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Wie Popmusik-Gruppen oder Computerprogramme klingen die vier Architektenlabels, die Österreich in Venedig auf der vergangenen Architektur Biennale 2004 vertraten. Eingeladen hatte sie die Wiener Architektin und Kuratorin Marta Schreieck. Der Titel der Show war so popig aufbegehrend wie populär plakativ: „Gegen den Strom“... Von Antje Mayer.

Jedem Kaff sein kleines Bilbao

Popig, populär oder populistisch? Eine junge Generation von österreichischen Architekten scheidet die Geister, wie jüngst die Biennale in Venedig zeigte.

Elektrisch sperrig zeitgeistelnd hören sich die Namen der Teams an, die sich trendig der gängigen Groß- und Kleinschreibung entziehen: AllesWirdGut, pool, querkraft und the next ENTERprise. Allesamt junge Architekten der Internetgeneration, die sich vor annähernd fünf Jahre zu einem Kollektiv zusammentaten. Vier Teams aus zwei bis fünf Mitgliedern bestehend, die, wie viele hundert andere in Österreich ihres Alters und ihrer Berufgruppe, aus der Not eine Tugend machten, mit dem Ziel in schweren Zeiten der Architektur gemeinsam stark zu sein und mit vor allem einer großen Ambition: Aufmerksamkeit zu erreichen.

Um jeden Preis? Die Kritiker meinen ja. Die neue Generation würden eine telegene Architektur produzieren, der sich bestens auf Branding verstehe, gebaute Sensationsmache und fiebrige Dauererregung ohne Nachhaltigkeit. Die Fans hingegen assistieren dem Nachwuchs Phantasie, Sorgfalt und Verlässigkeit. Der Markt sei von Architekten eben derart überlaufen, dass sie vorwiegend nur für kleine Aufträge gebucht würden, im Innenbereich, nicht selten für Kommerzielles, Geschäfte und mittelgroße Betriebe, auch mal repräsentative Privathäuser; für solche Aufgaben eben, für die Architekten, junge, das entsprechende flockig-lockere Image liefern können. Nach dem Motto: Jedem Kaff sein kleines Bilbao.

Aber was war zuerst da: Das Huhn oder das Ei? Der Markt oder der eigene Anspruch? Bekommen die Jungen solcherart Aufträge, weil sie sich marktnischengerecht popig verkaufen? Oder aber verlangen derartige Aufträge eben eine gewisse kommerziell verwertbare Zeitgeistigkeit, über die sich die Büros nicht hinwegsetzen können. Wollen sie es überhaupt?

„Die meisten Künstler der Popkultur verstehen sich als ökonomisch produktive Künstler, deren Markttauglichkeit Kriterium der Ästhetik ist“, schreibt der Kulturtheoretiker Ulf Poschardt .

Dieter Bohlen, mit einer der erfolgreichsten Popproduzent Europas, hat keine Hemmungen das dem Pop innewohnende Kommerzprinzip zu outen: „Alles, was ich anfasse wird zu Gold. Verona habe ich drei Wochen angefasst und das reichte dann.“ Das Geheimnis seiner populären Modern Talking-Lieder sei gewesen, so verrät Bohlen, dass sie –neben drei fast immer gleichen Akkorden- stets etwas Wiedererkennbares gehabt hätten.

In der Architektur nennt man das dann Wahrzeichen, Branding oder Label. Die Formen dazu generieren -wie bei der Studiomusik à la Bohlen- neue Computerprogramme, die die Architektur, wie viele Kritiker bemängeln, allesamt ähnlich aussehen lassen. Solche PC-Architektur gemahne ihn, so der Architekturkritiker Hanno Rauterberg in der deutschen Wochenzeitschrift Die Zeit, an „Verdauungsarchitektur“ angesichts der „darm- und blasenförmigen Gebilde, sich blähend, gärend, blubbern“. Und was sich nicht amorph gibt, das präsentiert sich halt dann schief.

Die Architekturszene ist jedoch nicht so saisonabhängig wie die Musik- und Modebranche und deswegen gibt man sich doch im Allgemeinen topseriös. AllesWirdGut, pool, querkraft und the next ENTERprise werden nicht müde, immer wieder zu betonen, wie kundenorientiert, pragmatisch und nutzungsgerecht sie arbeiten würden und „nichts würde ihnen ferner liegen als der dekorative Utopismus mancher Architektur-Popgruppen“ (AllesWirdGut).

Aber heißt Pop denn nichts anderes als populär und massentauglich? Zeitgeist eben! Soll, nein, muss Architektur nicht dem Bürgermeister genau so gefallen wie der Hausmeisterwitwe Dolezal und der Architekturstudentin Paula? Die Frage ist nur, wie lange die Befriedigung von solcher populären Architektur anhalten kann und wann die Grenze zum Populismus überschritten ist. Die Halbwertzeit eines MTV-Videos kann verdammt kurz sein.

Für den Münchner Popliterat Andreas Neumeister ist Pop hingegen die Essenz, die das Leben immer wieder vom Schleim des Althergeholten befreit: „Das Wort Pop kennt keinen Artikel. Zu Pop hatten wir von Anfang an ein gutes Verhältnis. Ohne Pop wäre auch die zweite Hälfte des vergangenen Jahrhunderts vollends unerträglich geworden, ohne Pop behaupte ich mal, gäbe es noch heute kaum Luft zu atmen“.

Um „Luft zum Atmen“ ging es im wahrsten Sinne des Wortes auch bei Österreichs erster Pop-Architektengruppe Haus Rucker Co. Mit ihren pneumatischen Konstruktionen und spielerischen aktionistischen Interventionen im öffentlichen Raum machten die „Bad Boys“, wie sie sich heute selbst nennen, Ende der sechziger Jahre Furore und das über die Grenzen Österreichs hinaus: Es ging um Aufmerksamkeit, aber nicht nur um deren selbst Willen, sondern für politische Themen der Zeit: alternative Wohnkonzepte, neue Wahrnehmungsebenen etwa des Stadtraums und die zunehmende Umwelt- und Luftverschmutzung.

Laurids Ortner, der mit Günther Zamp Kelp und Klaus Pinter die Gruppe 1967 gründete (später stieß sein Bruder Manfred hinzu) sieht heute einen klaren Bezug zur Popkultur der Zeit: „Wir referierten damals auf die ‚bösen Jungs’ des Pop, wie die Stones oder Jimi Hendrix, weil sie für uns Erneuerer waren. Sie haben die Grenzen erweitert, wir wollten damals die Architektur genauso radikal verändern“.

Da sie nur „Boys“ und vor allem Menschen waren, veranstalteten sie ihre Performances schon auch ein wenig der Aufmerksamkeit selbst willen: „Wir traten chic in enganliegenden Overalls auf und fuhren mit flotten Schlitten vor. Den schönen Frauen zu imponieren war mindestens genauso wichtig, wenn nicht wichtiger, als die Erneuerung der Architektur“, erinnert sich Laurids Ortner.

Was bei der vergangenen Architektur Biennale 2004 gezeigt wurde, hat mit dem, was Haus Rucker Co vor dreißig Jahren machte, so Laurids Ortner nichts zu tun. „Im Grunde agieren auf der Biennale größtenteils Architektur-Entertainer vom Typ meines Freundes Wolf D.Prix von Coop Himmelb(l)au, die mit weißem Sakko und dicker Zigarre mit ihrer Architektur unterhalten. Seit nun 50 Jahren tauchen die Versuche Jahr für Jahr auf, Architektur bei Null wieder zu beginnen. So wichtig dieses Probieren ‚gegen den Strom’ einmal war, nun wird’s langweilig. Je spektakulärer sich das alles generieren muss, umso rascher verbrennt es sich selbst. Die ständige Suche nach der Welterneuerung auf Basis der Architektur ist doch grauenhaft.“

Doch ist diese Suche nicht Motor des Fortschritts? Laurids Ortner findet das nicht. Mit seinem Bruder Manfred setzte er im vergangenen Jahrzehnt bewusst auf eine a-modische, zeitlose und klassische Formensprache. Wolf D. Prix von Coop Himmelb(l)au gibt sich formal hingegen immer noch als der “letzte überlebenden Pop-Mohikaner“ der wilden Sechziger, in denen Geld, von dem er lange keines, nun genug verdienen dürfte, nur etwas für das Establishment war: „Wir haben nie, wie die jungen Architekten heute gesagt: ‚Take the money and run’. Wir haben uns geleistet, jahrelang intensive Feldforschungen und Experimente auf dem Gebiet der Kunst und Architektur zu betreiben, und die Hosen enger geschnürt, ohne sie runter zulassen.“ Heute gehört Coop Himmelb(l)au zu einer der international erfolgreichsten Büros Österreichs.

Aber Geld zu verdienen ist für AllesWirdGut, pool, querkraft und the next ENTERprise nichts Verwerfliches. Im Katalog der Biennale ist ein fiktiver Dialog abgedruckt, den das Architekturbüro pool mit einem Bauherren führt. Ein ironisches Lehrstück für den kapitalismus-orientierten Jungarchitekten.

Bauherr Hoffmann: „Ich bin Schlosser.“
pool: „Siehst du, ich bau’ dir eine Schlosserei.“
Hoffmann: „Ich hab’ schon eine.“
pool :“Nachher hast du zwei. Man kann nie genug Schlossereien haben“. Hofmann: „Ich freu’ mich schon auf die neue Schlosserei.“

Die Pop-Maxime könnte also lauten: „Aus eins mach zwei. Das ist Kapitalismus. Sorge für Aufmerksamkeit. Das ist Marketing. Aber tue das alles nie nur um seiner selbst willen. Das ist Idealismus. Alles zusammen ergibt Pop, ohne Artikel.