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Von Walter Chramosta.

Bildungsanker im Wohlstandsgefälle.Der Volksschuldirektor von Doren

Architektur: cukrowicz.nachbaur


Exemplarische Bauherrenkonstellationen in alpinen Lagen von Vorarlberg, Nr. 1


Doren: ein exponiertes Dorf im vorderen Bregenzerwald auf 700 Meter Seehöhe. Eine ruhige Auspendlergemeinde im Sog der wirtschaftsdynamischen Rheintalstadt. In die Landeshauptstadt benötigt man eine halbe Autostunde. Das Gemeindegebiet umfasst 14,2 Quadratkilometer, davon sind 60 Prozent landwirtschaftlich nutzbar. Etwa 1.000 Personen haben in Doren ihren Hauptwohnsitz, ungefähr 40 einen Zweitwohnsitz. Bei der Nationalratswahl 2002 waren die ÖVP (74 Prozent), die FPÖ (11 Prozent) und Die Grünen (6 Prozent) die stimmenstärksten Parteien; bei der Gemeinderatswahl 2005 erhielt die als Einzige kandidierende Bürgerliste 97 Prozent der Stimmen.

Man befindet sich im Bregenzerwald in konservativ- ruraler Verfassung, zugleich ist man punktuell urban-innovativ aufgeschlossen. Das erzeugt merkwürdige Konstanzen und stimmige Brüche im Raum wie in den Lebensabläufen; Land und Stadt greifen ineinander. Ein findiger Menschenschlag prägt den „Wald“, diesen Inbegriff einer entwicklungsträchtigen Randlage. Weltoffenheit und Weltverschlossenheit verbinden sich hier so widerspruchsarm wie in keiner anderen alpinen Region Österreichs. Die katalytische Koexistenz von bäuerlicher Bautradition und heutigem Architekturschaffen ist ein deutliches Anzeichen. Doren ist Teil einer alten Welt und hat doch unleugbare Partikel einer neuen.

Die Volksschule ist für Doren der Ankerpunkt des Wandels. Sie ergibt die Urbanisierung des Ortszentrums und eine glückliche Neufassung der kommunalen Grundschule. Sie ist umstritten wie jede zeitgenössische Architektur, sperrig in ihrer gestalterischen Konsequenz, schwer akzeptabel in ihrer harten Materialität, aber mittlerweile hat man sie sich angeeignet – zumindest jene Personen, die die Sinnlichkeit des Inneren erlebt haben. Oder die den Initiator kennen gelernt haben: den Lehrer und Direktor Bernd Dragosits. Autoren des Bauwerks sind selbstredend die Architekten, die den Wettbewerb gewannen. Autor und Motor des Projektes war aber der Direktor, er war Bauherr im eigentlichen Sinn, beharrlich qualitätsorientiert, taktisch geschickt im Umgang mit der Gemeindeführung und mit dem Stammtisch. Kein gutes öffentliches Bauwerk entsteht ohne solch eine Kristallisationsfigur der Interessen, kein siegreiches Wettbewerbsprojekt kann ausreifen, ohne dass den Planern ein perfektionistischer Nutzer gegenübersteht. Eine exemplarische Randbedingung der Architekturproduktion.

„Ich war Schulreferent in Bregenz, habe dann geglaubt, hier wichtig zu sein“, berichtet Dragosits. „Seit 1994 war ich in Doren Schuldirektor, in einem verbrauchten Haus mit einer schlimmen räumlichen Situation: kein Werkraum, kein Turnsaal, Direktor und Lehrer auf 12 Quadratmeter zusammengezwungen, regelmäßige Ausfälle der Heizung. Die Diskussion um einen Schulneubau ging sechs Jahre! Aber der Fußballplatz und die Feuerwehr wurden vorgezogen. Den Kindergarten habe ich in das Projekt integriert, was der Verwirklichung der Schule geholfen hat.“

Der Direktor argumentierte gegen die teure Renovierung des Bestandes, schrieb das Raumund Funktionsprogramm, war im Preisgericht des Wettbewerbes und bereit, den Bürgern den Bau zu „verkaufen“, indem der Entwurf von Anfang an immer kommuniziert wurde. Die Bedürfnisse der Lehrer ließ er in Grundriss und Ausstattung einfließen. Der Traum der Lehrer hat sich erfüllt: Es gibt Arbeitsplätze nach Wunsch, das Gebäude funktioniert in allen Aspekten, es hat die beste pädagogische Ausstattung in Vorarlberg, sogar der anfangs zurückhaltende Bürgermeister
ist stolz.

Überzeugend die strukturelle Lösung: In der steilen Hangsituation war ein horizontaler Dorfplatz, der zugleich Pausenhof ist, willkommen, die frei stehende Volksschule bildet mit Gemeindeamt und Kirche eine Trias. Die Schule steckt bergseitig zweieinhalb Geschosse im Hang, wahrt trotz ihres Volumens den Maßstab des Ortsgefüges. Die Geschossgliederung ist nicht minder stringent, sie folgt dem Gelände: die Turnhalle zur Hälfte im Boden, ihr Oberlicht und der Haupteingang samt Winterfoyer orientiert zum Platz, im ersten Obergeschoss der Nebeneingang mit der Aula, die Direktion, das Lehrerzimmer und die Kindergartengruppe, im zweiten und dritten Obergeschoss jeweils zwei Klassenzimmer und ein Werkraum mit Sanitär- und Nebenräumen. Es ist ein extrem optimierter Grundriss, ohne Gang, bestenfalls mit einer Garderobenschicht, die eigentlich zum Klassenzimmer gehört.

Kompositorische Techniken sind das Überlagern und Drehen von Raumschichten in der Horizontalen und Vertikalen. Durch den Wechsel der Orientierungen der Schichten im Erdgeschoss und in den beiden Obergeschossen entsteht ein Spiel, das sich an den tragenden Außenwänden abbildet. Raumhohe Träger überspannen die gesamte Gebäudetiefe. Die Tragstruktur aus Sichtbeton ist an den Fassaden und im Gebäudeinneren ablesbar. Für die nicht tragenden Teile wurde nur unbehandelte Weißtanne verwendet, an den Wänden glatt gehobelt, auf den Böden fein gesägt. Ein in seiner Einheitlichkeit und Klarheit bestechendes Ambiente von hoher Praktikabilität, schlüssig auf allen Ebenen der Wahrnehmung: visuell, akustisch, olfaktorisch und taktil.

Das Credo des Direktors, dass man nicht auf Kosten der Schüler „für“ die Gemeinde sparen kann, hat sich bewährt. Im neuen Gebäude gibt es weniger Streit, höhere Konzentration und weniger Erkrankungen bei Lehrern und Schülern. Durch den weichen Holzteppich und das flexible Schülermobiliar präsentiert sich das ganze Haus als Lernort. Vielfältige Nutzungen erobern das Raumpotenzial der Schule. Bernd Dragosits kann den Erfolg seiner höchstpersönlichen Schulpolitik auf den Punkt bringen: „Die Ministerin würde nach Noten fragen, aber die Noten sind hier nicht besser als anderswo. Die Atmosphäre ist besser!“




Walter Chramosta (geb. 1956) studierte Architektur, Bauingenieurwesen und Philosophie. 1988 gründete er die interdisziplinäre Planungsgruppe Pontifex Partnership. Neben der Planung und Durchführung mehrerer Industrie- und Wohnbauten in Österreich leistet er internationale Vermittlungsarbeit in Sachen Architektur, Ingenieurbau sowie Landschaftsgestaltung und arbeitet als Architekturkritiker für in- und ausländische Tageszeitungen und Fachzeitschriften. Weiters ist er Mitgestalter der österreichischen Fachmedien Bauforum und UmBau, Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Architektur (ÖGfA) und Konsulent der Sektion Architekten, Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten
für Wien, Niederösterreich und Burgenland.

Publikationen:
Das neue Schulhaus / The New Schoolhouse, Springer, Wien 1996;
Helmut Richter (Monografie), Birkhäuser Verlag, 2000; Positionen.
Beiträge zur Modernen Architektur im Burgenland, Österreichischer Kunst- und Kulturverlag, 1993.

Text erschienen in:

Einfach! Architektur aus Österreich. Just! Architecture from Austria

ISBN 3-901174-61-3
978-3-901174-61-2
Verlag Haus der Architektur Graz
2006/148 Seiten/pages
Verkaufspreis/price: € 28,90
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