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Von Michael Hasslacher, Benedikt Sequiera, Sonja Ernst, Marlene Rutzendorfer, Marlene Wagner.

REM IS SO OVER!?

Wenn es Idole oder Stars in der Architektur gibt, dann hält sich Rem Koolhaas seit Jahren auf Platz eins des Rankings. Ist es endlich an der Zeit zu fragen, warum? Oder ist Rem längst out, und es gibt bloß keinen, der seine Position übernehmen kann?


HALLO REM

Ich weiß zwar auch nicht mehr genau, von wem der Spruch „rem is over“ stammt, ich glaub es war einer unserer Professoren, und ich bin mir auch nicht mehr ganz sicher, warum wir ihn als Titel genommen haben – wahrscheinlich weil sich dieses Mal viele Beiträge mit der sozialen Verantwortung und der Rolle der Architekten auseinandersetzen – und da kommst du im Großen und Ganzen ziemlich schlecht weg. Du begleitest mich jetzt schon seit dem ersten Semester und bist eigentlich in fast jeder Vorlesung in irgendeiner Weise vorgekommen und jetzt soll plötzlich alles „over“ sein? Alles umsonst? Ich hab einiges von dir gelesen, und trotzdem weiß ich immer noch nicht, ob ich dich wirklich verstanden habe – schließlich schreibst du ja auch ziemlich kompliziert und man weiß nie wirklich, ob du grade provozieren willst oder tatsächlich so ein Zyniker bist.

Ein Text von dir ist mir immer noch gut in Erinnerung. – Ich glaub, er hieß typical Plan und es ging um die typischen amerikanischen Wolkenkratzer der 80er-Jahre mit ihren freien und offenen Grundrissen. Jeder Architekt rümpft dabei die Nase oder sagt schlicht „Legebatterien“ – du sahst darin was anderes. Du sahst darin die absolute Freiheit. Freiheit – weil keine Mauern, keine Architektur –, nur nackte Fläche – die Menschen zurückgeworfen auf sich selbst, nichts Vordefiniertes. Der Gedanke hat mich wirklich gefesselt. Auch das mit Lagos hat mich fasziniert. Jeder andere hätte sich wahrscheinlich über die „furchtbaren“ Verhältnisse und Lebensbedingungen dort echauffiert und wäre mit schlechtem Gewissen nach Hause geflogen – dich hingegen hat das System fasziniert. 20 Millionen Menschen auf einem Haufen und keine Regierung, kein Ziel und keine Ideologie, skrupellos und korrupt – und trotzdem Leben, das sich irgendwie organisiert. Und warum sollst du jetzt „over“ sein?

Ich hab dich immer so verstanden, dass es dir um Freiheit geht – und die hat derzeit einen schlechten Stand. Letztens kam in einer Umfrage heraus, dass Freiheit von mehr als 50 Prozent aller Deutschen spontan mit Negativem assoziiert wird – und ich will gar nicht wissen, wie viele Österreicher das umgerechnet sind! – Wir fallen zurück, und die ganzen Tugendwächter und Moralisten kommen wieder aus ihren Löchern – natürlich nicht im religiösen, sondern im frischen, Fair-trade-Gewand. – Ich meine die Nachhaltigkeitsfanatiker und Gutmenschen, die sich besonders für das Leid der Welt begeistern können. Man nennt sie auch LOHAS (Lifestyles of Health and Sustainability) und Angelina Jolie ist ihre Göttin. Sie zahlen brav für ihre „Sünden“, z. B. wenn sie mal wieder nach Australien jetten und dafür bei Atmosfair einzahlen, damit die ein paar Bäume für sie anpflanzen.

In der Architektur funktioniert das dann nach dem Motto: „Mal kurz wohin fliegen, was Gutes tun, ein paar Häuschen bauen!“ – und dann wieder ab nach Hause. Das Ganze wird dann natürlich noch ordentlich medial verwertet – das hat das Niveau eines Charity-Balls! Ich glaub, ich werd dadurch noch zum totalen Zyniker. Jedenfalls macht es mir inzwischen enormen Spaß, beim Billa die Weintrauben aus Südafrika zu kaufen und dabei diese bösen Blicke zu ernten. Endlich gibt es wieder die „Guten“ oder zumindest die, die sich dafür halten.



HEY REM

Tja, leider weiß ich gar nichts von dir und werde mich wohl auf meinen Vorgänger konzentrieren müssen. Ich denke mir, dass du den provozierenden Status vielleicht nur verlierst, weil du zu einer Norm wirst. Denn dass deine Hommage an die Freiheit neue Konstellationen von Menschen und Gruppen ermöglichen soll, ist doch nicht so schlecht, oder? Also wenn du den freien Raum hinterlässt, wird er angeeignet von neuen Gruppen mit neuen (Status-)Symbolen. Eine Hierarchie gibt es dann nicht mehr. Deine Räume würden den jeweiligen Subsystemen angepasst werden. Ein großer Supermarkt bietet Raum für LOHAS und liberale Yuppies, Lagos für Arbeiter und Bettler. Wem´s nicht gefällt; muss halt gehen. Oder bleiben; wenn er nur dort seine Brötchen findet. So, lieber Rem, auch wenn ich dir hier wohl nicht gerecht geworden bin, werd ich´s wohl dabei belassen, mich aufs Rad schwingen und wohin fahren.



HALLO REM

Du bist einfach nur von deinem Erfolg gefressen worden. – Ich meine, in der Architektur läuft es seit der Avantgarde doch immer so: Es kommen Ideen auf, und sobald die sich etabliert haben, kommt die neue Architektengeneration und muss sich profilieren. Dabei ist es völlig egal, ob die Idee schon ausgereizt ist, es muss was Neues sein, und am besten genau das Gegenteil. Aber nur weil die Architekten dich anscheinend schon als obsolet sehen, heißt das ja nicht, dass du schon vorbei bist. – In zehn Jahren wird man sich spätestens wieder nach dir umschauen …



OH REM

Ich trau mich ja gar nicht, es auszusprechen, ich lieb dich immer noch! Ich muss mich zwar zu den LOHAS zählen, wenn ich auch wegen meiner Flugangst nicht nach Australien jette, und Atmosfair deshalb noch keinen Cent von mir bekommen hat, und wenn auch Angelina sich durch ihre an Idiotie nicht zu überbietenden Filme selbst von meiner Gottheitsliste meilenweit fern hält, in der du, ja du, ganz oben rangierst; aber dennoch, oder gerade deshalb bevorzuge ich deinen ehrlich verlogenen Glitter und Glamour gegenüber dem Scheinheiligenschein vieler. Oh, Koolhaas,
führe mich, gründe deine eigene Gemeinde, die KLOHAS, nein, KOOLHAAS (K‘mon, Oi, Our Life Has Asshole Architecture Sustainability), und mit dieser Ehrlichkeit, ja, mit dieser Offenheit retten wir die Welt, und wenn schon nicht die Welt, so zumindest unseren eigenen, delirious.



> Link:Wikipedia.de/Rem Koolhaas > Link:OMA Office for Metropolitan Architecture- > Link:LOHAS.com: Lifestyles of Health and Sustability- > Link: Atmosfair.de-