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„Es scheint als ob sich plötzlich das kollektive Unbewusstsein dieser Stadt zu einer neuen Vision aufgerafft hätte.“ Mit dieser inspirierenden Analyse präsentiert das Architekturzentrum Wien die Ausstellung „5.000. 000 m³“. Anhand von sechs Projekten, die als Akttraktoren die städtebauliche Entwicklung Wiens bereichern sollen, wird erklärt, dass Wien auch visionär, vielfältig und qualitativ sein kann. Doch Visionen und Qualität sind wie Werte und Honorarordnungen: verschieden interpretierbar, ständig zu hinterfragen und vom jeweiligen Standpunkt oder Subjekt abhängig. FORUM wendet sich einer weiteren „Vision“ zu und betrachtet die wachsenden Kubikmetern der „Wienerberg City“. Ein Rundgang.

Von Manuela Hötzl.

Schattenspiele am Südhang

„Wienerberg City“

In ihrem Essay „Wetten oder Bewerben“ (1) schreibt Ute Woltron über städtebauliche Studien: „Noch vor ein bis eineinhalb Jahrzehnten waren städtebauliche Wettbewerbe Großunterfangen, gut bezahlt, sorgfältig gemacht. Heute sind sie zumeist zu Investorenprojekt-Umrankungen degradiert, zur Fleißaufgabe, die keinen pekuniären Wert zu haben vorgibt.“ Bleibt man noch bei dem Begriff des Wertes, fällt einem in diesem Zusammenhang der jüngst in der Zeitung „Der Standard“ zitierte Rechtswissenschafter Carl Schmitt ein, der vor der "Tyrannei der Werte" warnt und daran erinnert, dass „das in ethischen Debatten verwendete Wort "Grundwert" aus der Wirtschaftssprache stammt und von Haus aus den "Bodenwert" bezeichnet.“ Somit wäre „Wert“ ein ökonomischer Begriff. Der so oft propagierte Mehrwert der Architektur, lässt sich mit dieser Definition auf den Marktwert reduzieren – oder erweitern.
„Wienerberg City“ ist, betrachtet man es als Gesamtprojekt, ein ausgereiftes Beispiel dieser Wertekonstellation. Die anfangs erwähnte Fleißaufgabe, das städtebaulichen Konzept, von Massimiliano Fuksas sollte als Masterplan herhalten und beweist eigentlich nur erneut, dass solcherart Konzepte genauso schwierig zu verfolgen sind, wie Podiumsdiskussionen – und mehr abhängig von subjektiven Einzellösungen, die ihrer eigenen Ökonomie und Reglements folgt. Das Ergebnis vor Augen, liest sich das Konzept von Fuksas, dass „urbane Dichte mit landschaftlichen Freiflächen verwebt“, wie eine schlechte Verfilmung eines Bestsellers. Der Vorschlag beinhaltet die Entwicklung einer „Stadtlandschaft mit einer Verdichtung in der Vertikalen“, wobei der landschaftlichen Gestaltung und den „weichen Übergängen“ besonderes Augenmerk geschenkt werden sollte: „Der Grüngürtel, der sich im Süden des Planungsgebietes anschließt, kriecht bei schrittweiser Abstufung und natürlich kontrolliert in den urbanen Raum, gleichermaßen erfolgt ein fließendes Ausblenden der Bebauung zum Grünraum hin und begründet einen weichen Übergang von Stadt zur Landschaft.“ Die Umsetzung von „fließend“ und „kriechend“ lässt einiges offen und selbst festgelegte Bauplätze, Höhen, Erschließungen und Platzgestaltungen scheitern an Punkten der „Finanzierbarkeit“, die das beste Argument in städtebaulichen Angelegenheiten erscheint.
So ist im Protokoll des Bauträgerverfahrens bei Variante 1 festgehalten: „Die Hochhäuser auf Bauplatz A und B weisen eine Überschreitung der zulässigen Gebäudehöhe um 20 Prozent auf – mit dem Argument, dass nur mit dieser Erhöhung die geforderte Nutzfläche gemäß den bauträger-eigenen Umrechnungswerten erreicht werden kann.“ Eine weitere, völlig ausgearbeitete Variante, mit nochmaliger Erhöhung der Türme auf 78 und 96 Meter, statt 50 und 70, argumentiert mit einer Steigerung der Wohnqualität durch höhere Raumhöhen. Diese erwähnte Qualität bedeutet Wert und bedeutet Marktpreis. Und man könnte daraus schließen, dass damit alle Beteiligten profitieren. (Die betreffenden Türme von Coop Himmelb(l)au erreichen jetzt dennoch 55 und 77 Meter Höhe). Bei der Gestaltung der geplanten „Esplanade“, die mittig das Gebiet durchschneidet, führt die Entscheidung zu einem anderem Ergebnis. Nicht alle Bauträger wollten sich daran beteiligen und der Platzentwurf endet abrupt, nach den Bauteilen C, D und E. Solcherlei lässt sich leicht nachvollziehen. Weniger leicht wird es bei dem südlichen Bauplatz, der direkt an den Golfplatz grenzt. Dieser überschreitet deutlich die in der Bauordnung (§81) festgelegten Bemessungsgrundlage für Gebäudehöhen und bedeutet für das gesamte Areal eine stringente Abgrenzung, die den Begriff „fließender Stadtlandschaft“ längst nicht mehr entsprechen. Die formale Treppung des Gebäudes und scheinbare Durchlässigkeit können nicht über deren Sonderstellung hinwegtäuschen.
In der Publikation „Im Boot“, über Wettbewerbsverfahren und Wohnbau, findet sich ein kurzes Statement des Wohnbauforscher Robert Koch: „Bei den Bauträgerwett-bewerbsverfahren tauchen immer Bröseln beim Umsetzen auf. Alle sind am Anfang schwer begeistert, dann wird es schwieriger. Das Problem ist, dass die Konkurrenz miteinander antritt. Bauträger – Architekt – bauausführende Firma, die in Konkurrenz stehen, müssen ein Team bilden, damit sie miteinander einreichen. Es reichen zehn bis fünfzehn Architekten ein und sieben gewinnen im Verfahren. Dann sollen diese 7 x 3 = 21 Personen ein Gebiet bebauen, möglichst kooperativ. Das kann nicht funktionieren. Und das ist das Thema: Wie kann man von Konkurrenz zur Kooperation kommen?“
Der Augenmerk auf die Details der „Wienerberg City“, die sich anderorts vielleicht in Form einer Doktorarbeit durchaus noch ergänzen ließe, soll die Problematik solcherart Vorhaben verdeutlichen und nicht auf die Suche nach den Guten oder Bösen darstellen. Die architektonischen Ergebnisse, wagt man eine Begehung des Schattenspiels auf dem fast 33.000 Quadratmeter großen Areals, sind weitgehend uninteressant. Von wenigen High-Lights, großen Namen und Türmen abgesehen, zeigt in allen Einzelfällen die Nebenrolle der Architektur im Spiel der Quadratmeter. Dabei würde schon eine Veränderung der Wohnbauförderung eine gewichtige Änderung herbeiführen – wie auch immer sie ausschauen mag. Split-Levels und Sky-Lobbys sind dabei die kleinen, letzten Erkennungsmerkmale. Klaus Wolfinger, Geschäftsführer des Bauträger Kallco, sprach in einem Radio-Interview von der idealen Zusammenarbeit zwischen Bauträger und Architekt, die sich für ihn als Teamwork darstellt. Wichtig sei ihm, dass der Architekt, die ihm zuerkannte Rolle des Gestalters akzeptiere und alle verkaufstechnischen Aspekte dem Bauträger überließe. Im Ansatz ein leicht nachvollziehbarer Gedanke. Diese ihm zugeschriebene Rolle, die den Architekten grundsätzlich auf den Künstler reduziert, war aber durchaus einmal eine andere und ist es in anderen Ländern auch noch. Strategien, neue Wohnbaukonzepte bleiben solange auf der Strecke, solange die Bedingungen sich ins juridische verirren und solange die öffentliche Angelegenheit Architektur und vor allem Städtebau den privaten Financiers überlassen wird.
Wirtschaftlichkeit und Marktorientiertheit sind nicht unbedingt etwas schlechtes, sie sind auch Regulatoren und immerhin meist der Grund warum überhaupt etwas passiert. Doch der Geist der Privatisierung, der euroweit durch die Politik schwebt, verheißt nur dann Gutes, wenn zumindest längerfristige politische Strategien vorhanden sind und diese auch öffentlich durchgesetzt werden. Sonst gilt ebenso für die Stadtentwicklung, was Ute Woltron für die Wettbewerbe voraussieht: „Die Architektur wird gut beraten sein, das gesamte Wettbewerbswesen juristisch genau zu durchleuchten, will man nicht einer Epoche des Architekturmachens via Gericht entgegensehen.“ („Im Boot“) Dabei ist absehbar, dass wer den längeren finanziellen Atem hat, auch gewinnt. Es ist noch nicht soweit gekommen und punktuelle Erfolgserlebnisse, wie auch am Wienerberg, sind vorhanden. Doch Dichte und Kaufkraft kann nicht immer ein Kriterium bleiben. Sonst werden nur die Schatten größer.













Fotos: Miguel Dietrich/ spoonman/ Atelier Wimmer
erschienen in Architektur & Bauforum Nr.16/ Sept.03