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Ein Haus, ist ein Haus ist ein Haus, - längst nicht mehr, wenn man es als in sich geschlossenes System betrachtet. Die Villa Lanzani Cassina definiert sich anders, ineinander und auseinander fließende Räume verschmelzen mit der Landschaft. Großzügig und individuell, Wohnen der Luxusklasse. Von Manuela Hötzl.

Fort mit den Zwängen ein Haus zu sein

Villa Lanzani Cassina in Medea, Italien

Eigentlich gibt es kein Konzept oder Modell wie modernes Wohnen auszuschauen hat. Seit der Moderne hat sich der Wohnbau kaum weiterentwickelt, jegliche Art einer Flexibilität oder Individualität ist als Experiment gescheitert. Denn offene, variable Wohnraumsysteme, wie auch das Maison Domino Modell von Le Corbusier, haben der versprochenen Flexibilität der Raumorganisation nicht standgehalten. Der freie Grundriss schränkt in Wirklichkeit ein und macht den Bewohner unfrei, weil die Zonen des Wohnraums mit zwei bis drei Funktionen überbelegt sind. Auch Mies van der Rohe musste mit dem Vorwurf der Unbewohnbarkeit seiner Häuser umgehen. Er konterte mit zwanghaften Einschulungen seiner Bauherrn, die er unangekündigt besuchte, um den Standort der Möbel zu kontrollieren. Damit versuchte er zu vermeiden, dass die Bewohner seiner Häuser ihre Einrichtungen verschieben, am liebsten hätte er die Möbel angeschraubt. Das wäre nicht nötig gewesen, wären die Räume vorher anders definiert gewesen. Dies ist nicht als Kritik an unbestritten großen Architekten zu verstehen. Dennoch ist die Moderne, und mit ihr diese Experimente, vorbei, und viele andere Möglichkeiten und Freiheiten stehen offen und werden auch nicht mehr in Frage gestellt. Besonders Einfamilienhäuser sind die Oasen in der Wohnhauskultur, wo es heute möglich geworden ist, mehr denn je seinen persönlichen Ausdruck umzusetzen. Die heutigen Bauherrn können unter ungleich mehr Architekten wählen, um sich ihr Wohngefühl umsetzen zu lassen. Lifestyle ist ein alles umfassender Begriff, der individuell zugeschnitten, die Qualität des Wohnens bestimmt. Das Sortiment der Möglichkeiten ist weder einem Stil, noch einer Struktur unterworfen. So kann man all die Villen, Häuschen und Prachtpaläste verstehen, die überall zu finden sind. Doch allzu selten wird das verwirklicht, was möglich wäre, und was Bauherrn und Architekten gleichermaßen befriedigt.

Bei der Villa Lanzani Cassina ist dieses Kunststück sicherlich geglückt. Ein junges Paar hat sich in der Nähe von Mailand, einem kleinen Ort namens Meda, ihr Nest bauen lassen. Die Architekten Dario Caimi und Franco Asnaghi entwarfen ein Konzept für extrem hohe Raumanforderungen, mit immerhin fünf Schlafzimmern, vier Bädern und einer angeschlossenen Dienstboten-Wohnung, das sich außergewöhnlich elegant in die Landschaft fügt. Das wunderschöne Grundstück mit leichten Hügeln sollte in das Haus integriert werden, und sich keinesfalls davon abwenden. Mit einigen Kunstgriffen setzten die Architekten den Grundgedanken um, die Erscheinung der Villa streng nach außen und nach innen zu trennen. Das Bauvolumen ist aus vielen geometrischen Formen zusammengesetzt, die im Kern einen offenen Wohnraum schaffen. Nach außen entstehen durch dieses System Kuben, Nischen, Öffnungen und ausgefranste Terrassenlandschaften. Ein wenig zerklüftet, wie ein natürlich gewachsener Felsen präsentiert sich die Villa im italienischen Hügelland. Fast erscheint die Landschaft um die Villa herum konstruiert. Die Größe des Baus wird aufgelöst und die Präsenz tritt zurück. Vor allem mit dem Einsatz des Materials wird das räumliche Konzept noch unterstützt. Die Fassade des Hauses wurde mit einer speziellen Hammerschlagtechnik behandelt und mit Abdeckungen aus Kupfer ergänzt. Die Oberfläche des Kupfers wird sich im Laufe der Zeit mit einer Patina überziehen, und wie sich die Landschaft jahreszeitlich ändert, wird auch das Metall verschiedene Zustände und Farben annehmen und sich immer mehr in die Landschaft einfügen.

Nach innen wird die selbstverständliche Zufälligkeit der äußeren Erscheinung erst bewußt.
Schon der Eingang ist inszeniert. Vom Parkplatz aus schwingt man sich um eine kleine Serpentine zum überdachten Eingangsbereich hinauf. Zwischen einem halbkreisförmigen Wintergarten und einem geschlossenen Kubus dringt man ins Haus vor. Der Erschließungsbereich des Hauses ist mittig situiert und mit dem Eintreten befindet man sich sofort in einer Wohnlandschaft, die sich nach beiden Richtungen offen und beschwingt erstreckt. Großzügigkeit wird sofort spürbar. Die starken äußeren Formen treten zurück, hier wird edel gewohnt. Alles erstrahlt in hellem Weiß und man verliert sich im Schauen nach mehr und exklusiveren Details. Denn fast alle Möbel wurden von den Architekten speziell für diese Villa entworfen, ausgewählte Designerstücke ergänzen das Interieur. Möbel von Eero Saarinen oder Frank Lloyd Wright tauchen dazwischen auf und bilden im Zusammenhang mit den angefertigten Möbeln eine deutlich durchdachte Atmosphäre.

Egal wo man sich befindet, man erhascht einen Ausblick nach draußen oder in den nächsten Raum, man wird weitergezogen oder lässt sich in eine gemütliche Ecke oder Nische zurückfallen. Die Herren und Damen des Hauses wandeln nicht durch Gänge, sie wandeln durch eine Wohnlandschaft, in der Möbel und Details wie Konfekt in ihrer Form gegossen liegen.

Geteilt ist die Villa in ihren Ebenen, das Erdgeschoß bildet die Tageszone, das Obergeschoß die Nachtzone und im Keller ist der öffentliche Club situiert, mit Bar, Küche und Swimming Pool.
Im Erdgeschoss sind die Räume an den Rand gerückt, und fast alle besitzen einen Ausgang auf die rundumlaufenden Terrassenflächen oder zumindest einen Ausblick darauf. Die Fenster sind als Schlitze, raumhohe Verglasungen oder langgezogene Panoramafenster ausgebildet, der Bezug nach außen ist ein sich ständig wiederholendes Gestaltungsmittel. Im Detail wird soll vor allem der Boden den Unterschied zum Außenraum verdeutlichen. Denn ein Piasentina-Stein ist sowohl innen als auch außen verlegt, die Oberfläche unterscheidet sich allerdings stark in diesen zwei Bereichen. Die Kernzone geht über in einen Nußholzboden, der den Wohnbereich umspielt und abgrenzt. Die Materialien in Küche und Bad sind speziell edel und großzügig gewählt. Teak Holz als Boden im Badezimmer, Waschbecken aus grünem Marmor, Edelstahlplatten als Arbeitsplatten zeigen ein durchgängiges luxuriöses Konzept.

Die Villa hat etwas Besonderes in ihrer Erscheinung. Ihr Grundriss erzählt eine sehr persönliche Geschichte des Wohnens ihrer Bauherren, sie vermittelt Verständlichkeit. Sie ist ein Objekt und besteht aus Objekten, die sich so selbstverständlich zusammenfügen, als könnten sie gar keinen anderen Platz, als den ihnen zugewiesenen, finden. Die Möbel erscheinen wie Erinnerungsstücke, und wie man irgendwann erfahren hat wie Stahl schmeckt, hat man bei ihrem Anblick das Gefühl zu wissen wie man drauf sitzt und isst.

Beschützt zu sein und dennoch frei durchzuatmen, bestimmt die Atmosphäre dieser Villa. Man erkennt eine Einheit in jeder Dimension, die sich von der weitläufigen Landschaft bis ins kleinste Regal zieht.



erschienen in Wohnen Nr.07-08/01,S.58ff