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Bratislava, nur 66 Kilometer von Wien entfernt und jüngste Hauptstadt Europas, einst hinter dem Eisernen Vorhang, war im Jahr 2003 in Österreich in aller Munde, kulturell jedenfalls: Die Ausstellung „Stadt in Sicht“ im Künstlerhaus stellte die Kunst und die Künstler der jüngeren Generation aus Bratislava vor (Kuratorinnen: Henny Liebhart-Ulm und Anna Soucek). Die viel rezensierte Schau im Ringturm „Architektur Slowakei – Impulse und Reflexion“ gab einen vielschichtigen Überblick über die Bauten des letzten Jahrhunderts bis heute (Kurator: Adolph Stiller).
Von Manuela Hötzl.

Bratislavas Architekturszene im Porträt

Der Beitritt zehn neuer Länder am 1. Mai 2004 verändert nicht nur die Europäische Union

Im Alltag dagegen sieht die Bestandsaufnahme der Verbindung Wien – Bratislava weit weniger gut aus. Gibt man in einer Straßenkarten-Suchmaschine im Internet „Wien – Bratislava“ in den Computer ein, folgt die Meldung: „Kein Ort entspricht Ihrer Suche. Bitte starten Sie eine neue Anfrage.“ Nimmt man dieses Angebot nicht in Anspruch, sondern gleich sein Automobil und verlässt sich auf die Beschilderung der Straßen, spürt man allerorts die österreichische Ignoranz, dass irgendwo hinter der Staatsgrenze eine Hauptstadt liegen könnte. Die ehemalige Verbindung via Straßenbahn, die bis zum Ersten Weltkrieg zwischen den beiden Städten existierte, kann man sich auf den verschlungenen Wegen Richtung Bratislava kaum noch vorstellen. Österreich, und ganz besonders seine Hauptstadt, steht nicht nur an der Schwelle zu diesem Neuen Europa, sondern mittendrin. Aber weiß man das hier auch?
In Bratislava geht niemand davon aus, dass man seine Stadt in Wien kennt. So begann auch der Architekt Imro Vasko, den der Architekturkritiker Jan Tabor im Zuge seiner frisch installierten Architekturloge ins Wiener Büro „pool“ eingeladen hatte, seinen Vortrag im Dezember vergangenen Jahres mit den Worten: „Ich glaube nicht, dass jemand von euch schon einmal in Bratislava war“, um anschließend sein Wettbewerbsprojekt im Zentrum der Stadt vorzustellen. Das im Übrigen durch seine Experimentierfreudigkeit und einen strukturellen, wenn auch etwas chaotischen Ansatz auffiel. Eine Art Statement gegen Investorenarchitektur. Die Zeit der Anbiederung ist auch in Bratislava vorbei.

Zweifacher Aufbruch

Isabella Marte, Kuratorin im Architekturzentrum Wien, schreibt als Vorwort in der AZW-Publikation „hintergrund“, in der der Wiener Architektur Kongress 2002 „Das nächste Europa“ dokumentiert wurde: „Die arrogante Politik des Westens, die osteuropäischen Länder als ,Bittsteller‘ zu behandeln, die zunächst daran arbeiten müssen, ,europareif‘ zu werden, stellt eine recht unfruchtbare Basis der gegenseitigen Annäherung dar. Denn unabhängig von klar definierten politischen, juridischen, administrativen, wirtschaftlichen Richtlinien, die die Beitrittsstaaten zu erfüllen haben, gibt es ein breites Feld, das nicht durch Regulierungen und Evaluierungen definierbar ist: der Umgang mit dem intellektuellen und kulturellen Erbe, sei es in der Kunst, Musik, Literatur oder auch in Architektur und Städtebau.“
Einen Kongress später, im Jahr 2003, spricht Gerhard Schulze, Soziologe an der Universität Bamberg, in seinem Vortrag „Steigerung, Annäherung, Expedition. Über den Wandel von Stadt und Gesellschaft im 21. Jahrhundert“ von einer klaren Unterscheidung zwischen „Ost- und Weststädten“ und deren Entwicklungen. Er stellt eine „Zeit eines zweifachen Aufbruchs“ fest. Die Stadt gilt für ihn als „symbolischer Raum für lokale Identität“, wobei man sie entweder als „gegebene Struktur“ oder als „gegebenen Prozess“ sehen kann. Der „Westen“ sorgt für die Verbesserung der Lebensumstände in dieser und besinnt sich auf ihre Kultur. Der „Osten“ befindet sich nach einem „Urbizid“ eher in einer Phase der „Wiederbelebung“, der „Reanimation“ und auf dem Weg zu „direkten Erfolgserlebnissen“, wie Schulze meint. Bleibt man bei diesen Definitionen, synchronisieren sich Westen und Osten auf eine gewisse Weise, kommen sich eine Zeit lang näher, um sich dann wieder zu unterscheiden.
Für den Osten bedeutet dies vor allem eine Aufarbeitung der Geschichte und konkret: Investitionen in die Infrastruktur. Die Slowakei, ebenso wie Slowenien, strebt in erster Linie ihre Funktionstüchtigkeit an, indem sie etwa ihr Straßennetz ausbaut. Die Energie für die Entwicklung eines Stadtraums als „symbolischen Raum lokaler Identität“, wie sie der Westen betreiben kann, wird dadurch derzeit noch kräftig abgezapft.

Bratislava: luxuriös und idyllisch

Bratislava ist mit knapp 450.000 Einwohnern nicht nur eine kleine Stadt, sondern war aufgrund seiner noch nicht langen Funktion als Hauptstadt nie in eine Machtpolitik involviert. Das zeigt sich bis heute in der Architektur. Obwohl Bratislava auch in der jungen Slowakei eine Sonderposition einnimmt, die wenigsten Arbeitslosen aufzuweisen hat und dort die größten Investitionen innerhalb der Slowakei stattfinden, präsentiert sich die Innenstadt fast idyllisch im Ambiente und luxuriös als Einkaufsstadt. Politisch ist die Regierung Mitte rechts positioniert. Der Bürgermeister von Bratislava, ein Christdemokrat, setzt, typisch für osteuropäische Staaten, auf Privatisierung. Für das zukünftige Bild der Stadt wird das Donauufer, dessen Grundstücke großteils schon verkauft sind, von Bedeutung sein. Dieses Gebiet, als Front vor der Stadt, wird das Gesicht des modernen Bratislava prägen.
Die Slowakei, ehemals zu Ungarn gehörig und anschließend im tschechoslowakischen Staat als ewig „Zweite“ am Rande, blickt mit Tschechien auf eine gemeinsame vierzigjährige kommunistische Geschichte zurück. Obwohl Mitte des Jahrhunderts die Slowakei schon kurz ein selbstständiger Staat war, kann das Land erst seit 1991 zum ersten Mal eine eigene Kultur und Geschichte aufbauen. Auch wenn lange Zeit das von Prag aus zentralistisch geführte Land von vielen Einflüssen aus der Hauptstadt geprägt war, hatte Architektur in dieser Geschichte immer eine große Bedeutung. Besonders seitdem Bratislava seine eigene Kunstgewerbeschule hatte und 1947 die Technische Hochschule mit einer eigenen Fakultät für Architektur ergänzt wurde, zu deren Absolventen etwa Dusan Kuzma zählte, nach dem auch der wichtigste Architekturpreis der Slowakei benannt ist. Weitere Ausbildungsstätten waren natürlich Prag und Brünn, aber auch das Bauhaus in Dessau oder Wien. Alle diese Einflüsse sind in Bratislava zu spüren und doch wesentlich differenzierter als in Tschechien oder Russland, weil das Land seine eigene Identität noch nie über einen längeren Zeitraum pflegen konnte.
In Zeiten des Kommunismus planten ausschließlich „Kollektive Architekturbüros“, also staatlich gelenkte Architektengemeinschaften, öffentliche Bauten, wie etwa die Nationalgalerie am Ufer der Donau, die der Architekt und Vizepräsident vom Architektenverband Ján Bahna als „Symbol für sozialistische monumentale Architektur des damaligen Regimes“ bezeichnete.
Die Architekturbüros im Bratislava von heute arbeiten für sich und man kann sie kaum wie im „Westen“ in „junge“ und „alte“ einteilen, bedenkt man, dass durch die politische Situation allesamt erst 1991 begonnen hatten, unter ihrem eigenen Namen zu bauen. Martin Pasko vom „MSTUDIO“ hat in den neunziger Jahren in Wien bei Ortner & Ortner gearbeitet und glaubt nun mit seinem Partner Zoran Michalcak an seine Zukunft als Architekt in Bratislava. Nach Wien schaut er kaum, obwohl er auch hier eine Außenstelle gegründet hat. Dagegen scheint es für ausländische Architekten schwer zu sein, in Bratislava Fuß zu fassen. Noch setzen die großteils inländischen Investoren auf inländische Architekten. Außer dem niederländischen Architekten Erick van Egeraat, mit Büros in London, Rotterdam, Prag und Budapest, hat sich kaum ein anderer Kollege in Ost und West etablieren können. Egeraat hat auch in Bratislava an der Uferpromenade, die eines der wichtigen Stadterweiterungsgebiete darstellt, einen Masterplan für ein ca. 50.000 m² großes Areal entworfen, der bis zum Jahre 2007 realisiert werden soll.
Das mag sich mit der EU-Öffnung ändern. So isoliert die Geschäfte auch ablaufen, Universitäten und die Architekten selbst sehen sich durchaus von der „internationalen Lage“ beeinflusst, wie Ján Bahna vom Architekturbüro AA (Atelier Architektúry) meint. In Bratislava finden er und seine Kollegen viele österreichische Einflüsse, selbst orientiert er sich gerne internationaler.
Bahna ist ein engagierter Architekt bei der SAS (Verband der Architekten der Slowakei), die mit einer eigenen Architekturgalerie und den Magazinen „Projekt“ und „Forum“ aufwarten kann. Neben diesen teilweise staatlich subventionierten Publikationen existieren das von Architekturkritiker Martin Masek initiierte Magazin „ARCH“ und einige slowakische Internetplattformen, wie das – als Einziges auch in englischer Sprache publizierte – „archinet“. Die Architekturszene ist rege und bemüht sich seit Jahren um internationale Kontakte. So hat die Akademie seit langem einen Austausch mit der Wiener „Angewandten“ und seit Herbst Jan Tabor als Gastprofessor engagiert. Der amerikanische Architekt Greg Lynn bekam ein Ehrendoktorat verliehen, das sein Engagement für Austauschprogramme slowakischer Studenten würdigt.
Bratislava ist eine sehr sympathische Stadt mit jugendlichem Hauptstadtcharakter. Keine extravaganten Auswüchse haben die Geschichte der Stadt und ihre Bauten geprägt und doch finden sich allerorts moderne Relikte aus der tschechoslowakischen Ära. Juwele, die auch endlich ihre Anerkennung finden und außerdem in Kürze in einem umfassenden Architekturführer zu bestaunen sein werden. Übertriebenen Historizismus und postmoderne Auswüchse, wie man sie in vielen osteuropäischen Städten von Zagreb bis Moskau findet, entdeckt man in der Stadt kaum. Der Charme des Ostblocks ist nur noch vereinzelt und in wenigen Außenbezirken wirklich präsent – ganz wie in Wien. Das gibt es noch zu entdecken.



Abb. 1: Fridrich Weinwurm, Ignác Vécsei: Bohuslav Fuchs. Foto: S. Slachta
Abb. 2: Vladimir Dedecek: Zubau zur slowakischen Nationalgalerie aus den siebziger Jahren. Foto: Manuela Hötzl
Abb. 3: Ivan Matusik: Einkaufszentrum, Bratislava 1959–1964.
Foto: Rajmund Müller
Abb. 4: Ján Bahna und Partner: VUB-Bank, Bratislava, 1995–1996. Foto: Lubo Stacho
Mietshaus, Bratislava 1936. Foto: S. Slachta

erschienen in Architektur&Bauforum 23/Dez.03, Titelgeschichte