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Von Bart Lootsma.

AllesWirdGut

Architektur: AllesWirdGut

Das Kollektiv AllesWirdGut begann zunächst mit einer Serie von Projekten, die sich der Moderne in schamlosester Weise verschrieben hatten.Mit seiner Installation turnOn, die in vielen Ausstellungen gezeigt wurde, legte das Kollektiv ein Lippenbekenntnis zu jener experimentellen und optimistischen Architektur- und Designpraxis der sechziger und siebziger Jahre ab, die von der Raumfahrt und Filmen wie Stanley Kubricks 2001 – Odyssee im Weltraum beeinflusst waren. Ein Polyesterzylinder von drei Metern Länge enthält verschiedene Möbelstücke, sodass er sich durch eine Drehung vom Wohnzimmer in ein Schlafzimmer und weiter in die Küche und das Badezimmer verwandelt. Andere konzeptionelle Projekte glorifizieren die Ästhetik des Asphalts und der Infrastruktur auf eine Weise, die an die Schule von Rem Koolhaas erinnert. Recht bald allerdings begann AWG einige Wettbewerbe zu gewinnen und die entsprechenden Projekte zu verwirklichen. Man trennte sich nie völlig von den eigenen modernistischen Ansichten, aber bei ihrer Umsetzung bediente man sich gemäßigterer Mittel, besonders bei der Wahl des Materials. Das Atmosphärische, oftmals wie in der Werbung eingesetzt, wurde ein wichtiger Bestandteil der Arbeit. Bei der Reihe von Modegeschäften, die AWG für die Franchise-Kette Don Gil schuf, war das denn auch kaum zufällig. Stil und Atmosphäre sind schließlich wichtige Aspekte der Mode. Verblüffend bleibt dabei allerdings, dass AWG bei diesen Läden den Akzent weniger auf ein modernes, offenes Konzept legte, sondern eher auf die Intimität einer Art von begehbaren Schränken abzielte. Vom Eingang her lassen sich wohl Ausmaß und Maßstab des Geschäftes im Ganzen erkennen, dennoch gewinnt man keinen kompletten Überblick. Man muss eintreten und sich in den zahlreichen einzelnen Kabinetten verlaufen. Natürlich passt dieses Konzept aufs Vortrefflichste zu der kommerziellen Idee, die hinter Don Gil steht und besagt, dass alle Kleidungsstücke jederzeit und in allen Größen griffbereit im Laden vorhanden sein müssen, weshalb dieser auch Unmengen von Lagerraum benötigt. Zugleich wirkt es aber auch wie eine Rückkehr zu einer traditionelleren Art von Herrenbekleidungsgeschäft, ein Eindruck, der von den dominanten dunklen Holztönen und tiefen Farben noch unterstrichen wird, die hier Verwendung fanden.

Faszinierenderweise überschneidet sich die Entwicklung, bei der die Atmosphäre in den Arbeiten von AWG an Bedeutung gewann, mit der Einführung intimerer, geschlossener Räume innerhalb der größeren, modernistischen Strukturen, derer man sich immer noch in Anlehnung an Koolhaas und seine Nachfolger bedient.

Der KIGA Kindergarten in St. Anton am Arlberg in Tirol hält noch behutsamer, aber auch überzeugender die Balance zwischen einem knallharten modernistischen Zugang und der Bereitschaft, Kompromisse einzugehen. Tatsächlich lässt sich das Gebäude auf zwei verschiedene Weisen interpretieren. Formal gesehen besteht es aus einem flacheren, niedrigeren Teil – einer Schachtel mit schoberartiger Überdachung – und daneben einem gebogenen, rechteckigen Schlauch. Andererseits ist diese Kombination, wegen der Art, wie die Elemente aufeinander bezogen sind, geradezu ein kontextualistisches Musterbeispiel. Der höchste Punkt des Schlauchs wirkt beinahe wie ein Steildach und fügt sich damit mühelos in die Szenerie der schrägen Dächer des übrigen Dorfes ein. Das niedrigere Gebäude mit seinem abgeflachten und gerippten Dach, das an das eines Industriebaus erinnert, passt vom Typus her zu den kleinen industriellen und landwirtschaftlichen Schuppen, die man ebenfalls in diesen kleinen Ortschaften antrifft. Die grauabstrakten Vertäfelungen an den Fassaden sind eindeutig modernistisch, aber der Eindruck wird durch übergroße Fensterrahmen aus Holz wieder wettgemacht, wie ein Baudrillard- artiges Simulakrum, das vage an die traditionellen Fensterrahmen und Balkons in der Nachbarschaft gemahnt und zugleich eine warme Gemütlichkeit im Inneren des Gebäudes suggeriert.

Indessen stellt sich die Heimeligkeit, die man von der äußeren Erscheinung her erwartet, drinnen keineswegs sofort ein, etwa aufgrund der verwendeten Materialien, wie beispielsweise Holz. Im Inneren gibt es zunächst wiederum eine subtile Interaktion zwischen modernistischer Abstraktheit und atmosphärisch dichten Simulakren. Der Korridor gemahnt an eine fabrikmäßige Typologie, hier gehen die Kinder schließlich zu Werke! Weiße Wände und hölzerne Fußböden schaffen eine helle Atmosphäre, die gelegentlich durch Farbakzente an den Wänden, Möbeln oder Lampen aufgeheitert wird. Nach innen verlegte Wintergärten mit Bambus, Kiesel und scheinbar zufällig platzierten Steinen erinnern entfernt an die japanische Tradition wie bei manchen von Francine Houbens Arbeiten für das Delfter Architekturbüro Mecanoo. Gleichzeitig übernehmen funktionale Elemente, wie beispielsweise eine Kletterwand, auch eine dekorative Rolle. Letztere erinnert an die Arbeit von NL Architects, insbesondere an das WOS 8 Gebäude von Leidsche Rijn im niederländischen Utrecht. In Momenten wie diesen besitzt die Arbeit von AWG einen geradezu eklektischen Anstrich.



Bart Lootsma (geboren 1957) lebt in Wien und arbeitet als Historiker, Kritiker und Kurator in den Bereichen Architektur, Design und Visuelle Kunst. Er ist Gastprofessor an der Technischen Hochschule Zürich (ETH) und Studio Basel. Davor war er Gastprofessor an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg, Gastprofessor für Architekturgeschichte und Theorie an der Universität für Angewandte Kunst in Wien und „Thesis-Tutor“ am Berlage Institut in Rotterdam. Als Autor schreibt er für ARCHIS und GAM, ist Mitglied des Wissenschaftskommitees von archilab in Orléans und Gastkurator von archilab 2004, Kurator der Schneider Forberg Stiftung in München und Vorstandsmitglied des Holländischen Kultur Beirats (Dutch Culture Council). Zusammen mit Dich Rijken veröffentlichte er das Buch "Media and Architecture" (VPRO/Berlage Institute, 1998). Sein Buch "SuperDutch" über die jüngste Architektur in den Niederlanden wurde von Thames & Hudson, Architectural Press, DVA und SUN im Jahr 2000 publiziert. "archilab 2004 The Naked City" wurde 2004 und "Body & Globe", eine Sammlung von Essays, 2005 von HYX in Orléans publiziert.

Text erschienen in:

Einfach! Architektur aus Österreich. Just! Architecture from Austria

ISBN 3-901174-61-3
978-3-901174-61-2
Verlag Haus der Architektur Graz
2006/148 Seiten/pages
Verkaufspreis/price: € 28,90
> LinK.2001 Odysee im Weltraum > Link:OMA/Rem Koolhaas- > Link:Don Gil- > Link:NL Architects- > Mehr zu "Einfach! Architektur aus Österreich"- > Link:Haus der Architektur Graz- > Link:FSB Greifen+Griffe-