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Schon seit vielen Jahren erregt die österreichische Architektur internationale Aufmerksamkeit, nicht zuletzt deshalb, weil nahezu jede Generation Persönlichkeiten hervorbringt, deren radikale Denkansätze und Projekte fast wie selbstverständlich Eingang in die internationalen Zirkel der Publikationen, Vorlesungen, Wettbewerbe, Ausstellungen und Preise finden. Keiner dieser Architekten jedoch könnte sein Werk – und sei es auch in anderen Ländern verwirklicht – in dieser spezifischen Form ohne die breite und stabile Basis für Architektur in Österreich verfolgen. Natürlich ist die österreichische Architektur in ihrer reichen Vergangenheit tief verankert, vor allem in einer Stadt wie Wien, in der sie in zahlreichen Gebäuden tagtäglich erfahren werden kann. Kultur spielt eine wichtige Rolle im Alltag. Österreich gibt zum Beispiel gegenüber den Niederlanden pro Kopf die dreifache Summe für Kultur aus. Der Bund, die Länder, aber auch Banken und Versicherungen verfügen über interessante Kunstsammlungen und öffentlich zugängliche Ausstellungsräume. Das gilt nicht nur für Wien, die Hauptstadt, sondern auch für kleinere Städte wie Salzburg, Bregenz, Linz und Graz, die wegen ihrer reichen Festivaltradition ein Begriff sind. Wenn auch die regionale Kultur weiterhin im Blickpunkt der Lehre bleibt, so hat sich in den letzten Jahrzehnten der kulturelle Schwerpunkt in Richtung Internationalisierung verlagert. Diese Veränderung ist nicht nur im Bereich Theater, Musik und bildende Kunst, sondern auch in der Architektur spürbar. Die von Hans Hollein anlässlich der letzten Architektur-Biennale kuratierte Ausstellung im Österreichischen Pavillon in Venedig präsentierte eine Vielzahl von Bauten, die von namhaften internationalen Architekten in ganz Österreich errichtet worden waren oder gerade errichtet werden. Von Bart Lootsma.

Die Österreichische TransModerne: Architektur der Synthese und Zurückhaltung

Natürlich ist die österreichische Architektur in ihrer reichen Vergangenheit tief verankert, vor allem in einer Stadt wie Wien, in der sie in zahlreichen Gebäuden tagtäglich erfahren werden kann. Kultur spielt eine wichtige Rolle im Alltag. Österreich gibt zum Beispiel gegenüber den Niederlanden pro Kopf die dreifache Summe für Kultur aus. Der Bund, die Länder, aber auch Banken und Versicherungen verfügen über interessante Kunstsammlungen und öffentlich zugängliche Ausstellungsräume. Das gilt nicht nur für Wien, die Hauptstadt, sondern auch für kleinere Städte wie Salzburg, Bregenz, Linz und Graz, die wegen ihrer reichen Festivaltradition ein Begriff sind. Wenn auch die regionale Kultur weiterhin im Blickpunkt der Lehre bleibt, so hat sich in den letzten Jahrzehnten der kulturelle Schwerpunkt in Richtung Internationalisierung verlagert. Diese Veränderung ist nicht nur im Bereich Theater, Musik und bildende Kunst, sondern auch in der Architektur spürbar. Die von Hans Hollein anlässlich der letzten Architektur-Biennale kuratierte Ausstellung im Österreichischen Pavillon in Venedig präsentierte eine Vielzahl von Bauten, die von namhaften internationalen Architekten in ganz Österreich errichtet worden waren oder gerade errichtet werden.
Aber Österreich profitiert nicht nur von einem kulturgesättigten Klima, Österreich war und ist in gewissem Ausmaß immer noch auch ein typischer europäischer Wohlfahrtsstaat. Der Ausbildungsstandard ist hoch und viele berühmte Architekten – auf nationaler wie internationaler Ebene – können für die Lehre gewonnen werden. Kommunaler Wohnbau und öffentliche Gebäude wie beispielsweise Schulbauten werden immer noch zu großen Teilen von der öffentlichen Hand gefördert. Viele dieser Projekte werden als Ergebnis eines Wettbewerbs realisiert und aufgrund der hohen Dichte guter Architekten ist das Klima in diesem kulturellen Segment überaus kompetitiv.

Dies alles fördert eine lebendige Architekturkultur, die vielen unterschiedlichen Positionen Raum gibt. Versucht man dieses Feld zu charakterisieren, wird man unwillkürlich an das Bild der Lorentz-Kraft erinnert: Alle diese Positionen scheinen als komplexes Liniengefüge um zwei Pole zu kreisen. Der eine Pol repräsentiert den Versuch, Tradition und historische Kontinuität zu berücksichtigen, was den in diese Richtung tendierenden Architekten ein hohes Maß an Zurückhaltung abverlangt. Der andere Pol steht für eine Modernität, in der mit Traditionen oft auf brutale Schon seit vielen Jahren erregt die österreichische Architektur internationale Aufmerksamkeit, nicht zuletzt deshalb, weil nahezu jede Generation Persönlichkeiten hervorbringt, deren radikale Denkansätze und Projekte fast wie selbstverständlich Eingang in die internationalen Zirkel der Publikationen, Vorlesungen, Wettbewerbe, Ausstellungen und Preise finden. Keiner dieser Architekten jedoch könnte sein Werk – und sei es auch in anderen Ländern verwirklicht – in dieser spezifischen Form ohne die breite und stabile Basis für Architektur in Österreich verfolgen. Natürlich ist die österreichische Architektur in ihrer reichen Vergangenheit tief verankert, vor allem in einer Stadt wie Wien, in der sie in zahlreichen Gebäuden tagtäglich erfahren werden kann. Kultur spielt eine wichtige Rolle im Alltag. Österreich gibt zum Beispiel gegenüber den Niederlanden pro Kopf die dreifache Summe für Kultur aus. Der Bund, die Länder, aber auch Banken und Versicherungen verfügen über interessante Kunstsammlungen und öffentlich zugängliche Ausstellungsräume. Das gilt nicht nur für Wien, die Hauptstadt, sondern auch für kleinere Städte wie Salzburg, Bregenz, Linz und Graz, die wegen ihrer reichen Festivaltradition ein Begriff sind. Wenn auch die regionale Kultur weiterhin im Blickpunkt der Lehre bleibt, so hat sich in den letzten Jahrzehnten der kulturelle Schwerpunkt in Richtung Internationalisierung verlagert. Diese Veränderung ist nicht nur im Bereich Theater, Musik und bildende Kunst, sondern auch in der Architektur spürbar. Die von Hans Hollein anlässlich der letzten Architektur-Biennale kuratierte Ausstellung im Österreichischen Pavillon in Venedig präsentierte eine Vielzahl von Bauten, die von namhaften internationalen Architekten in ganz Österreich errichtet worden waren oder gerade errichtet werden.

Aber Österreich profitiert nicht nur von einem kulturgesättigten Klima, Österreich war und ist in gewissem Ausmaß immer noch auch ein typischer europäischer Wohlfahrtsstaat. Der Ausbildungsstandard ist hoch und viele berühmte Architekten – auf nationaler wie internationaler Ebene – können für die Lehre gewonnen werden. Kommunaler Wohnbau und öffentliche Gebäude wie beispielsweise Schulbauten werden immer noch zu großen Teilen von der öffentlichen Hand gefördert. Viele dieser Projekte werden als Ergebnis eines Wettbewerbs realisiert und aufgrund der hohen Dichte guter Architekten ist das Klima in diesem kulturellen Segment überaus kompetitiv.

Dies alles fördert eine lebendige Architekturkultur, die vielen unterschiedlichen Positionen Raum gibt. Versucht man dieses Feld zu charakterisieren, wird man unwillkürlich an das Bild der Lorentz-Kraft erinnert: Alle diese Positionen scheinen als komplexes Liniengefüge um zwei Pole zu kreisen. Der eine Pol repräsentiert den Versuch, Tradition und historische Kontinuität zu berücksichtigen, was den in diese Richtung tendierenden Architekten ein hohes Maß an Zurückhaltung abverlangt. Der andere Pol steht für eine Modernität, in der mit Traditionen oft auf brutale Weise gebrochen wird, um für neue Bedingungen Platz zu schaffen. Möglicherweise lässt sich mit diesem Modell jede beliebige Architekturkonstellation beschreiben, aber in gewisser Weise scheint es für Österreich besonders treffend zu sein, vielleicht deshalb, weil die Radikalität der dem modernistischen Pol nahestehenden Positionen seit den 1960er Jahren international viel stärker wahrgenommen wurde. Man muss allerdings hinzufügen, dass dieses Modell auf keiner Dialektik beruht, die am Ende in einer Balance der Kräfte ausklingt, sondern auf Extreme ausgerichtet ist; vor allem deshalb, weil die meisten der radikalen Werke im Ausland realisiert wurden: niemals gab es Kompromisse. Diese Werke sind über die ganze Welt verstreut und an den am wenigsten erwarteten Plätzen anzutreffen: in Mönchengladbach, Madrid, Groningen, Rotterdam, Lyon, Dresden, Lima, New York, Berlin… Und auch wenn der Gehalt dieser Arbeiten tief in der österreichischen Tradition wurzelt, hat er seine ursprüngliche Bedeutung verloren. Diese Architekten können als transmodern in dem Sinne bezeichnet werden, den Jean Baudrillard in Die fatalen Strategien im Zusammenhang mit transpolitischen Strukturen ins Spiel brachte: eine Architektur des Exzesses.1 Tatsächlich wurde das postmoderne und poststrukturalistische französische Denken in Österreich – wie Friedrich Achleitner bereits 1989 konstatierte – schon sehr früh rezipiert.2

Synthese

Aber das ist nicht die Transmoderne, die Otto Kapfinger als Kurator für diese Ausstellung im Sinne hatte. Es ist ein Blick, der nur von einem Außenstehenden kommen kann. Aus der Innenperspektive Österreichs bleibt dieses Modell dialektisch und die Spannung zwischen Modernität und Tradition muss im täglichen Leben aus-gefochten werden. Traditionen werden transformiert, während die Moderne ihrerseits einige traditionelle Werte in einem kontinuierlichen, gedankenreichen und sanften Prozess integriert. Modernität und Moderne sind integriert, behutsam reflektiert, aber selten auf die Spitze getrieben oder provoziert. Darin ist sicherlich eine besondere Qualität der österreichischen Architektur zu erkennen; diese Haltung beruht auf einer langen Tradition, die zumindest bis zu Adolf Loos zurückreicht. Aber auch Persönlichkeiten wie Otto Neurath, der an Modernisierung als an einen unaufhaltsamen Prozess glaubte, äußerte sich über die Radikalität der Architektur der Moderne, beispielsweise aus der Bauhaus-Schule, skeptisch und kritisch.

Man kann sogar behaupten, dass viele der radikalen österreichischen Architekten der sechziger Jahre, wie Hans Hollein, Walter Pichler oder
Raimund Abraham, ein großes Interesse für Geschichte und Tradition zeigten – ein Interesse, das sich nicht nur in Ausstellungen und Büchern niederschlug, sondern auch den Hintergrund für spätere Arbeiten lieferte. Dies führt dazu, dass die beste österreichische Architektur nicht nur hochkomplex und (bisweilen akribisch) geschichtet, sondern auch extrem großzügig, komfortabel und von hoher Verarbeitungsqualität ist.

Als ich 1991 für Archis eine Sondernummer über die neuere Wiener Architektur vorbereitete, warnte mich Hermann Czech, einer der interessantesten Wiener Architekten und Theoretiker, vor der These, dass die zeitgenössische österreichische Architektur 1963 mit der Ausstellung Architektur von Hans Hollein und Walter Pichler in der Galerie nächst St.Stephan ihren Anfang genommen habe.3

Die damals dort ausgestellten Werke und Manifeste zählen sicher zu den extremsten und brutalsten Ausformungen der Modernität seit Marinettis Futuristischem Manifest. Diese Ausstellung fiel wie ein Stein in den stillen Teich der Wiener Kultur und hat mit Sicherheit einige Wellen geschlagen. Die österreichische radikale Architektur bezog zwischen Archigram und den Italienern eine respektable Position. Die erste progressive Generation, zu der unter anderen Raimund Abraham, Carl Pruscha und Günther Domenig zählten, inspirierte eine ganze Reihe von Büros mit phantasievollen Namen wie Haus-Rucker-Co, Zünd-Up, Salz der Erde, Missing Link oder Coop Himmelblau. Diese Kollektive agierten wie Rockbands und produzierten Installationen und Happenings, die mehr oder weniger wie Rockkonzerte zu konsumieren waren. Heute gibt es eine dritte Welle junger Teams, die sich mit Namen wie propeller z, awg_AllesWirdGut, the next ENTERprise etc. schmücken und gleichfalls Installationen und Events organisieren. Viele dieser Arbeiten wurden und werden im Zirkel der Kunstwelt rezipiert und in Hinblick auf ihre mediale Wirkung realisiert, wie Czech bereits Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre in mehreren Essays beklagte. “Im ,Environment‘ ist jener sich fortwährend überschlagende Schwachsinn zum Begriff geworden: die Arroganz, daß die Welt an der Architektur genesen werde, und die Bescheidenheit, daß dazu die Abrundung aller Ecken erforderlich sei. Aber es nützt nichts. Kein Architekturprodukt mehr, und sei es noch so flexibel und aufgeblasen, wird die Rolle spielen, die einmal Kuppel oder Rippengewölbe gespielt haben. (…) Architektur ist nicht das Leben. Architektur ist Hintergrund. Alles andere ist nicht Architektur.”4

Renovierung

Tatsächlich spielen Medien in der Architektur wie in jedem gesellschaftlichen Segment eine immer größere Rolle, und viele der radikalen Architekten der sechziger Jahre realisieren heute ihre wichtigsten Arbeiten, während manche der jüngeren Büros heute bereits sehr früh interessante Werke verwirklichen können. Wie auch immer, in den siebziger Jahren machte sich eine wachsende Enttäuschung darüber bemerkbar, dass die progressiven Strömungen in der gebauten Wirklichkeit so gut wie keine Spuren hinterlassen konnten, von einigen brillanten, aber winzigen Geschäftsumbauten von Hans Hollein einmal abgesehen. Diese Stimmung wurde von Kritikern wie Dietmar Steiner eingefangen. Sein Text Gebautes ist immer seltener geworden ist nicht nur als melancholischer Kommentar zum Imageverlust der Sixties und der Tatsache, dass so wenig dieser Architektur realisiert werde, zu verstehen, sondern auch als Plädoyer für die Wiederentdeckung der banalsten Elemente der Architektur wie Materialien und Details.5 Andere, wie der Architekt Boris Podrecca, betrachteten Wien als eine Stadt, die in einem gewissen Sinne “komplett” sei. Wien war als Hauptstadt und politisches Zentrum eines riesigen Reiches errichtet worden, das 1914 rund 60 Millionen Untertanen beherbergte, während der heutige Staat gerade einmal 8 Millionen Einwohner zählt. Es war genug gebautes Volumen für neue Programme vorhanden und die meisten Architekturaufträge entfielen auf Renovierungen und Innengestaltungen, wo man zumeist von einem historischen Kontext ausging. In den siebziger und achtziger Jahren brachte diese Situation – so Dietmar Steiner – eine kleine und stille Architektur hervor, die sich bewusst auf die Wiener Architekturgeschichte und -theorie bezog.

Vor diesem Hintergrund nimmt die Frage “Was ist modern?” in der Architektur einen vollkommen anderen, diffuseren Charakter an als in anderen Ländern. Das hat natürlich in erster Linie damit zu tun, dass Österreich in den 1920er und 1930er Jahren keine Architektur der Moderne in strengem Sinn hervorgebracht hatte. In den großen Wohnbauprogrammen des Roten Wien suchten die Architekten nach Stilformen, die die Arbeiter beheimaten konnten. Viele Vertreter der Moderne wie Kiesler, Schindler, Neutra, Frank und Plischke waren da bereits in die USA, nach Schweden oder Neuseeland emigriert. Aber die Tatsache, dass bis in die Gegenwart herauf viele Projekte Umbauten waren, ist auch für den aktuellen Umgang mit Modernismus und Moderne prägend. Wie Hermann Czech in einem treffenden Essay über Loos formulierte: “Der Begriff Umbau beinhaltet (…) eine Dialektik zweier Bestrebungen: des Bewahrens und des Veränderns. Obwohl Loos keinen Zweifel daran läßt, daß er modern, der Zukunft zugewandt ist, liegt der Schwerpunkt seiner Argumentation auf dem Bewahren. Veränderung ist nur erlaubt, wenn sie Verbesserung bringt. Denn Typus und Form ,sind das Resultat unbewußter Gesamtarbeit der Menschen eines ganzen Kulturkreises‘ – ,der einzelne Mensch ist unfähig, eine Form zu schaffen, also auch der Architekt.‘ (…) Das Charakteristikum des Umbaus (…) besteht also darin, daß Entscheidungen bereits vorgegeben sind. Macht man sich einmal bewußt, daß jeder Entwurfsprozeß eine Entscheidungsreihe darstellt, in der spätere Entscheidungen von früheren determiniert sind, so macht es keinen wesentlichen Unterschied, ob die früheren Entscheidungen eigene oder fremde waren. Jeder Entwurfsvorgang beinhaltet Festlegungen, die von nachfolgenden Gedanken entweder akzeptiert oder umgestoßen werden müssen.”6

Diese Haltung ist nicht nur für den Umbau bedeutsam, sondern in einem umfassenden Sinn auch für Neubauten, die häufig im historischen Kontext einer Stadt oder in einem empfindlichen Landschaftsraum situiert sind. Außerdem ist die Zurückhaltung vieler Architekten nicht nur auf das gebaute Umfeld zurückzuführen, sondern hat ebenso mit der inneren Organisation von Projekten zu tun, worin das Nutzungsspektrum nicht allzu sehr eingeschränkt werden, sondern den Bewohnern ein möglichst großes Maß an Entscheidungsfreiheit anvertraut werden soll.

Jabornegg & Pálffy

Jabornegg & Pálffy sind typische Vertreter jener zurückhaltenden Richtung der österreichischen Architektur. Sie scheinen sich auf Umbauten in komplexen Situationen spezialisiert zu haben, die in dem Maße drastisch und schwierig sind wie sie selbst präzise. Einige Arbeiten sind im Kunstkontext entstanden, so etwa die Generali Foundation in Wien, die Installation für die documenta X sowie der Umbau des Südflügels eines Bahnhofs in eine Kunstgalerie in Kassel. In einem Text über Museumsbau distanzieren sich die Architekten sowohl von der Auffassung eines Museums als Kunstwerk als auch von der Hyper-Perfektionierung seiner Funktionalität, die die Kunst überstrahlt. “Beide Positionen machen deutlich, dass eine Innovation mit den Mitteln der Architektur eine beschränkte ist, ein Vokabular der Architektur, wie jedes Vokabular schnell abgenützt und außerdem insgesamt auch nicht besonders umfangreich ist. Architektur ist jedoch nicht auf ständige Innovation ihrer eigenen Mittel angewiesen, denn es gibt immer auch eine Innovation der Aspekte, die ihren Ursprung im Spektrum aller alltäglichen Wahrnehmungen haben, mit der Absicht, der immer entstehenden Normierung und Automation von Abläufen zu entkommen, was natürlich selbst wieder automatenhaft und an einem Punkt uninteressant wird.”7 Jabornegg & Pálffy beziehen sich dabei auf einfache Innovationen, die sie im Bereich Licht und Belüftung in einer Reihe von Projekten entwickeln konnten. In ihrer documenta-Installation haben sie etwa auf eine Klimaanlage verzichtet und einer natürlichen Belüftung den Vorzug gegeben. Natürlich geht es hier immer darum, dass diese Eingriffe unbemerkt bleiben. Die Architekten entwickelten auch eine Membran, die natürliches Licht in einer Weise diffundiert, bis man gar keine Lichtquelle mehr wahrnimmt; diese Elemente an Decken oder Fenstern sind vollkommen in die Architektur integriert. Das Membrandach über dem Innenhof der Schoellerbank in Wien wird als solches nicht wahrgenommen, es scheint aus Luft zu bestehen.

Vermutlich ist Architektur für Jabornegg & Pálffy mehr als für irgendeinen anderen Architekten “Hintergrund”. Liesbeth Waechter-Böhm sprach im Zusammenhang mit der documenta-Installation gar von einer “Architektur, die man nicht sieht”,8 einer Architektur, die man nicht als “Objekt” rezipieren kann, sondern die sich vollkommen auf die Organisation von Raum konzentriert. Diese Unsichtbarkeit ist einer der Grundzüge der Arbeiten von Jabornegg & Pálffy. Der Eingang zur Generali Foundation etwa ist am ehemaligen Eingang zum Innenhof eines Gründerzeitpalais situiert: Es gibt keine Außenansicht des Werkes, der Eingang ist nur durch ein Schild markiert. Andererseits mussten für die Wohnungen und Büros über dem Museum neue Stiegen und Lifte eingebaut werden, was einen rigoroseren Eingriff zur Folge hatte, als man annehmen würde.

Die Schoellerbank verschwindet vollkommen hinter bestehenden Fassaden. Dennoch zählt sie nicht zu jenen zahlreichen Bürogebäuden einer historischen Stadt, die sich die Fassade nur als leere äußere Hülle bewahren. Jabornegg & Pálffy ließen den vorderen Trakt stehen und dockten daran die neue Struktur mit einem großen Hof an, an den an zwei Seiten Büros und an den anderen beiden großzügige Stiegenhäuser, Aufzüge und die Nassräume anschließen. Die Architekten fanden zu einer Lösung, die ein völlig neues Gebäude schuf, das dennoch auf natürliche Weise in die bestehende Struktur integriert ist.

Das Museum Judenplatz in Wien wurde fast zur Gänze unter die Erde gebaut. Das war notwendig, da das Holocaust-Denkmal von Rachel Whiteread über den Resten einer mittelalterlichen Synagoge errichtet wurde, die 1420 zerstört worden war. Aufgrund der besonderen Beschaffenheit des Denkmals – der monumentalen Negativform einer Bibliothek – war ein Zutritt zu den Ruinen von diesem Punkt aus undenkbar. Deshalb wurde ein tunnelartiger Zugang vom Museum Judenplatz im so genannten Misrachihaus geschaffen, worin das religiöse, kulturelle und soziale Leben der jüdischen Bevölkerung Wiens im Mittelalter vor ihrer Vertreibung gezeigt wird.

Wie zurückhaltend sie auch sein mag, die Architektur von Jabornegg & Pálffy ist niemals neutral. Das hat nicht allein mit ihren speziellen Lösungen zu tun, sondern vor allem mit den Raumsequenzen, die man dabei durchquert: enge und weite, hohe und niedrige, dunkle und helle Räume alternieren in einer Weise, die bisweilen den Eindruck eines “rite de passage” vermittelt. Außerdem gehen die Architekten sehr bewusst mit Perspektiven um, auch wenn alles immer im Dienste der ausgestellten Objekte oder vorgesehenen Aktivitäten geschieht.

henke und schreieck

Die offenkundigsten Modernisten dieser Ausstellung sind vermutlich Dieter Henke und Marta Schreieck. Sie feiern in ihren Bauten all die Errungenschaften der Architektur der Moderne: diese sind leicht – sowohl in konstruktiver als auch in wörtlicher Hinsicht – und transparent, sie bieten großzügige Grundrisse und öffnen sich zur umgebenden Landschaft. Aber als Objekte betrachtet, sind sie in einer Weise in die Umgebung gesetzt, die an die Architektur der Tendenza erinnert. Wie autonom und frei skulptural ihre Projekte auch erscheinen, jedes Gebäude ist zu allererst ein städtebaulicher Akt, der durch öffentliche Wege und Plätze neue Verbindungen schafft und das umgebende urbane Gewebe in respektvoller Weise neu strukturiert. Sogar ein Gebäude wie bauMax, ein Baumarkt in der Nähe des Wiener Flughafens, der als UFO bezeichnet wurde und in erster Linie als Landmark gesehen werden kann, versucht die Parkplatzfrage unterirdisch zu lösen und schafft für den sonst oft vernachlässigten Gartenbereich einen geschützten Raum. Die Erweiterung eines interessanten Hotelbaus der Moderne in Hall von Lois Welzenbacher hält Distanz zum Bestand, um ihn nicht zu konkurrenzieren und den Park dahinter durchlässig zu halten.

Alle vorher erwähnten Qualitäten der Arbeiten von henke und schreieck kulminieren in ihrem bisher bekanntesten Bauwerk: dem Fakultätsgebäude der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften in Innsbruck. Es steht am Gelände einstiger Kasernenbauten, die die Beziehung zwischen der Innsbrucker Altstadt und dem Hofgarten blockiert hatten. Das Hauptgebäude gibt nun den urbanen Hintergrund des Parks ab und, da es angehoben wurde, fungiert es auch als Tor für aus der Innenstadt kommende Passanten. Das Gebäude besteht aus zwei Trakten, die durch ein von oben belichtetes Atrium verbunden werden. Einer dieser Flügel bildet einen scharfen rechten Winkel, um an dieser Seite der Stadt einen öffentlichen Platz zu definieren. Der Platz ist an der anderen Seite durch ein separates Verwaltungszentrum, das dem historischen Straßenzug folgt, locker begrenzt. Und obwohl das Projekt klare Räume schafft, ist das Überraschendste daran seine ungeahnte Offenheit. Diese übertrifft die Erwartungen des Bauherrn, der sich eine “offene Universität” mit einer lebendigen Interaktion zwischen Wissenschaft und Praxis gewünscht hatte. Das Programm des Gebäudes umfasst nicht nur Lehrräume, sondern auch Wohnungen, Büros, Geschäfte und Cafés. Vom Atrium aus lässt sich das gesamte Gebäude überblicken, selbst die Hörsäle und Büros; und überall ist man mit der herrlichen Alpenlandschaft konfrontiert.

Offenheit ist auch ein Merkmal der Schule am Leberberg in Wien. Hier ist teilweise jene Offenheit spürbar, die in der Architektur der Moderne so häufig zelebriert worden war: die Öffnung der Ecken der Klassenzimmer erinnert an Duikers Open Air-Schule in Amsterdam und an Rietvelds Haus Schröder in Utrecht. Aber auch hier ist das Gebäude mit aller Sorgfalt als öffentliches Bauwerk und Kernstück einer neuen Umgebung geplant. Dies kommt bereits im Glasdach über dem Eingangsbereich symbolisch zum Ausdruck, aber auch in henke und schreiecks Umgang mit innenliegenden Korridoren, die zu Kommunikationsflächen ausgebildet wurden und so an die Arbeiten holländischer Strukturalisten wie Herman Hertzberger erinnern, jedoch weitaus mehr Großzügigkeit ausstrahlen.

Riegler Riewe

Die Architektur von Florian Riegler und Roger Riewe wurde oft als eine der vielen Spielarten der internationalen Minimalismus-Bewegung miss-verstanden. Tatsächlich beruhen ihre Projekte im Allgemeinen auf einer Komposition rektangulärer Körper und interessanter Details, indem Beton und industrielle Werkstoffe auf ungewöhnliche Weise kollidieren und subtile, vielfältige Effekte der Transparenz und Schichtung erzeugen. Vor allem das Frühwerk, wie etwa der Flughafen in Graz, können den Eindruck vermitteln, dass darin die Essenz ihrer Arbeit zu finden sei.

Aber Roger Riewe hat sich dazu immer klar geäußert: “Unsere Architektur ist nicht eine der ,gebauten Bilder‘. Sie schafft Strukturen, offen und präzis zugleich: Rahmen für den komplexen Fluß der Bilder des Gebrauchs.”9 In ihrem letzten Buch betonen sie diesen Aspekt, indem sie einige ihrer Wohnbauten anhand von Bildern des holländischen Fotografen Bas Princen präsentieren, die diese Häuser nach Jahren des Gebrauchs zeigen, eine Außenansicht fast vermeiden und sich darauf konzentrieren, wie die Menschen darin leben.10 Auch wenn die Rückkehr von Personen in die Repräsentationsformen von Architektur bis zu einem gewissen Grad im aufgeschlossenen Diskurs wieder en vogue ist, buhlen diese Fotos keineswegs um die Auffassung von Architektur als ästhetischem Phänomen. In diesem Sinn passen sie zur Tendenz dieser Ausstellung, Architektur als Hintergrundphänomen zu betrachten.

Wie auch immer, Riegler Riewe ist das einzige Büro in dieser Ausstellung, das nicht von Wien, sondern von Graz aus arbeitet. Die Bedeutung, die die Wiener Büros dem historischen Kontext beimessen, sei es der Stadt oder einem bestehenden Gebäude, wird in der Arbeit von Riegler Riewe weniger manifest, auch wenn die Bauten ebenfalls in einer Weise in ihren Kontext gesetzt sind, in dem Einflüsse der Tendenza anklingen. Andere Projekte erinnern mehr an den Strukturalismus bzw. an die Arbeiten des Team X. In den Institutsgebäuden der TU Graz vereinen sich diese Einflüsse zu einer unerwarteten, aber stimmigen Synthese: in einer Matrix linearer Betonriegel werden Zwischenräume geöffnet, die einen informellen Rundgang und Platzsituationen innerhalb des Projekts schaffen.

Vor allem in ihren Wohnbauprojekten wird die Wichtigkeit des sozialen Aspekts deutlich: Wenn man das Interesse Riegler Riewes an Typologien bedenkt, fühlt man sich erneut an die Tendenza erinnert. Aber sobald man die Pläne genauer betrachtet, wird deutlich, dass diese Typologien ihren Glauben aufgegeben haben, dass sich Leben in mehr oder weniger stereotyper Weise und in aller Stille vollzieht. Ganz im Gegenteil: Die Grundrisse können in ganz unterschiedlicher Weise belebt werden, und manchmal sind ambivalente Räume enthalten, die die Bewohner zu Entscheidungen zwingen. Diese Zwischenräume sind als Reminiszenzen an ähnliche Ansätze in Projekten von Aldo van Eyck und Herman Hertzberger zu lesen, enthalten aber viel mehr Spannung, ähnlich wie in Rem Koolhaas' sozialen Kondensatoren.

Jabornegg & Pálffy, henke und schreieck und Riegler Riewe sind nur einige Beispiele, die zeigen, dass Österreich eine solide Basis für hochwertige Architektur zu bieten hat. Darin wird eine Qualität manifest, die sich nicht nur in besonderen Fällen entfaltet; Architektur ist nicht auf eine begrenzte Anzahl öffentlicher Bauten beschränkt, die den Künsten oder der Politik gewidmet sind, sondern spielt im alltäglichen Leben eine lebendige Rolle.



Anmerkungen

01) Jean Baudrillard, Die fatalen Strategien, München: Matthes & Seitz, 1991
02)Friedrich Achleitner, “Der Wiener typologische Fatalismus”, in: Otto Kapfinger; Franz Kneissl (Hg.), Dichte Packung, Architektur aus Wien. Salzburg–Wien: Residenz, 1989
03) s. Bart Lootsma; Pieter Jan Gijsberts, “Metaforen en metamorfosen, Drie decennia Weense architectuur”, in: Archis 2/1991
04)Hermann Czech, “Nur keine Panik” (1971), in: H.C., Zur Abwechslung. Ausgewählte Schriften zur Architektur Wien
(verbess. u. erweit. Auflage). Wien: Löcker, 1996, S. 63
05)Dietmar Steiner, “Gebautes ist immer seltener geworden”, in: Archithese 3/1982
06)Hermann Czech, “Der Umbau” (1989), in: H.C., Zur Abwechslung, a.a.O., S. 126f
07)Jabornegg & Pálffy, “Gückliche Hochzeiten / Successful Marriages”, in: Architektur Aktuell, Nr. 249, Dez. 2000, S. 53
08)Liesbeth Waechter-Böhm, “Architektur, die man nicht sieht”, in: Die Presse, Spectrum, 28.6.1997
09)“Rahmen – Bild des Gebrauchs”, Roger Riewe im Interview mit Otto Kapfinger, in: Riegler Riewe. Arbeiten seit 1987.
Wien: Löcker, 1994, S. 21
10)Architekturstiftung Österreich (Hg.), Definite Indefinite. Riegler Riewe. Wien–New York: Springer, 2002