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Von Bart Lootsma.

Glaustrianer

von Bart Lootsma

Es ist merkwürdig, dass die gegenwärtige Blüte der österreichischen Architektur vom Ausland fast vollkommen unbemerkt geblieben ist. Natürlich kennt man überall auf der Welt die großartige Tradition des prächtigen Barock und Biedermeier, ebenso die Architektur des ausgehenden 19. Jahrhunderts und besonders der damaligen Jahrhundertwende. In den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts gab es die monumentalen Wohnbauprojekte des „Roten Wien“. In jüngerer Zeit, in den sechziger Jahren, gehörte Österreich neben Florenz und London zu jenen Orten, die eine neue radikale Avantgarde hervorbrachten. Auch wenn es in der österreichischen Architektur immer wieder Perioden einer stärker verdichteten Kultur gegeben hat, bei der Architektengenerationen unmittelbar aufeinander folgten und einander direkt beeinflussten, so ist sie doch in erster Linie durch ausgesprochen individuelle Positionen gekennzeichnet. Man denkt an Namen wie: Johann Bernhard Fischer von Erlach, Otto Wagner, Josef Hoffmann und Adolf Loos; Hans Hollein, Haus-Rucker-Co. oder Coop Himmelb( l)au. Viele von ihnen waren und sind unmittelbar mit Wien verbunden. Heute ist dies weniger der Fall, auch wenn Hans Hollein und Coop Himmelb(l)au nach wie vor dominant präsent und international erfolgreich sind. Hochqualitative Architektur wird im ganzen Lande verwirklicht und es ist nicht mehr nur Wien allein, das den anderen die Show stiehlt. Ernsthafte Konkurrenz kommt aus Städten wie etwa Graz, Linz und Salzburg, während das Bundesland Vorarlberg als echtes Phänomen gilt, was die Vielzahl der dort entstandenen interessanten Gebäude betrifft. Österreich ist zudem ein Land, das internationale Stars anzieht, so etwa Zaha Hadid, Dominique Perrault, Ben van Berkel, Morphosis und andere, die hier bauen und lehren. Aber das Wichtigste ist, dass es eine fast endlose Liste kleinerer und größerer Architekturbüros gibt, die vielleicht kleinere, aber dennoch fantastische Gebäude in die Welt setzen. Die Liste ist auf der ausgezeichneten Website www.nextroom.at nachzulesen, eine Menge dieser Projekte können dort eingesehen werden. Ich glaube nicht, dass viele Länder auf der Welt mit einem vergleichbar breit gefächerten Spektrum an Architekturbüros aufwarten können wie Österreich. Zugleich mag diese breit gestreute Vielzahl als Erklärung dafür dienen, warum das Erblühen österreichischer Architektur so unbemerkt blieb. Denn es ist nicht leicht, sie auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, ihr eine charakteristische kulturelle Identität zuzuschreiben, die sich leicht zusammenfassen und in einem Magazin oder in einem umfassenden Buch darbieten ließe. Was für Österreich spezifisch sein mag, ist vielleicht, dass die Architektur sich bis jetzt den Prozessen der Privatisierung und Deregulierung von Wohnbausystemen relativ gut entzogen hat. Kooperative Bauträger und einzelne Firmen übernahmen die Rolle der Regierung auf nationaler und kommunaler Ebene, ebenso wie die der Siedlungsbaugesellschaften, und erwiesen sich als Förderer einer hochqualitativen, modernen Architektur. Ein gutes Beispiel dafür ist die regionale Supermarktkette MPREIS, deren Gebäude 2004 im österreichischen Pavillon auf der Biennale in Venedig zu sehen waren. Indes besteht ein großer Part des besseren Teils der architektonischen Produktion aus einzelnen Wohnhäusern. Es scheint, als ob es in Österreich noch einen eher wohlhabenden Bevölkerungsanteil gibt, der an kultureller Qualität interessiert ist. Eine nicht unwesentliche Rolle spielt jedenfalls, dass viele Projekte im Wettbewerb realisiert werden, selbst wenn das bedeutet, dass viele kleinere österreichische Büros unglaublich hart arbeiten müssen, um auch nur ein bescheidenes Auskommen zu finden. Was ebenfalls zählt, ist, dass der Bildungsstand der Architekten einen beträchtlichen Grad aufweist, und weil Österreich zum Gutteil den maschinellen Produktionszuwachs der sechziger und siebziger Jahre nicht miterlebt hat, ist der Standard der handwerklichen Fähigkeiten immer noch unglaublich hoch. Aber dennoch erklärt dies alles nicht die starke kulturelle Eigenheit der österreichischen Architektur, auch wenn viele österreichische Kritiker noch auf so etwas wie einen gebrochenen Regionalismus verweisen. Es lässt sich eben nicht alles einfach auf eine lokale, regionale oder nationale Tradition reduzieren. Heutzutage haben Architekten in jedem Land Zugang zu allen internationalen Magazinen, Büchern und Katalogen über Architektur. Dieser Zugang ist womöglich in Österreich besser als in den meisten anderen Ländern, da viele internationale Stararchitekten hierzulande bauen, Vorlesungen abhalten, selber unterrichten und in kleineren oder größeren Ausstellungen präsentiert werden. Die verschiedenen „Häuser der Architektur“ auf Stadt- und Landesebene, in denen ständig neue Debatten aufgeworfen werden, ebenso wie das Wiener Architektur Zentrum, spielen hier eine entscheidende Rolle. Sie alle schärfen das Bewusstsein der Architekten und halten es wach und dies führt zu einer Architektur die, bei aller ausladenden Breite, oft ebenso wagemutig und provokant wie gemütlich und gut gemacht ist. Ich habe drei junge Architektenteams ausgesucht, die eine neue Art der Praxis exemplifizieren, wie sie jetzt im Kommen ist und die zugleich international inspiriert ist. Die Architekten haben ihren Sitz in Wien, Innsbruck und der Steiermark. Zwei von ihnen, Martin Scharfetter und das Kollektiv AllesWirdGut, haben früher im Ausland studiert und gearbeitet, wie es für ambitioniertere Studenten mittlerweile Brauch geworden ist. Scharfetter studierte zunächst bei Nasrine Seraji an der Akademie der bildenden Künste in Wien, später am international renommierten Berlage Institut in Rotterdam unter Professoren wie Raoul Bunschoten und Toyo Ito, während die Mitglieder von AllesWirdGut, von denen einige aus Italien stammen, in Wien, London, Montreal und Ann Arbor studiert haben. Etliche von ihnen haben bereits zuvor in den Niederlanden mit NL Architects zusammengearbeitet. Bei Weichlbauer/Ortis handelt es sich um ein Team von Medien-Junkies, die alles lesen, was sie in die Hände bekommen können, zugleich aber auch sorgsam eine eigene theoretische Position aufbauen.



Bart Lootsma (geboren 1957) lebt in Wien und arbeitet als Historiker, Kritiker und Kurator in den Bereichen Architektur, Design und Visuelle Kunst. Er ist Gastprofessor an der Technischen Hochschule Zürich (ETH) und Studio Basel. Davor war er Gastprofessor an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, Gastprofessor für Architekturgeschichte und Theorie an der Universität für Angewandte Kunst in Wien und „Thesis-Tutor“ am Berlage Institut in Rotterdam. Als Autor schreibt er für ARCHIS und GAM, ist Mitglied des Wissenschaftskommitees von archilab in Orléans und Gastkurator von archilab 2004, Kurator der Schneider Forberg Stiftung in München und Vorstandsmitglied des Holländischen Kultur Beirats (Dutch Culture Council). Zusammen mit Dich Rijken veröffentlichte er das Buch "Media and Architecture" (VPRO/Berlage Institute, 1998). Sein Buch "SuperDutch" über die jüngste Architektur in den Niederlanden wurde von Thames & Hudson, Architectural Press, DVA und SUN im Jahr 2000 publiziert. "archilab 2004 The Naked City" wurde 2004 und "Body & Globe", eine Sammlung von Essays, 2005 von HYX in Orléans publiziert.

Text erschienen in:

Einfach! Architektur aus Österreich. Just! Architecture from Austria

ISBN 3-901174-61-3
978-3-901174-61-2
Verlag Haus der Architektur Graz
2006/148 Seiten/pages
Verkaufspreis/price: € 28,90

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