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Die Verheißungen von Entertainment-Center und Shopping Mall sind noch nicht genügend widerlegt. Als "Stadtgenerator" funktionieren diese Immobilien aber nur mehr bedingt. Vor allem die Illusion des Kinos betrifft weit mehr ihre Investoren als ihre Besucher, die Verfallsdaten rücken den Eröffnungsterminen immer näher. Was zurückbleibt, ist gefährdet. Denn mit den Kinos stirbt auch die nähere Infrastruktur, das Gebiet erfährt eine Abwertung, und für betonierte Kinosäle lässt sich kaum eine Nachnutzung finden. Von Manuela Hötzl.

Cineplexx und Plesuredome

Rüdiger Lainer hat bei zwei Kinoprojekten die offensichtliche Problematik von vornherein berücksichtigt und einen Prototyp geplant, der eine Nachnutzung als Büro- oder Wohnhaus ermöglicht. Wesentlich ist, dass beide Bauten nicht nur eine (städte)bauliche Alternative in sich tragen, sondern auch als Kino einen Raum inszenieren, der durchaus einzigartig ist. Die Säle sind gestapelt und nicht verschachtelt, so kann die Positiv-Form wahrgenommen werden. Lainer erreicht damit luftige Räume, die immer wieder einen Bezug nach außen herstellen. Die Schwere der Säle und die Tiefe des Gebäudes sind spürbar, aber nie erdrückend, Orientierung ständig möglich. Die Zwischenräume ergeben ein Wegesystem, zelebrieren Erweiterungen, Öffnungen, Ein- und Ausblicke. In Salzburg sind die Materialien roher als in Wien, ihre gestockten Betonoberflächen führen sich auf wie Felsen in der Stadt. Das Innere im Wiener Bau dagegen wirkt nobler und theatralischer, bunter und vielfältiger. Die konzeptuelle Verwandtschaft äußert sich in einer differenzierten Syntax, die jeweils auf die städtischen Bedingungen reagiert.

Erste Einstellung – Wien:

Das Entwicklungsgebiet rund um die Gasometer liegt an einer Station der U-Bahnlinie U3, der wichtigsten des Wiener Netzes. Sie verbindet das Zentrum direkt mit potenziellen und bereits vorhandenen Subzentren und Randgebieten. Außerdem liegen die Gasomter für Autofahrer günstig erreichbar an der Süd-Ost-Tangente, und unweit davon führt eine Fußgängerbrücke direkt in den Wiener Prater.

Im Schatten der Gasometer etabliert sich das Entertainment-Center "Pleasuredome" von Rüdiger Lainer mit einer leuchtend bunten Fassade. Der Bebauungsplan des nördlich anschließenden Gebiets wurde ebenfalls von Lainer entwickelt und definiert die Zwischenräume der nachfolgenden Bauten, von denen zwei bereits realisiert worden sind. Den "Pleasuredome" bezeichnet Lainer selbst als "landschaftliche Struktur", auch als "große städtische Skulptur". Die Schwierigkeit, neben den alles überragenden, gemauerten Gasometern zu bestehen, gelingt dem "Pleasuredome" weniger als Skulptur denn als transparente Abgrenzung einer "durchscheinenden" Stadterweiterung. Was die Gasometer verstecken, präsentiert das Kino umso deutlicher.

Die Verbindung von Gasometer und Entertainment-Center geht von einem gläsernen Kubus aus, der eine Brücke zum vierten Zylinder schlägt. Dies ist einer der zwei möglichen Eintritte in den "Pleasuredome". Empfehlenswerter, weil spannender, ist allerdings der andere. Direkt von der U-Bahn-Station auf der anderen Straßenseite führt die erste Kehre einer Rampe über das Sockelgeschoss hinweg in das Gebäude. Im Inneren folgt sie weiter schwungvoll der Fassade bis zur Shopping Mall oder in der Mitte direkt hinauf zu den Kinos.

Man taucht in das Gebäude ein wie in die erste Szene eines Films. Tritt man über die Rampe in das erste Bild des „Pleasuredome“, fühlt man sich in die erste Schicht des Gebäudes aufgenommen. Licht von der hohen Glaswand, durch farbige Folien gebrochen, trifft auf die zweite, durchbrochene Struktur des „eigentlichen“ Gebäudes. Die Komposition des Bildes kündigt an, was kommt.

Lainers Raumlandschaften geben eine Richtung vor, mehr nicht. Ständige Sichtbeziehungen oder schluchtartige Einschnitte bestehen auf der Definition eines Zwischenraums. Die Shopping Mall, mit dem gläsernen Steg die direkte Fortsetzung der Gasometermall, verzichtet auf einen geometrisch eindeutigen Luftraum. Die Ebenen, an den Stirnseiten farblich markiert, schieben sich übereinander, rücken nach hinten oder bilden Brücken. Die Farbigkeit wird hier eher zurückgenommen; graue Steinböden, rohe Betonstützen, weiße Wände, gläserne Brüstungen und die glänzenden Aluminiumverkleidungen der Rolltreppen sind dezente Kulissen für das ohnehin marktschreierische Shoppingambiente.

Auf der zweiten Ebene der dreigeschossigen Mall gelangt man in den Foyerbereich der 15 Kinosäle mit Kassen und langen Popcornbars. Dahinter fängt das Flanieren an, zwischen den auskragenden Kuben der Säle, unter den Verbindungsstegen der Projektionskabinen, vorbei an Toilettenturm und körperhaften Rolltreppen. Alle Funktionen sind lesbar, alle bilden räume. Selbst konstruktive Details erwecken den Eindruck einer übergroßen Möblierung, die hier und da in Materialvielfalt aufzugehen scheint. Der Salzburger Künstler Oskar Putz erstellte das Farbkonzept im Kinobereich und für die Glasflächen der Fassade.

Das Prinzip der Nachnutzung bedurfte intensiver Überzeugungsarbeit gegenüber dem Bauherrn und wurde erst durch die unkonventionelle Konstruktion der Säle möglich. Sie sind nicht, wie sonst üblich, Betonblöcke, die immer paarweise angedockt werden, sondern sie können auseinandergenommen werden. Die Möglichkeit der Demontage ist nicht einziger Garant einer Nachnutzung. Lainer entwickelte das Konzept bis in den städtischen Umraum. „Sollbruchstellen“, wie der Architekt vorausgeplante Öffnungen in den Außenwänden nennt, oder die anhebbaren Fertigteildecken erlauben es, Atriumhäuser, Büros und, im Binnenraum, großflächige Nachnutzungen zu implantieren – eine Struktur, die für die Bauaufgabe Multiplex als prototypisch bezeichnet werden kann.

Zweite Einstellung – Salzburg:

Mit ihren acht Kinosälen in den Obergeschossen und der Shopping Mall im Erdgeschoss ist die Cineplexx City Salzburg, als Solitär, wesentlich rigider in die Stadt eingestellt. Die Situation, nahe dem Bahnhof, ist sensibler als im Wiener Randgebiet. Das Grundstück grenzt unmittelbar an die denkmalgeschützte Brotfabrik von Hugo Gessner, einem Schüler Otto Wagners. Nach dem unbefriedigenden Vorschlag eines Wiener Architekten schlug der Gestaltungsbeirat der Stadt Salzburg einen Wettbewerb vor, aus dem Rüdiger Lainer als Sieger hervorging. Rüdiger Lainer wahrt Distanz zum kostbaren Altbestand und setzt auf einen Zwischenraum, der seinen Glaskubus als „kontextuellen Solitär“ hervorhebt. Die Glashülle reagiert hier anders als bei seinem Kino in Wien. Tagsüber bleiben die geriffelten Glasplatten grau und stumpf, eine Spiegelung der Stadt in der Fassade war nicht erwünscht. Das Licht wird gefiltert und gibt nur durch eine leichte Transluzenz schemenhafte Eindrücke aus dem Inneren preis. Nachts schillert die Fassade, von hinten beleuchtet, in bunten Farben und verweist auf die Lichtspiele in den Kinosälen. Die Hülle setzt sich konstruktiv mit einem Abstand von über einem Meter vom Kern ab. So wurde ein Raum gewonnen, der Fluchttreppen aufnimmt und eine natürliche Lüftung des Gebäudes ermöglicht. Im Inneren erzeugt die lichtfilternde Hülle ein gleichmäßiges, mitunter fast künstliches Licht. Nur zum Bahnhofsplatz öffnet sich die Fassade mit einem Schaufenster.

Auch hier werden die Kinosäle gestapelt und durch Rampen, Treppen und Freitreppen erschlossen. Auch hier finden sich Durchbrüche, und immer wieder fällt Tageslicht von oben ein. Alle Körper, nicht nur die der Säle, sind so weit wie möglich frei gestellt. Konstruktive Lösungen sind kaum nachvollziehbar, alles erscheint wie eine Kombination aus Einzelaufgaben, deren Zusammenhalt anderen als baulichen Gesetzmäßigkeiten zu folgen scheint. Die Hülle der Säle wurde in rohem Beton belassen. Mit seiner sandgestrahlten, rauen Oberfläche bildet dieser einen sowohl farblichen als auch haptischen Kontrast zu den übrigen Oberflächen.

Doch nicht nur Material und Licht sind wesentlich für das Raumklima der Kinos. In beiden Projekten hat der Architekt eine Klimaanlage vermieden und eine natürliche Nachtspeicherkühlung vorgesehen. In Salzburg wird im Zwischenraum der Hülle mit thermischer Durchluft gekühlt, gelüftet wird mechanisch nach oben, die Betonmassen der Säle fungieren als Speichermasse. In kritischen Bereichen wie in Raucherzonen wird gezielt Luft zugeführt, die warme Luft kann im Bereich der Erzeugung sofort abgeführt werden.

Ähnlich wie in Filmen von David Lynch kann man durch die beiden Kinos wie durch „mentale Landschaften“ flanieren. Mitunter fehlt diesem Universum allerdings die Klarheit, lässt die Fülle der Details, die für sich lustvoll, leicht und farbenfroh wirken, in letzter Konsequenz eine Haltung vermissen. Beide Fassaden reagieren, gläsern und bunt, im Wechsel von Tag und Nacht mit konventionellem Licht und Farbspielen jeweils anders, je nachdem, wann Auffälligkeit gefragt ist. Doch lässt man sich auf den filmischen Vergleich ein, ist Lainers Architektur – indem sie spätere Nutzungen vorausdenkt und nicht nur unübliche Räume schafft, sondern auch noch gebäudeklimatischen Nutzen daraus zu ziehen weiß – weit mehr die eines Drehbuchautors denn die eines Regisseurs.



Architekt:
Rüdiger Lainer, Wien

Pleasuredome Gasometer Wien
Mitarbeiter:
Christian Fötschl, Gottfried Seelos, Michael Lange, Tadeusz Chimiak,Andrea Seidling, Jaroslav Travnicek,Lorenzo Rossi, Michael Pitsch, Lisa Zentner, Christian Knud Nielsen,

Bauaufsicht:
FCP Fritsch, Chiari & Partner ZT GmbH/DI Kottmann, Wien

Tragwerksplanung:
FCP Fritsch, Chiari & Partner ZT GmbH/Robert Schedler, Wien

Klimasimulation:
Dr. Pfeiler Ziviltechnikergesellschaft/DI Gollner, Graz

Kinoausbau:
Atelier Achatz Architekten, München

Betreiber:
Kima Cinemas Vienna GmbH, Wien

Bauherr:
Europa Fonds/Alag/Zwerenz & Krause, Wien

erschienen in Bauwelt 43-44/Nov.02,S.35ff