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Hans Hollein ist ins öffentliche Fegefeuer geraten, vom „wichtigsten und erfolgreichsten Architekten Österreichs“ bis zum „Hundertwasser des kleinen Mannes“ postulierten Kritiker seine Position. Um wirklich Geschmack an solch gearteter Debatte zu finden, fehlen dem Meinungscocktail am österreichischen Architekturstammtisch allerdings schärfere Zutaten. Von Manuela Hötzl.

Gerührt oder geschüttelt?

Wie kann Architektur wieder diskutiert werden?

„Wo errichtet man einen Turm? Einige Menschen erscheinen und deuten auf eine bestimmte Stelle hin. Sie entfalten Blaupausen, ziehen Linien nach, werfen dann den Kopf siegesgewiss zurück. „Na“, rufen sie, „na, ist das ein Turm?“ Alles klatscht Beifall, aber wie sieht es hinterher aus, wenn der Turm gebaut ist?“ Mit diesen Sätzen beginnt der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Reinhard Lettau seine Geschichte über „Schwierigkeiten beim Häuserbauen“, die 1979 erstmals im Hanser Verlag erschien. Und so geht sie auch 22 Jahre später in Wien weiter: Hans Hollein hat einen Turm gebaut. Der Erste, der dem Beifall klatschte war Jan Tabor in der Wochenzeitung „Falter“. Bei der gut gemeinten Stellungnahme zum Holleinschen „News-Media-Tower“ legte sich Tabor vor diesem Bau zwar symbolisch „flach auf den Bauch“, äußerte sich dennoch eher überrascht, ob der städtebaulichen Qualität des Turmes, der sich so selbstsicher am Donaukanal positioniert.

Zum „originellsten Architekturkritiker“ kürte Dietmar Steiner daraufhin Jan Tabor in einer Lobeshymne an Hans Hollein im Wiener Magazin „Profil“ Nr. 19 vom 7.Mai 2001, in einem Artikel, dem es auch sonst nicht an Superlativen fehlte. Doch galten die zu 99 Prozent Hollein, der überraschend zum „wichtigsten und erfolgreichsten Architekten“ avancierte und so auf ein „Steinernes“ Podest gestellt wurde. Worauf wiederum Christian Kühn im „Spectrum“ der Tageszeitung „Die Presse“ vom 26. Mai 2001, vielen Architekten und Kritikern aus der Seele sprach, indem er den von Dietmar Steiner persönlich überreichten Siegespokal als „unseriös“ bezeichnete. Und zum Holleinschen Turm: „wenn in Zukunft in der breiten Öffentlichkeit reflexartig an dieser Art von Architektur Maß genommen wird, läuft der Diskurs in die falsche Richtung.“

Da läuft er nun, der Diskurs, lange vorher schon in die falsche Richtung, mit vielen erschöpfenden Verschnaufpausen. Sicherlich scheitert die öffentliche Auseinandersetzung über Architektur und Städtebau hierzulande nicht an Dietmar Steiners Stellungsnahme. Sie scheitert vielmehr an der allgemeinen Kurzsichtigkeit und Sprachlosigkeit, die sich fast beängstigend verkrampfend in der Öffentlichkeit dann breit macht, wenn Architektur zum Thema wird. Anders wäre es in einem Umfeld, das geprägt ist von einer Meinungsvielfalt, von öffentlichen Foren, von Diskussionsrunden, von aktiven und im regen Austausch stehenden Kritikern in diversen Medien. Dort würde eine persönliche Äußerung, wie die von Dietmar Steiner, genau als das betrachtet werden, was sie ist: Das Bekenntnis eines Fans mit Faible für den Starkult. Nur können wir uns nicht naiver stellen, als wir sind, dieses publizistische Umfeld gibt es nicht. Und warum es gerade der Architektur daran mangelt, hat schon einige kluge Köpfe zerbrochen.

Die Architektur und ihre Kritisierbarkeit sind nicht Darsteller in einem spannenden Actionfilm, sie reihen sich wie willkürliche Standbilder in einem trägen und unregelmäßigen Szenario.
In dieser zufälligen Dramaturgie stellt Dietmar Steiners Meinungsäußerung leider eine unseriöse Irritation dar. In seiner Funktion als Direktor des Architektur Zentrums Wien hat er die Verantwortung, die eine Diskussion von diesem Niveau wegführt. Als Leiter einer Institution kann er andere Türen öffnen und aufklärenden Wind in die architekturmuffige Öffentlichkeit bringen. Er kann eine Bandbreite an Architektur vermitteln. Stattdessen fordert er, aufgrund Holleins „enormen architekturgeschichtlichen Wissen und seiner kulturhistorischen Bildung einen sorgfältigeren medialen Umgang mit dem Begriff Star-Architekt“ ein.“ Sorgfalt im Umgang mit den Medien und mit dem Thema Architektur wird an dieser Stelle tatkräftig verlangt.


Der Starkult legt eine Diskussion lahm, wenn sie einziges öffentliches Kommunikationsmittel bleibt. Das Starwesen verhindert einen argumentierenden Umgang mit der Architektur und produziert Sternchen in einem entrückten Kunsthimmel. In dieses Schema fallen leider auch die meisten architektonischen Fachzeitschriften, die fantasielos auf ihrem Konzept verharren, Portfolios von Architekten abzubilden. Sie widmen sich weder berufsspezifischen Prozessen oder Problemen, noch der Rolle, die Architektur in politischen oder sozialen Bereichen bereits hat. Fern des Begriffs „Star-Architekt“ müsste das Baugeschehen inhaltlich betrachtet und unabhängig von Person und Objekt kritisierbar werden. Die Architekturkritik fällt durch eine seltsame und häufige Undifferenziertheit auf.

Wenn im Hinterzimmer eines Hinterhofes eine engagierte Theaterproduktion ihre Bühne findet, wird sie in fast allen österreichischen Zeitungen besprochen. Wenn Frank Castorf einen Langweiler inszeniert, wird man nicht seine Bedeutung als Regisseur an sich infrage stellen. Architektur ist aber vereinsamt in einem weiten Feld der Anti-Kommunikation. Und dort ist auch Christian Kühns banaler Vergleich von Friedensreich Hundertwasser mit Hans Hollein „unseriös“: „Nicht zufällig heißt der Hollein des kleinen Mannes Friedensreich Hundertwasser.“, interpretiert er da die Konsequenzen einer „Verflachung der kritischen Auseinandersetzung“ mit Holleins Architektur.

Welcher Theaterkritiker würde die „Löwinger-Bühne“ anführen, wenn er über niveauvolles Theater sprechen möchte? Kein Restaurantkritiker würde behaupten, ein Gourmetlokal würde nur eine statt zwei Hauben verdienen, aufgrund der Existenz eines Würstelstandes, an dem sich der kleine Mann des Öfteren vergnüglich labt. Dass Hundertwasser keine Relevanz hat, wenn es um Qualitätskriterien in der Architektur geht, muss so klar sein wie der Unterschied zwischen Fertiggericht und Filet de Bœuf.

Hilfe suchend blickt man sich um, zum Thema Meinungsvielfalt. Gäbe es in Österreich zumindest vier Dietmar Steiners, die sich vor vier verschiedenen Architekten „auf den Bauch legen“ würden, könnte man ein „Architektonisches Quartett“ in die erste Runde gehen lassen. Einen Vorschlag, den schon Walter M. Chramosta beim vorjährigen Wiener Architektur-Kongress unterbreitete. Die Idee hat die Bundesarchitektenkammer in Berlin aufgegriffen und am 29. Mai fand das „Erste Architektur-Quartett“ statt. Drei Bauten von Axel Schultes, Hans Kollhoff und Claude Vasconi wurden dort - leider ohne mediale Unterstützung -diskutiert.

Wenn auch für manche Architekten ein Horrorszenario, Bereitschaft zur Kommunikation zu signalisieren wäre ein Anfang. Architektur muss auf viele Ebenen leben und Konfrontationen zulassen. Das sie das nur vereinzelt tut ist schade, dass sie das in der Form tut, wie sie Dietmar Steiner im „Profil“ vermittelt, ist gesellschaftliches Marketing, aber kein Architekturdiskurs. Damit hält Steiner für sich nicht „hinterm Berg“, auch Hollein stellt er auf diese Ebene, denn „Gesellschaftliche und politische Anerkennung war und ist Hollein enorm wichtig, für die Sache der Architekten und damit auch für ihn persönlich.“ Gleichzeitig behauptet er „Hollein ist heute ein anerkanntes und viel gefragtes Mitglied der Wiener Gesellschaft – der möglicherweise vorhandenen, ebenso wie jener der ‚Seitenblicke‘.“

Hollein hat eine Position im österreichischen Architekturgeschehen, die aufzuarbeiten einige Spannungsmomente in eine öffentliche Diskussion bringen würden. Auffallend ist, das es noch immer keine umfassende Hollein- Werkschau in Buchform gibt; das hat Hollein sicher noch vor sich. Inhaltlich hätte Hollein bereits einiges in den letzten 50 Jahren „vorgedacht“, behauptet Steiner, und „diese Ideen und Gedanken im konkreten Prozess des Bauens umformen und verdichten, das hat die heutige Avantgarde noch vor sich“.

Das was die Avantgarde sicher vor sich hat, ist eine Aufarbeitung und eine Vorbereitung der architektonischen Diskussion, die man sich einfach nur mit möglichst vielen verschiedenen Positionen vorstellen will und die irgendwann verlorene Versprachlichung von Architektur zurückbringt. Von den jüngeren Wiener Architekten wird gerade eine Interessengemeinschaft Architektur in Angriff genommen, eine „Plattform als Interessensvertretung für Architekturschaffende“ ( Jakob Dunkl von den querkraft Architekten zu Hans Hollein: „Wie toll wäre es gewesen, hätte Hollein den großen Erfolg in den 60er Jahren gehabt, als seine Konzepte wirklich visionär waren.“), die sich neben der Kammer und anderen Institutionen positionieren will. Diese Gruppe hat die Chance Inhalte anders zu vermitteln, und nicht nur Marketing zu betreiben.

„Ich wünsche mir bei einem Gebäude zumindest die Auseinandersetzung mit dem Zweck jenseits eines eindimensionalen Funktionalismus, ich wünsche mir rationale und ökonomische Konstruktion und im Sinne Jean Nouvels eine Erforschung der neuesten, nicht nur technischen, sondern auch poetischen Möglichkeiten der Gebäudehülle, also kurz: zeitgemäße Tektonik.“, so weit Christian Kühn für eine herbeigesehnte Architekturdebatte. Laurids Ortner hat sich vor kurzem in einem Interview mit Ute Woltron „Nachhilfestunden für Politiker“ gewünscht.
Auch die Architekturkritik darf sich dem hingeben. Ich wünsche mir ebenso eine zeitgemäße, poetische, theoretische, technische und neue journalistische Auseinandersetzung mit Architektur. Nichts muss dafür erfunden werden, das Feld ist reich, weit und vielseitig. Käme Architektur wieder in allen Medien vor, wie zum Beispiel in der Kultursendung „Treffpunkt Kultur“, gäbe es in jeder österreichischen Tageszeitung verschiedene Positionen zu einem Projekt oder würden Bauherrn versuchen ihre Bauten der Öffentlichkeit als Wert zu verkaufen. Würde Architektur so diskutiert, wie ihr entspräche, als öffentliches Anliegen. Und irgendwann wäre jedem klar, worin die Qualitäts- und Bewertungskriterien liegen. Auch wenn man sie nicht für sich selbst beansprucht, könnte die Politik in Stadt und Land architektonische Qualität zumindest im öffentlichen Bereich durchsetzen und müsste nicht den Gebrauch des Architekten an sich verteidigen. Der Meinungscocktail wäre besser gemischt, gerührt oder geschüttelt, auf jeden Fall in vielfältigeren und eindeutigeren Rezepturen zu servieren. „Na?“, lässt Reinhard Lettau den Baumeister nochmals rufen, „Na?, Ja!“, rufen nun auch die Zögernden, aber o weh, wenn das Haus einmal dasteht. „Die Schwierigkeiten beim Häuserbauen sind gewaltig“, sagt der Baumeister, während hinter ihm flammend der Horizont versinkt.“



erschienen in Architektur&Bauforum/ Jun.01