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Von Walter Chramosta.

Ein Brettspiel im Heimatschutzbezirk. Die Tourismusutopisten von Lech

Architektur: Philip Lutz und Allmeinde

Exemplarische Bauherrenkonstellationen in alpinen Lagen von Vorarlberg, Nr. 3

Lech am Arlberg: eine Premiumdestination des Skisports, eine saisonale Wertschöpfungsmaschine, die auch Heimat sein soll. Lech strebt offiziell „Qualitätsführerschaft“ an, will „das führende Skidorf in den Alpen“ werden. Seit den fünfziger Jahren hat sich die Einwohnerzahl verdoppelt, die Zahl der Nächtigungen verzehnfacht. Die Volkszählung 2001 ergab 1.466 Einwohner, in der Hauptsaison halten sich bis zu 14.000 Menschen in Lech auf. Mit 9.000 Gästebetten werden etwa 1 Million Nächtigungen pro Jahr erzielt. Der Gemeindesteuerertrag pro Kopf liegt fünfmal höher als der Vorarlberger Landesschnitt. Bei der Gemeindevertretungswahl 2005 erhielt die Bürgerliste Lech-Zürs 70 Prozent der Stimmen, die Liste „Zukunft Lech / mitdenken – umdenken“ 30 Prozent.

Durch die Rodung des Tannbergs entstand jene hochmontane Passlandschaft, die jahrhundertelang karges Bauernleben sicherte und sich dann für Skiterrainzwecke prädestiniert erwies. Das gepflegte Gelände ist gewissermaßen das „Eigenkapital“ von Lech. Der Arlbergtourismus löste einen unumkehrbaren Gestaltwandel aus: vom Walserdorf zum heutigen dispersen Gefüge architektonisch unbedeutender Gewerbebauten, keine Belege regionaler Bautradition, nichts Originäres oder Originelles, verwechselbare Rustikalität gibt den Ton an. Der Baubestand ist das „Fremdkapital“ von Lech.

Ein Jahrhundert Tourismuswachstum wirft Existenzfragen auf. Das erste politische Ziel im Räumlichen Entwicklungsleitbild 2000 lautet: „Lech soll Dorf bleiben.“ Man ersehnt einen Heimatschutzbezirk, obwohl längst ein Gewerbegebiet vorherrscht und dieses mit Erwartungen der Einheimischen an ihren Wohnort beziehungsweise der Gäste an ihren Erholungsort kollidiert. Stereotyp zitierte, alpidische Bauformen haben ein Ortsbild des kleinsten gemeinsamen Nenners erschaffen: zu wenig radikal in der Sache, um wegweisend, zumal unter Schnee zu kompakt, um geschäftsstörend zu sein.

Vom seit drei Jahrzehnten währenden Phänomen der „Baukunst in Vorarlberg“ hat sich Lech fern gehalten. Mancher Mächtige in Lech hält das für einen Erfolg. Wegen der „gewissen Zurückhaltung bei modisch ‚schmückenden‘ Details bietet Lech insgesamt ein ansprechendes und überzeugendes Bild mit wenig großen‚Bausünden‘“, konstatiert das Leitbild. Und man will offen sein, „keine Bauten verhindern, die vom ‚bisher Gewohnten‘ abweichen, sondern darauf achten, dass sich diese möglichst gut in den vorhandenen Baubestand integrieren lassen.“

Die Intentionen der Gemeinde als Baubehörde sind aber restriktiv. 2003 wurde eine Gestaltungssatzung zum Bebauungsplan erlassen, die Integration am Harmoniebegriff festmacht. Stand der Technik ist, solche öffentlichen Doktrinen, willkürgefährdet in der Handhabung und dem Wesen der Baukunst widersprechend, zu vermeiden: „Alle Bauvorhaben sind hinsichtlich Gliederung, Materialwahl und Farbe so zu gestalten, dass unter Bezugnahme auf die bauliche Umgebung ein harmonisches Siedlungsgefüge entsteht. Die Baukörper müssen ohne zusätzliche modische Gestaltungselemente schlicht ausgeformt sein. Die Dächer sind als Sattel- und Pultdächer auszuführen (...). Als Mindestmaß der Vordächer sind einzuhalten (...).“

Diese Verordnung geht sogar über das Vorarlberger Baugesetz hinaus, wo liberaler normiert ist, dass „Bauwerke (...) so gestaltet sein müssen, dass sie sich in die Umgebung, in der sie optisch in Erscheinung treten, einfügen oder auf andere Art der Umgebung gerecht werden.“ Anlass war offenbar die Formgebung der 2002 fertig gestellten Skihütte „Schneggarei“ im Herz des Lecher Après-Ski-Geschäfts, ein Gastronomiebetrieb der alteingesessenen Familie Schneider. Sie führt erfolgreich den Almhof, das erste Haus am Platz, weil ihre jüngste Generation eine über die Standards der Gemeinde hinaus gehende Qualitätsutopie von Tourismus verfolgt, die nicht nur die Dienstleistung einschließt, sondern auch den Raum, in dem sie erbracht wird, den privaten wie den öffentlichen.

Als ein Vordenker der Familie und Planungsbeteiligter hat Gerold Schneider eine klare Haltung: „Wenn Ort und Funktion eines neuen Bauwerks Rustikalität als Gestaltungsprinzip nahe legen, dann muss es, gemessen an der regionalen Bautradition, eine mutig-moderne Auslegung sein, keine ängstlich-nachahmende.“ Die Familie Schneider beantwortet mit ihrer skandalisierten Skihütte letztlich Fragen des Gemeinwohls, der öffentlich-räumlichen Verfassung, die die Gemeindevertretung zu stellen sich bisher nicht zutraute.

Der mit unbesäumten Brettern verkleidete Holzständerbau mutet umgebungsgerecht an. Trotzdem hat er die Gemeindeverantwortlichen erbost, weil er von der stillen Konvention abging, durchschnittlich zu sein. Als Gewerbebau vor der Bezirkshauptmannschaft Bludenz verhandelt, konnte der Bürgermeister nach einer positiven raumplanerischen Stellungnahme des Landes die Errichtung nicht unterbinden. Man kann die „Niederlage“ der Gemeindevertreter in diesem „Brettspiel“ aber auch als Sieg der Gemeinde auf dem wichtigen Weg zu einem neuen Selbstbild von Lech sehen.

Vorrangig wäre, die manifesten Tendenzen zur Segregation von Wirtschafts-, Lebens- und Naturraum annehmen und steuern zu lernen, indem die Erlösungsfigur Dorf, jetzt mehr eine politische Sprachregelung als eine nachvollziehbare Eigenschaft des Lecher Gemeinwesens, entweder mit Inhalten gefüllt oder zugunsten eines funktionsteiligen Stadtmodells verabschiedet wird. Gewerbezonen könnten von Wohngebieten differenziert, mehr Dichtestufen zugelassen, Gestaltungsvielfalt und Planungsqualität institutionell gesichert, Lech eine erlebbare Mitte gegeben werden. Wer an der Harmonie des prekären Status quo festhält, riskiert langfristig alles: Das vom Hausrudel Zürs in die Arlbergidylle gestanzte Sommerloch ist ein Menetekel.




Walter Chramosta (geb. 1956) studierte Architektur, Bauingenieurwesen und Philosophie. 1988 gründete er die interdisziplinäre Planungsgruppe Pontifex Partnership. Neben der Planung und Durchführung mehrerer Industrie- und Wohnbauten in Österreich leistet er internationale Vermittlungsarbeit in Sachen Architektur, Ingenieurbau sowie Landschaftsgestaltung und arbeitet als Architekturkritiker für in- und ausländische Tageszeitungen und Fachzeitschriften. Weiters ist er Mitgestalter der österreichischen Fachmedien Bauforum und UmBau, Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Architektur (ÖGfA) und Konsulent der Sektion Architekten, Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten
für Wien, Niederösterreich und Burgenland.

Publikationen:
Das neue Schulhaus / The New Schoolhouse, Springer, Wien 1996;
Helmut Richter (Monografie), Birkhäuser Verlag, 2000; Positionen.
Beiträge zur Modernen Architektur im Burgenland, Österreichischer Kunst- und Kulturverlag, 1993.

Text erschienen in:


Einfach! Architektur aus Österreich. Just! Architecture from Austria

ISBN 3-901174-61-3
978-3-901174-61-2
Verlag Haus der Architektur Graz
2006/148 Seiten/pages
Verkaufspreis/price: € 28,90
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