber nicht für Graz planen.“8 Herwig Illmaier war diesbezüglich weniger „bedauernswert“, er war zwar ein Architekt der Stadt Graz. Doch hatte er damit ebenso wenig Probleme, wie mit einer kollegialen Haltung als Architekt. In diesem Sinne war er nicht ehrgeizig, auch wenn er immer bauen wollte. Formal zeigt sich dies auch, im Gegensatz zu seinen „Vorkämpfern“ Domenig oder auch Giencke ein paar Jahre später, die radikaler waren und in vielen Aspekten von einer technischen Lösung ausgingen. Und eine Architektur propagierten, die zwar keine reine konstruktive Lösung, anstrebten, aber noch mit dem formal möglichen experimentierten. So forderte zwar auch Herwig Illmaier „Lasst eure Raumstationen nicht ausschließlich von Technokraten designen!“9. Seine Bauten zeigen dennoch den großen Unterschied zur vorhergehenden Generation. Denn die Geste auf den Ort ist weit spezifischer, unaufgeregter – bleibt aber punktuell. Die Geste des Ortes war so wichtig, dass formal kein Zusammenhang zwischen einigen Projekten hergestellt werden kann. Außer man schaut genauer hin. Die Gesten der Projekte sind per definitionem örtlich und nicht wiederholbar. In diesem Zusammenhang ist auch die „Grazer Schule“ zu sehen, die sich aus vielen Einzelevents zusammensetzt und in der keine prozesshaften Denkmodelle zum Ausdruck kommen.

3. Die gezeichnete Geste

Die Zeichnung ist aus der zeitgenössischen Architektur verschwunden und damit viele Ebenen, die dort manifestiert oder sichtbar werden. Herwig Illmaier gehörte zur letzten Generation, die mit der Zeichnung als Ausdruckmittel bis zu seinen Anfängen als Architekt „aufgewachsen“ ist. Die Zeichnung ist die „Geste“ der Architektur und des Architekten. Es ist die Handschrift des Künstlers und Denkers, die einmal eine kurze Notiz kritzelt, mit starkem Strich oder feiner Feder geführt wird, unbekümmert oder detailliert. Das gezeichnete Haus, konnte in Ausstellungen gezeigt werden und war der direkte Verknüpfungspunkt zu dem Künstler. Utopien, wie „Walking City” funktionierten nur als Zeichnung und auch den Flammenflügel von Coop Himmelb(l)au im Hof der TU-Graz der „Architektur muss brennen“ versinnbildlichte, kann man sich kaum als Computeranimation vorstellen. Für Herwig Illmaier war die Zeichnung kein Mittel mehr, wie vielleicht in den 60er Jahren, wo die Zeichnung benutzt wurde, Utopien zu zeigen, die als Ersatzhandlungen zum realen Bauen eine Haltung repräsentieren sollten. Herwig Illmaiers Zeichnungen sind persönliche Notizen, Versuche und Experimente. In der „Aktion zur Rettung von Moderner Architektur“ stellte er die Fällung des Baumes vor dem bewunderten Bauwerk der Thalia da, um die Sicht auf „gute“ Architektur wieder frei zu geben. Sein fast postmoderner Entwurf des Palmenhauses hat ebenso etwas verspieltes, wie der „Sommerhit“. Diese Zeichnungen entstanden alle in seinem letzten Studienjahr und zeigen formal viele verschiedene Einflüsse, die wesentlich expressiver waren, als seine später realisierten Bauten. Der Unterschied zwischen Zeichnung/Entwurf und realem Projekt, wird bei Herwig Illmaier besonders gut sichtbar. Denn konkrete Aufgaben lösen andere Denkprozesse aus, als Zeichnungen, die man sich als „Sommerhit“ skizzenhaft „notiert“. Expressionistische, dekonstruktivistische Formen, mit kräftigen Farben und Strichen, die sich biegen und brechen wechseln sich ab mit einem Stahlturm, der an El Lissitzky erinnert. Seine Möbelentwürfe dagegen mögen von seiner Vorliebe für das Möbeldesign der 50er Jahre inspiriert sein, deren schwungvolle Formen er aber überlagert und mehrere Ebenen einfügt.
Das Verschwinden der Zeichnung hat automatisch den Umgang mit Architektur zu Folge. Und ohne diesen „Verlust“ zu bewerten, ist damit das selbst definierte Berufsbild des Architekten Vergangenheit geworden. Sichtbar sind sie natürlich noch, doch müssen Architekten längst weitaus strategischer agieren, die Geschichte des Künstlertums bezogen auf die eigene Reflexion ist unterbrochen und das vereinzelte Genie und der Star nicht programmatisch für die Masse. Ein Beweis dafür, ist die Schwierigkeit, als Architekt eine Identität zu finden und viele jüngere sehen sich momentan als Dienstleister und nicht mehr als Künstler. Herwig Illmaier stand genau zwischen Baukünstlertum und der „Architektur als Angemessenheit“. Seine Zeichnungen zeigen diese Entwicklung als Geste, aber sicher nicht programmatisch.

4. Die berufliche Geste

Herwig Illmaier machte sich in einer Zeit selbstständig, in der Graz gerade noch als Hochburg des Bauens gehandelt wurde. Seine Generation, oder besser die Gruppe im Zeichensaal haben zwar fast alle ihr eigenes Büro gegründet – doch fanden sie immer wieder zueinander . Man gab sich gegenseitig Arbeit oder hielt persönlich Kontakt. Herwig Illmaier war einer der „uneitelsten“ in dieser Clique. Er war der Hilfsbereite und Engagierte. Seine Rolle als Vorstand im 1990 gegründeten Haus der Architektur, das damals die Kommunikationsdrehscheibe war und viele internationale Architekten zu Vorträgen oder Workshops holte, sah er sicher als eine Art Mediator in der Szene. Loos bezeichnete Illmaier als „Kulturpoet seiner Zeit“, für den ihm kein besserer Begriff einfällt, „als der eines moralischen Zeigefingers, welcher die wunden Stellen der Gesellschaft aufkratzt, die ästhetischen wie die ethischen Momente dabei stark in den Vordergrund rückend.“10 Eine Geste zu der in dieser Weise nur ein Architekt in der Lage ist, denn nach Wittgenstein gehört die Ethik und Ästhetik, (wie die Logik) zum Unsagbaren und kann nur „gezeigt“ werden.

5. Die fachliche Geste

„Ich meine, wir müssten unsere Verantwortung nach wie vor, auch wenn wir keine Macht und keine Befugnisse haben, reklamieren und nicht resignieren. Nicht dem Spruch des tüchtigen Wilhelm von Oranien nachgehen, der da sagte, ohne Hoffnung anfangen und ohne Erfolg weitermachen. Nein, ich mache auch weiter aber nicht resigniert. Weil ich meine, dass jeder kleine Schritt auch ein Schritt zum Vorteil ist, ein Schritt der weiterführt.“11 Solche Schritte und Gesten sind Wettbewerbe. Alle Architekten wissen wohl aus eigener Erfahrung unter welche schwierigen Bedingungen, Wettbewerbe zum Erfolg führen und doch waren sie für Herwig Illmaier wesentlichstes Instrumentarium, um zu Aufträgen zu kommen. Obwohl auch er sich kritisch dazu geäußert hat: „In Österreich verbreitet sich unter den politischen Verantwortlichen zunehmend die Tendenz, Wettbewerbe durchzuführen, Sieger zu küren und auch Planungen zu beauftragen, um sie dann anschließend in Schubladen verschwinden zu lassen. Der Architektenwettbewerb scheint bei Politikern ein beliebtes Instrument zu sein, der Bevölkerung das Gefühl zu vermitteln, dass sich die Volksvertreter eifrigst um das Wohl ihrer Wähler bemühen. In viele Fällen ist die Finanzierung nicht gesichert, Einwilligungen von Betroffenen liegen nicht vor, oder aber die Betreiber müssen erst gesucht werden. ... Wettbewerbe helfen weder den Architekten, noch den betroffenen Bürgern, sondern einzig und allein den Politkern, die Ideen produzieren lassen, um sich damit zu schmücken und sie dann wieder zu verwerfen.“12
So äußerste sich Herwig Illmaier und nicht nur jüngste Entwicklungen geben ihm recht. Doch was jetzt bekannt und bekämpft wird, wurde zu seiner Zeit weder öffentlich noch gefahndet. Auch zur Kunsthausdebatte gab Herwig Illmaier sein Statement ab: „Auch wenn mich mein zuständiger Baulandesrat persönlich und herzlichst zur Teilnahme am Verfahren eingeladen hat, so bringe ich es wegen vorangeführter Fakten doch nicht übers Herz, an einem Projekt zu arbeiten, dessen Standort ich bezweifle und an dessen tatsächliche Realisierung ich schon gar nicht glaube. Außerdem lagert in meinem Planschrank ein Projekt aus den Jahre 1988, zu dessen Ort und Inhalt ich mich nach wie vor bekenne. Das Trigon-Haus im Pfauengarten. Wer macht schon gerne eine Arbeit zweimal?
Die anderen können ja ruhig weiterspielen. Am Schlossberg. Verstecken.“13 Nicht nur, dass er Recht behielt und auch dieses zweite Projekt nicht zur Realisierung kam - diese Haltung ist eine Geste und steckt das politische Feld um den Wettbewerb ab. So kämpfte auch Herwig Illmaier mittels Wettbewerbe um Aufträge, scheute sich aber nicht, sich zu deklarieren. Nachhaltigkeit hat mit Architektur direkt zu tun, doch auch diese Anfänge sich zu wehren, sind nachhaltig und eine Geste.

6. Die gebaute Geste

Ein Haus sagt, nach Wittgenstein, „nichts über die Architektur, sondern Architektur selbst aus.“ Sie spricht im gewissen Sinne für sich selbst und vermittelt ein Weltbild. „Architektur ist dann gut, wenn dieses Weltbild (oder Aspekte davon) unmittelbar zum Ausdruck bringt. Dann ist Architektur eine Geste.“13 So verstanden, ist Herwig Illmaiers Architektur, das was er als Person und Architekt auszudrücken vermag. Der Architekt stellt sich jahrelang der Ausbildung, öffentlichen und politischen Auseinandersetzungen und gibt 1000 Ideen, schlussendlich für einen Bau. In vieler Hinsicht sprechen Bauten für sich und können in dieser Publikation betrachtet werden. Mit Architektur wird der Ort interpretiert, bekommt einen neuen Charakter und macht für jedermann das „Weltbild“ des Architekten erlebbar. Für ein ganzheitliches Verständnis für die Person Herwig Illmaier ist die Betrachtung aller Wettbewerbe, Zeichnungen und Entwürfe wesentlich. So zeigen seine Bauten adäquate Lösungen für punktuelle Aufgaben. Seine unausgeführten Projekte repräsentieren dagegen das Rohmaterial des Entwerfens und Denkens. Wettbewerbe wolle gewonnen werden und sind keine programmatischen Statements einer Architekturauffassung – aber sie sind klarer in ihrer Präsentation, ohne detaillierte Ausführung. Der Prozess des Bauens verändert oft ursprüngliche Ideen, oft auch zu Recht. Der Wettbewerb zeigt die Geste des ursprünglichen und ist weniger differenziert.

7. Die Geste der Identität

Die Identität als letzte mögliche Geste der Architektur stellt den Zusammenhang zur Person Herwig Illmaier her. Architektur ist an sich eine öffentliche Angelegenheit. Architektur beschäftigt sich oft mit Nachhaltigkeit und hat den Anspruch auf Beständigkeit. Für den Produzenten ist Architektur und das Leben mit Architektur etwas sehr persönliches. Und letztlich gilt dies vor allem für all die Bauherrn und Benutzer, deren Identität ihnen der Architekt zum Teil mitgegeben hat. Was also ist die persönliche Geste bei Herwig Illmaier. Seine eigene Wohnung gibt Hinweise, einfache Lösungen und ein Spiel mit Materialien, wie Bürsten als Planhalter. Und doch hatte er, wie einige seiner Bauherrn sicher bestätigen, eine Durchsetzungs- und Überzeugungskraft. Kompromissbereit war seine Architektur nicht. Nur dem Ort an sich gegenüber. Doch was macht die Identität letztlich aus? Auf der Suche nach einer möglichen Lösung stieß ich auf die Rede von Manfred Sack, der unter dem Titel „Bauen, wer man ist“ die Rede zu einer Preisverleihung hielt und sich dem Thema auf der persönlichen Ebene annäherte: „Vor ein paar Monaten war ich damit befasst, mir das universale Tun eines Zeitgenossen zu erklären, der nicht bloß als Architekt auf sich aufmerksam gemacht hat, sondern ungleich mehr mit den vielen Nebenrollen, die er gespielt hat... Dabei kam mir, wohl nicht wirklich zufällig, das Wort "Identität" in den Sinn. Identität heißt auf deutsch, eins mit etwas sein, vollkommene Übereinstimmung mit sich und der Sache, mit dem Beruf, mit dem eigenen Tun; vollkommene Gleichheit. Eines meiner Fremdwörterbücher, die ich gern konsultiere, erklärte Identität noch mit der inneren Einheit von Sache und Person und mit dem Selbst einer Person. Daran wird schon deutlich, dass man von Identität eigentlich nur sprechen kann, wenn sich etwas buchstäblich in einem Bild versammelt.“14 In dieser Rede versucht Manfred Sack Identität des Architekten mit der Identität seiner Gebäude, aber auch im Umgang mit Bauherrn, Politkern etc. zu erklären. Er spricht von einer Durchsetzungskraft der Architektur, die ein Haus “respektvoll an den Ort, in seine Umgebung zu komplimentieren, ohne darauf zu verzichten, ihm selbstbewusst ein individuelles, infolgedessen unverwechselbares Gepräge zu geben - oder eben: eine "corporate identity" sichtbar zu machen, „wenngleich der Begriff zu berechnend scheint“, bezieht er sich vielmehr auf „die Fähigkeit des Baumeisters“, dem Bauherrn ein Haus und die Möglichkeit zu geben sich mit dem Haus „eins fühlen zu können“. Die Identität des Architekten erklärt er weiter, lege in der Rolle der Identitätsgebung, gerade in der Moderne. Erst durch die Identität des Architekten fühlt der Bauherr seine Identität. Was würde den Beruf besser erklären, als eine Weitergabe einer Identität. Diese kann auch fragmentarisch, vielfältig und persönlich sein. Denn versteht man Identität so wie sie oben beschrieben wird, kann jede neue Entdeckung das Bild vervollständigen. In Illmaiers Notizbuch findet sich auch der Satz: “Ich will ein Haus nach einem Raumplan entwerfen.“15 Das war eine Intension, vielleicht nicht verwirklicht, doch Beweis einer Geste auf der Suche einer Identität. In seinen Zeichnungen wird die Suche sichtbar, die Lösung nach dem Plan mag bei vereinzelten Aufgabenstellungen verloren gegangen sein. Denken wir an der anfangs zitierten Satz Wittgensteins „also erinnere Dich an den Eindruck guter Architektur... Man möchte auch ihr mit einer Geste folgen.“



1: Zitiert nach der Werkausgabe, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1984 Aus: Vermischte Bemerkungen (VB 481)

2/3/13: Auszug aus „Ästhetik bei Wittgenstein“, von Felix Gmür, erschienen in: Arch+ 157

4/5/6/7/9/10/15: aus dem Notizbuch Herwig Illmaier, 1984 „Text über Adolf Loss“

5: Sg. Herr Bürgermeister. Betrifft: Gesprächstermin. 10.06.1996; Brief von Herwig Illmaier an das Stadtamt Leibnitz

8: „Unser Weihnachtsgeschenk“-„Voller Giencke“, aus „Reflexion und Aphorismen zur österreichischen Architektur, Volker Giencke, ISBN 3-85367-040-7

11/14: „Bauen, wer man ist - oder: Über die Kunst, mit Architektur und Städtebau Identitätsempfindungen zu wecken“; Dr. Manfred Sack, Hamburg; Festvortrag anlässlich der Auszeichnung Guter Bauten 2002 der BDA Kreisgruppe

12: „Wem nützen Wettbewerbe?“, Ein paar Sätze zum Thema, Fax von Herwig Illmaier an die Zeitung „Der Standard“. ZH Frau Denise Leising, 8.März.1994
Ostwürttemberg am 13.10.2002 in Aalen

13: „Versteckspielen im Polit-Sandkasten“ Als Beitrag zur aktuellen Kunsthausdebatte in Graz folgende Gedanken ; Brief von Herwig Illmaier, 1997

siehe: Frampton, K. (1986). Kritischer Regionalismus - Thesen zu einer Architektur des Widerstandes. In: A. Huyssen and K. R. Scherpe. Postmoderne. Zeichen eines kulturellen Wandels. Hamburg

„BDB, Kundgebung“; Rede von Prof Max Bächer anlässlich der öffentlichen Kundgebung im Rahmen des Deutschen Baumeistertages in Celle am 14. Mai 1999; Ostwürttemberg am 13.10.2002 in Aalen; Deutscher Baumeistertag 1999 in Celle vom 12. bis 15. Mai 1999; Congress - Union Celle

erschienen im Buch „An der Klippe“