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Zwischen Krems und Stein liegt ein „und“ – auch wenn die Einwohner von Krems nun gelangweilt die Augen verdrehen, anlässlich dieses ihnen bekannten Wortspiels, ist die Anekdote zu schön, um sie dem Rest der deutschsprachigen Menschheit vorzuenthalten. „Und“ heißt das ehemalige Minoritenkloster, das im wahrsten Sinne des Wortes die beiden historischen Altstädte Krems und Stein verbindet und nun als Vinothek eine bekannte Anlaufstelle für Weinkenner und Liebhaber gilt. Von Manuela Hötzl.

Facultas docendi (Die Fähigkeit zu Lehren)

Bildungszentrum Campus Krems, Niederösterreich (A) - Feichtinger Architectes, Wien, Paris

Geschichten hat Krems reichlich zu erzählen, die beiden Städte wurden zwar erst wieder 1938 nach fast hundert-jähriger Trennung zusammengelegt, was bei der über 1000-jährigen Stadtgeschichte, aber nur ein kurzes Augenzwickern in der Geschichte darstellt. Inzwischen gilt Krems sicher als die heimliche Hauptstadt des österreichischen Bundeslandes Niederösterreichs. Nordwestlich von Wien, an der Donau, dort wo sie wirklich noch blau ist, zwischen der Wachau im Westen, dem Waldviertel im Norden ist die Lage idyllisch. Krems hat zwar nur über 23.000 Einwohner, aber dafür die größte Kunsthalle Österreichs (Adolf Krischanitz), ein Karikaturmuseum (Gustav Peichl), ein Literaturhaus, ein Weinstadtmuseum oder viele weitere kleinere Festivals und kulturelle Veranstaltungen, die die Stadt zu einer regelmäßigen Reiseziel für Kulturinteressierte aus der Umgebung macht. Soviel kulturelles Engagement entsteht nicht zufällig – die Kremser Stadtregierung hat daran jahrelang und erfolgreich gearbeitet. Die Stadt hat nicht nur einen eigenen Kulturentwicklungsplan, für die Architektur ist namentlich der Stadtbaudirektor Wolfgang Krejs für die vielen Architekturinitiativen verantwortlich, die jährlichen mit einer Publikation dokumentiert wird. Regional hat sich Krems also längst positioniert – überregional ist die Stadt nicht zuletzt wegen der 1995 gegründeten Donauuniversität bekannt, die sich in der ehemaligen Tabakfabrik hinter der bereits erwähnten „Kulturmeile“ von Krems befindet. Auf Grund der ständig wachsenden Zahl der Studenten - im letzten Semester waren über 3000 Studierende aus 43 Ländern in den Bereichen Wirtschafts- und Managementwissenschaften, Telekommunikation, Information und Medien, Europäische Integration, Umwelt- und Medizinische Wissenschaften und Kulturwissenschaften inskripiert, entschied man sich die Donauuniversität, die Fachhochschule und das Zentrum für Film auf einen zusammengelegten Campus zu vereinen. Den Wettbewerb auf den angrenzenden Wieden-Gründen, gewann auf Grundlage einer Bebauungsstudie der Architekten Baumschlager Eberle, Dietmar Feichtinger.
Feichtinger, der in Graz studierte und 1994 ein Büro in Paris gründete, wurde vor allem durch seine Fussgängerbrücke Passerelle Bercy – Tolbiac, die die neue französische Nationalbibliothek mit dem Park von Bercy verbindet, bekannt. In Österreich eröffnete er dieses Jahr bereits das Kunsthaus Weiz in der Steiermark, ein Zubau zum Landeskrankenhaus in Klagenfurt ist in Bau. Der Campus Krems entstand in zwei Jahren Bauzeit und vereint seit diesem Semester Forschungszentrum, Unterrichtsräume, Bibliothek, Audimax, Mensa und ein Gebäude für die IMC Fachhochschule Krems auf dem Areal. Für die Österreichische Filmgalerie wurde zusätzlich das ehemalige Kesselhaus der Austria-Tabak-Fabrik revitalisiert, das mit einem Programmkino, einem unterirdischen Ausstellungsbereich und einer "Filmbar" das kulturelle Leben auf dem Campus ergänzt. All das ist in einem transparenten Ensemble, mit Leichtigkeit, Durchlässigkeit und einer intelligenten Erschließung verbunden. Ein eigenes urbanes Dorf für Studierende, auf einem über 33.000 Quadratmeter großen Grundstück - das das größte Bauvorhaben im Bildungsbereich in Österreich.
Zurück zum Anfang– sonst wird diese Selbstverständlichkeit vorweggenommen, die auf jeden Fall das Besondere ausmacht. Die Struktur basiert auf drei wesentlichen Elementen: auf der vorhandenen Typologie, der neuen Ost-West Achse und dem städtebaulichen Wegekonzept, das die drei Gebäudeteile der Universität in einer logischen (und das ist keineswegs selbstverständlich) Raumanordnung in verschiedene Öffentlichkeiten definiert. Voran steht immer noch das Gebäude der Tabakfabrik, ein U-förmiges und symmetrisches Gebäude, das mit seinen großen Fensterflächen, seiner Raumhöhe und Großzügigkeit durchaus Qualität hat. Der Symmetrie des Bestandes folgt auch der Neubau und schließt in den Achsen und Höhen des Gebäudes an. Direkt mit einer Brücke verbunden wird der westliche Teil und führt im ersten Geschoss in den Trakt mit Mensa und Bibliothek. Überhaupt sind die Neubauten in Schichten aufgebaut. Von der öffentlichen „Straße“ zwischen Neu- und Altbau, entlang der Haupterschließungsachse, die bis zum studentischen Wohnbau führt, kann man das ganze Ensemble überblicken und direkt Mensa und Bibliothek erreichen. Schließt der Altbau den Campus zur Stadt hin ab, öffnet sich der Neubau mit ständigem Blickkontakt der hügligen Landschaft im Norden.
Am Anfang der Achse steht das Audimax, als einziges Bauteil massiv in rohen Beton, als Markierungsstein an der Zugangsstraße – aber direkt mit ersten Glaskubus verbunden. So wird bei Veranstaltungen eine räumliche Öffnung zur Mensa möglich und bietet Flexibilität für die Bespielung des Vortragsraums.
Die drei viergeschossigen Gebäudeteile der Donauuniversität, die sich zwischen Audimax und dem bestehenden Kesselhaus befinden, bilden trotz Offenheit ein in sich abgeschlossenes System, mit Brücken, großzügigen Lichthöfen und verbinden das Niveau der Haupterschließungsachse und der dahinterliegenden erhöhten Straße. Dort kragen die beiden obersten Geschosse jeweils über das, in diesem Fall zweite Geschoss dieser Eingangsebene aus und treten der kleinteiligen Struktur der Einfamilienhäuser bescheiden gegenüber. Dieser bunte Streifen von Villen, die Namen am First haben und der dahinterliegende Weinberg bilden auf dem gesamten Areal den Hintergrund des Campus und verdeutlicht von allen Standpunkten, wo man sich befindet.
Der öffentliche Universitätsbereich wird flächig mit Holzstegen und einfachen Bänken gekennzeichnet. Beide auf verschiedenen Niveaus gelegenen Eingangsebenen werden auch äußerlich optisch abgetrennt: die oberen Geschosse sind mit außenliegenden, die unteren mit innenliegenden Sonnenschutz versehen. Die Fassadentrennung weist auch die öffentlichen Bereiche bzw. die weniger frequentierten mit Büros, Laboren oder Rektorat aus. Dennoch ist keine offensichtliche Hierarchie erkennbar oder gewollt. Innen legt sich die Glashülle über alles und behält immer die gleiche Transparenz. Im wahrsten Sinne eine Raumfluss – so sehr der Begriff schon verbraucht wurde. Hier ist er in sich stimmig.
Im Westen schließt das Hauptgebäude der IMC Fachhochschule Krems, neben dem Studentenwohnheim, den Campus ab. Dazwischen liegt noch ein das kleinere Gebäude für die Österreichische Filmgalerie und das Österreichische Studienzentrum für Film, das unterirdisch mit dem Kesselhaus, wo sich das Programmkino befindet, verbunden ist. Beide Gebäude haben wie die gesamten Neubauten eine zweigeschossige Sockelzone für den öffentlichen Bereich, die von internen, geschützteren Bereichen ergänzt wird. Diese außenliegenden Sonnenschutzpaneele lassen jeder Büroeinheit flexibel selbst ihren Transparenzgrad bestimmen. Die doppelflügeligen vertikalen Lamellen aus gelochten Aluminiumprofilen können dem Sonnestand nachgestellt werden und stehen über Nacht im Winkel von neunzig Grad zur Fassade um die Nachtkühlung zu gewährleisten. Ergänzt wird das alternative Energiekonzept, das dem Anspruch der Donauuniversität entspricht und intern mitentwickelt wurde, mit einer Bauteilkühlung. Wasserführende Schläuche an der Deckenunterseite, Wärmetauscher und Erdkollektoren ergeben im gesamten ein angenehmes Raumklima. In den meisten Räumen sind auch die Decken unverkleidet, um den Beton als Speichermasse nutzen zu können. Auch die anderen Betonoberflächen, vor allem bei den Außenanlagen sind kaum versiegelt. In den Stahlbrücken, die mit großzügigen Schiebetüren versehen sind – ist die Gestaltung minimal und die konstruktiven Teile ablesbar. Dietmar Feichtinger lässt das gesamte Ensemble in seiner Funktionalität einsichtig und sichtbar – ebenso sprechen die Details für sich. Viel mehr zählt auf dem Gelände die städtebauliche Qualität, die Raumabfolge und der ständige Bezug zur Umgebung. So ergeben die einfachen Baukörper ein komplexes und urbanes System.
Die österreichische Version eines amerikanischen Kleinstadtcampus kann sich international sehen lassen. Den Studenten, wie den Professoren und Wissenschaftern wird einiges geboten. Im Besonderen die Fähigkeit zu lernen, zu lehren und zu leben.
Krems, und die Donauuniversität vereint eine architektonische und lebendige Symbiose, die als kleine Universitätsstadt überdurchschnittlich viel zu bieten hat. Aber hier geht es weniger um Alt und Neu. Warum auch? Es geht um den Fluss, die Stadt, die Universität – einen Campus, wie er einsichtiger und offensichtlicher nicht sein könnte. „Und“: ein abgeschlossenes System, das sich in die Landschaft einbettet – so einfach, wie es schwieriger nicht sein könnte.