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Die Beschriftung der Welt schreitet ebenso voran wie der Bau von Museen. Und immer seltener steht das drauf, was drinsteckt. Sei es, wie jüngst beobachtet, im Fall der etwas üppigen älteren Dame mit der Aufschrift „Blue Girl“ auf der gewölbten Front ihres roten Pullovers oder bei dem daneben stehenden Jüngling, den sein T-Shirt als „Dark Terrorist“ kennzeichnete. Am ehesten erreicht da noch die japanische Touristin mit ihrer Tasche in tapetenartig überzogenen „LV-Muster“ (für Louis Vuitton) im Ansatz das, was andere in Parallelwelten versuchen: die Abstraktion der Schrift als eindeutiges Zeichen für Qualität, die oft nur mehr im Unterbewussten wahrgenommen wird. Es soll an dieser Stelle aber nicht Mode oder die Einführung einer neuen Marke im Markt besprochen werden, sondern Architektur für Kunst. Von Manuela Hötzl.

Lentos - Neubau des Kunstmuseums in Linz

Architekten: Weber + Hofer AG, Zürich

In diesem Sinne ist man ein wenig überrascht, wenn man sich in Linz über die Hauptbrücke auf die soeben eröffnete strahlende Kiste am Donau-Ufer mit der Aufschrift „Lentos“ zubewegt. Muss man wissen, das „lentos“ der keltische Name für Linz ist und „an der Krümmung des Flusses liegend“ bedeutet? Der Name ist freilich gut gewählt, bezieht er sich doch genauso plakativ wie metaphorisch auf den Ort wie das auf das Gebäude, das sich sofort in das Stadtbild einfügt und dennoch kaum auffälliger sein könnte. Die Kunst der Kiste beweist sich am Lentos in Linz in allen Maßstäben und unter allen Gesichtspunkten. Die vielleicht berechtigte Frage, warum denn schon wieder ein Kunstmuseum gebaut wurde, lässt sich dagegen schlüssig erklären: Zusammen mit ihrer 1320 Werke umfassenden Sammlung war die Oberösterreichische Landesgalerie seit 1979 im obersten Geschoss des Wohn- und Geschäftszentrum „Lentia 2000“ untergebracht. Dieser Raum, knapp bemessen und nicht adäquat, stellte seit Jahren ein großes Manko der Linzer Kulturlandschaft dar. Das Lentos ist eine rein regionale Initiative der Stadtregierung. Die Stadt Linz stellte nicht nur den hervorragenden Standort, sondern auch alle finanziellen Mittel für den Neubau zur Verfügung, was für ein Museum dieser Art und Größe in Österreich ungewöhnlich ist.
Im Jahre 1998 wurde das Projekt der Schweizer Architekten Weber & Hofer aus 219 Wettbewerbsteilnehmern von der Jury zur Realisierung empfohlen. Heute, fünf Jahre später, steht der Bau genauso da, wie er damals im Maßstab 1:100 präsentiert wurde. Auch wenn Änderungen nicht unbedingt Kompromisslösungen bedeuten müssen - dieser Museumsbau wurde von Anfang an so zügig vorangetrieben, dass die Architekten, und damit ihr Entwurf, nie im öffentlichen oder politischen Apparat zentrifugiert wurden - anders als das Musiktheater in Linz, dass in einer Volksabstimmung abgelehnt wurde. Im Windschatten dieser kulturellen Öffentlichkeit wuchs das Lentos fast unbemerkt am prominenten Bauplatz des Donau-Ufer mitten in der Stadt.
In Linz hatten Weber & Hofer mehr Glück als in Graz, wo das Büro 1997 den zweiten von insgesamt drei Wettbewerben für ein Kunsthaus gewonnen hatte, das nun an anderer Stelle von Peter Cook und Colin Fournier realisiert wird. Ihr Entwurf geht von einem leuchtenden Baukörper aus, der sich „in der Donau spiegelt und die Silhouette von Linz“ ergänzt. Und wirklich: strahlend reflektiert das Lentos nun Stadt und Fluss in seiner kristallinen Fassade, des Nachts aber leuchtet es wie ein Hochzeitschiff auf dem Weg nach Odessa.
Das Lentos beweist Eigenständigkeit und integrative städtebauliche Qualität bis ins Detail. Als schlanker, 130 Meter langer Betonkörper folgt der Bau in seiner Ausrichtung und Lage dem Hochwasserdamm und „ankert“, wie die Schiffe davor, am grünen Donaupark. Trotz geringer Höhe wird aus der Ferne sofort deutlich, wie gut sich das Museum als prominenter Kopfbau der Stadt eignet. Mit auflösenden Übergängen verschleiert es seine wahre Dimension so lange, bis man direkt davor steht. Jede Sicht zeigt den Bau in scheinbar anderen Proportionen. Die torartige Kristallbox ist im Erdgeschoss durchgebrochen; eine seitlich offene Halle teilt das Gebäude funktionell – ein Restaurant in Richtung Stadt und vis-à-vis der Eingang des Museums. Als Spange zwischen Stadt und Standort beschreibt Jürg Weber das Konzept.
Dazwischen liegt die 60 mal 24 Meter große, stützenfreie „Skulpturenhalle“ ist ein überdachter Platz innerhalb des Gebäudes und zugleich eine Erweiterung des Stadtraums. Sie gibt den Blick auf die Donau frei und umrahmt den Ausblick wie ein seltenes Schmuckstück. Steht man auf diesem Plateau, so verkehrt sich der monochrome Körper in einen differenzierten Raum: Die Donau, die sich im Glas des Daches spiegelt, wird zum rauschenden Himmel. Diese Impression verstärkt sich im Inneren durch Panoramafester und Durchblicke, die nie den speziellen Standort vergessen lassen.
Und obwohl sich der Bau, schaut man genauer hin, keinen „schicken“ Detaillösungen hingibt und durchaus hinter die Kulissen blicken lässt, wird die Konstruktion nie programmatisch eingesetzt. So sieht man hinter den Glasplatten der Fassade rohe Dämmmaterialien, die Brückenkonstruktion, die die stützenfreie Skulpturenhalle überspannt, wird mühelos und unaufgeregt von Decken und Wänden im Inneren aufgenommen. Das Untergeschoss ist als Betonwanne ausgeführt, um Erdruck und Gebäudelasten abzuleiten und mehr als hundert Betonzugpfähle verhindern den Auftrieb des Gebäudes bei Hochwasser. Dieser konstruktive Unter- und Oberbau erklärt auch die relativ lange Bauzeit.
Betritt man das Gebäude durch die knapp sieben Meter hohen Skulpturenhalle, so wirkt der Eingang selbst relativ gering dimensioniert; innen findet man sich in der dreigeschossigen Zwischenschicht des Treppenhauses wieder, in dem die vertikale Ausdehnung des Gebäudes betont wird. Das Treppenhaus aus Sichtbeton wurde aufwendig geschalt, Lauf und Brüstung sind vor Ort in einem Stück gegossen worden, um jegliche Arbeitsfugen zu vermeiden.
Danach gelangt man in das großzügige Foyer, an welches der Vortragsaal, Büros und Räume für Museumspädagogik angeschlossen sind. Im Obergeschoss können im Rundgang elf Ausstellungsräume durchwandert werden. Durch das vollständig verglaste Dach, wird der gesamte Ausstellungsbereich in ein natürliches Licht getaucht, ein Konzept, das zusammen mit einem Naturlichtplaner entwickelt und umgesetzt wurde.
„Kunst ist eine Auseinandersetzung mit Licht“, meint Architekt Weber, und dies wird nicht nur im Inneren deutlich. Die Außenfassade, mit vorgehängte Verbundglasscheiben und der 35.000-mal wiederholten verspiegelten Aufschrift „lentos kunstmuseum“ hat in der Unterkonstruktion integrierte Leuchten, die das Museum nachts zum Leuchten bringen können und in Farbton(im Spektrum von Rot bis Blau) und Helligkeit variabel sind.
Die Materialien sind, konstruktiv wie gestalterisch, im Wesentlichen auf Beton und Glas reduziert. Wenige Ausnahmen, wie zum Beispiel die Metallgitterverkleidung im Treppenhaus, ergänzen die minimalistische Wahl der Materialien. Stringent zieht sich die Reduktion auf das Wesentliche durch das ganze Gebäude. Doch wurde dies nicht alles erklären. Das Museum definiert sich durch die Elemente von Körper, Raum, Öffnung und Licht. Variationen dieser Elemente, manchmal verspielt, oft klar und pragmatisch, immer auf den entsprechenden Ort bezogen, bestimmen das räumliche Gesamtgefühl, das nie von Einzelheiten überstimmt wird.
Frei von Hierarchie wie die Wiederholung des Schriftzugs an der Fassade, ist jeder Raum nicht Teil des Ganzen, sondern stete Fortsetzung. Der Eindruck der Transparenz bestimmt trotz einhüllender Betonhülle das Gebäude von innen wie von außen. Fragmentarisch, aber allgegenwärtig bleibt der Bezug zur Umgebung von allen Standorten aus. Durchlässigkeit und fast unbemerkt inszenierte Durchblicke charakterisieren jeden Raum, auch den städtischen. Es ist ein öffentliches, durchlässiges Gebäude, das benutzt werden will und wie eine Tasche von Louis Vuitton zwar Luxus ausstrahlt, aber dennoch handlich und benutzbar bleibt.
„Lentos“ werden die 100.000 Passagiere der Donauschiffe, die jährlich hier vorbeiziehen, von weitem auf der Fassade lesen können. Doch schon bei der Eröffnung verwendete das Museum nicht den Schriftzug als Logo, sondern die Struktur des Gebäudes selbst. Ein Arc de Triomphe für Linz.



erschienen in Bauwelt 23/13.Jun.03
> Lentos - Kunstmuseum Linz