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Beton ist an sich ein Symbol für das Rohe, das Ungeschliffene. In seiner Eigenschaft, Boden, Wand und Decke einheitlich überziehen zu können, strebt er aber meist eine glatte Perfektheit an und negiert seinen ureigensten Charakter. Von Manuela Hötzl.

(G)raue Töne

Institutsgebäude für Informations- und Elektrotechnik der TU Graz - Architekten: Riegler Riewe, Graz

Bauten aus Beton vermitteln Masse und formen Monolithe, nicht selten sind sie Kompositionen von Volumina. Um Zurückhaltung zu signalisieren, wird das Material oft manieristisch minimal eingesetzt, aber selten so rotzig und rau wie bei den Informationstechnischen Instituten der TU in Graz. Dafür bedarf es einer starken Struktur und des Mutes zu einer Nachlässigkeit, die in letzter Konsequenz von der Aneignung der Benutzer ausgeht.

Bereits 1993 gewannen Florian Riegler und Roger Riewe den Wettbewerb zur Erweiterung der Technischen Universität auf dem Gelände der Inffeldgründe, einem Grundstück, das gesichtsloser kaum sein könnte. Wohnbauten, Hochspannungsanlage und weitere Gebäude der Universität charakterisieren die Umgebung und legen einen Rückzug auf das Grundstück nahe, dem die Architekten mit einer netzartigen Bebauungsstruktur antworten. Die Gebäude wurden in eine radikale Orthogonalität gebracht, in der die Außen- und Innenräume maßstäblich gleich behandelt werden und Erschließungen zulassen, die einander ähneln. Die Ausschreibung gab nicht allzu viele Parameter vor, so waren eigentlich nur die Raumgrößen festgelegt. Innere Organisation, Dichte und Höhe der Gebäude waren keinerlei Einschränkung unterworfen, eine Freiheit, die der Schweizer Ernst Hubeli in dem Buch über Riegler Riewe „Definitive Indefinitive“ (Springer Verlag Wien 2002) folgendermaßen bewertet: „Solche Bedingungen entsprechen weniger der Aufgabe einer Formfindung als einer Strategie, aus der keine einzelne Form abgeleitet werden kann, sondern eine Vielzahl von Formen mit unterschiedlichen Begründungen, die sich auf Vermutungen, Fakten und zeitliche Abläufe beziehen.“

In diesem Sinne legten die Architekten ihre Dramaturgie fest, die mit der Strenge der Struktur und der Offenheit des Raumes agiert. (Die ersten beiden der insgesamt vier Bauabschnitte sind fertig gestellt; ob der Rest auch noch kommt, ist mehr als fraglich.)

In Ost-West-Richtung addieren sich Riegel im regelmäßigen Abstand von sechs Metern, die Länge der Riegel ergibt sich aus dem jeweiligen Raumbedarf der Institute. Jeweils zwei sind durch eine „Passage“ miteinander verbunden. An die Südseite dieses Luftraumes sind die Büros, Galerien und Erschließungen gelegt, an die Nordseite Seminarräume, Bibliotheken und öffentliche Bereiche.

Die Bestimmtheit der Anordnung wird aufgelockert durch die auf allen Ebenen möglichen Verbindungen. Brücken, Wege, Galerien und Durchbrüche bilden einen vernetzten, fast kleinstädtischen Campus mit amorphen Plätzen. Besonders im Erdgeschoss, auf der „Straße“, ist die Durchlässigkeit der Struktur von allen Standpunkten aus spürbar. Nischen, die immer wieder von außen bis zur Passage durchstoßen, sind nach diesen Gesichtspunkten frei gelassen. Man kann sich der Inszenierung schwer entziehen, dem Außen – wie dem Innenraum kommt dabei die gleiche Bedeutung zu – was Riegler Riewe zusätzlich durch die Materialwahl hervorheben.

Der Innenraum, der durch die rigide, aber doch flexible Aufteilung der Büros bestimmt wird, zeigt sich fast noch unfertiger als der Außenraum. Dort begrenzen strenge Fassaden mit Fensterbändern den Raum, im Inneren wird den Details weniger Beachtung geschenkt. Die verwendeten Materialien, wie Terrazzo, Beton oder einfacher verzinkter Stahl für die Türen, sind nachlässig zusammengefügt und entsprechen in keiner Weise dem ästhetisch Gewohnten.

Nach der Entscheidung des Wettbewerbs war schnell klar, dass Beton das ideale Material sein würde, um konstruktiv und formal die Gebäudeteile zu verbinden. Die Architekten wollten die städtische Konfiguration hervorheben, nicht so sehr die Baukörper selbst. Der Beton sollte deshalb so roh wie möglich erscheinen, um vor dem Auge des Betrachters eine homogene Oberfläche zu erzeugen. Denn: “Je perfekter die Oberfläche, desto unregelmäßiger erscheint sie vor dem menschlichen Auge – sie fängt an zu flimmern“, erklären die Architekten. Also musste, um dem Auge Regelmäßigkeit vorzutäuschen, Unregelmäßigkeit erzeugt werden. Die Betonbaufirma hatte für die Außenfassade bereits gebrauchte Schaltafeln zu verwenden, der graue Zement wurde mit einer schwarzen Pigmentierungen von drei Prozent versetzt. Da es sich um Ortbeton handelt, der in drei Phasen betoniert wurde und dem die Farbzusätze erst auf der Baustelle beigefügt wurden, kam es allein schon deshalb zu Abweichungen. Die Innenfassaden blieben zwar ebenso in rohen Sichtbeton, hier fielen die Farbzusätze aber weg, was die Räume heller erscheinen lässt.

Wesentlich für die einheitliche Materialität und das „Grau-in-Grau“ ist die Wahl der Betonflächen außen. Die Bauten stehen in einem Kiesbett, das sich in den Ecken und wenig benutzten Bereichen mit Moos überziehen soll. Die Verkehrsflächen und Wege werden im natürlichen Prozess von den Benutzern abgetreten und markiert. Nur in den Zwischenräumen sind Betonplatten verlegt, die den öffentlichen Platz andeuten, unterstützt von noch zu pflanzenden Bäumen.

So kubisch klar und scharfkantig die Bauten aneinander gereiht sind, so sehr tritt auch die Form in den Hintergrund. Die Gebäude sollen in ihrer Gesamtheit wirken, nicht als Einzelkörper. Erst im Zusammenspiel wird die Inszenierung deutlich. Jeder Raum definiert einen Zwischenraum, nie ist die Kubatur hermetisch abgeschlossen. Die senkrechten Fugen an den Gebäudekanten zeichnen diese Aufgelöstheit ebenso nach wie die Textur der Fassade mit ihren körperhaft hervortretenden Fenstern. Die Öffnungen spielen mit der Uneindeutigkeit des Maßstabs, jeweils zwei Fenster pro Geschoss verwischen die Ebenen dahinter. Um die Öffnungen frei und regellos anordnen zu können, wurde jedes Gebäude innen als Betonskelett ausgebildet und die 22 Zentimeter dicke Betonfassade gesondert betoniert und davor befestigt. Die Fenster passen sich funktional den Innenräumen an, die Konstruktion spielt dabei keine Rolle.

Riegler Riewe verweigern sich bei ihren Bauten einem Strukturalismus, obwohl sie eine starke Struktur erzeugen. Sie üben sich in Zurückhaltung, ohne sich einem Minimalismus zu unterwerfen. „Stillos“, wie sie selbst uneitel andeuten, ist ihre Architektur dennoch nicht. Der Ansatz ist wesentlich komplexer. Bei der Bebauung wird klar, dass eine Simplifizierung der formalen Ansprüche, minimalistisch in „Boxen“ gedacht, nur in einem systematischen Gefüge wirken kann. Der Zwischenraum definiert den Raum, Außen und Innen verwischen, indem auch die Hülle nicht mehr eindeutig von der Konstruktion abgelöst wird. Der Körper bildet den Hintergrund und ist Teil der komplexen Anordnung. Das Rohe des Materials und die nachlässige Funktionalität hingegen deuten auf eine Unfertigkeit hin, die in die Verantwortung der Benutzer übergeben wird. Erst im Gebrauch, so das Konzept von Riegler Riewe, beginnen die Bauten zu leben: Der raue architektonische Ton lässt für jedes „Dazwischen“ genügend Spielraum.



erschienen in Bauwelt Nr.13/02,05.Apr.02