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„Wir brauchen keine anderen Welten. Wir brauchen Spiegel. Mit anderen Welten wissen wir nichts anzufangen. Wir wollen das eigene idealisierte Bild finden; diese Globen, diese Zivilisationen haben vollkommener zu sein als die unsere, in anderen wiederum hoffen wir das Abbild unserer primitiven Vergangenheit zu finden. Indessen ist auf der anderen Seite etwas, was wir nicht akzeptieren, wogegen wir uns wehren.“ So äußert sich Stanislaw Lem schon 1968 in seinem Buch Solaris über unsere geheimen Ansprüche und Ängste einer Virtuellen Welt. Jetzt 35 Jahre später scheint unsere Vorstellung von diesen Welten noch immer hinter der technischen Entwicklung hinterher. Von Manuela Hötzl.

Form with(out) Fellows

Ein virtueller Dialog

Wie der Ozean in Solaris ist unser Eindruck der einer zähen, gewaltigen Masse, die scheinbar sinnlose Formen annimmt und deren Ausdruck entweder als der einer Intelligenz oder als zufälliges Phänomen gesehen wird. Auch Greg Lynn schreibt 1998 in seinem Text “Blob Tectonics, or why tectonics is square and topology is groovy: Blobs that threaten to overrun a terrorized and deterritorialized tectonics like a science fiction movie” und beschäftigt sich seitdem mit einer möglichen Umsetzung seiner früheren Theorien in baubare Designobjekte. Betrachtet man aber den Entwurf des Besucherzentrums in Costa Rica, momentan in seiner Ausstellung „GREG LYNN. Intricate Surface“ in Wien neben einer Mischung aus Designobjekten, Fröschen und Schmetterlingen, zu sehen, stellt sich die simple Frage des „Warum?“. Der Glaube an einen neuen und erlebbaren Raum scheint das nach einer regionalen Papageienart gefärbte Törtchen nämlich nicht anzubieten, sondern erweckt eher den Eindruck eines Screenshots der Software-Technologie und ist weit entfernt von einer „intelligenten Masse“. Lynn widmet sich den komplizierten Oberflächen und greift dabei auf bionische Erkenntnisse und Technologien der Autoindustrie zurück. Bei der diesjährigen Ars Electronica in Linz, die sich das Thema „Code-The Language of our time“ stellte, wurde gerade die repräsentativen Oberflächen sträflich vernachlässigt. Die Ausstellung schaffte nicht mehr als eine umfassende Bewegungstherapie für Computerfreaks: denn ohne in Mikrophone zu sprechen, kleine Drachen in Boxen zu verbannen, ohne mit Joy-Sticks und anderen Gerätschaften zu hantieren, die man drücken oder zumindest berühren muss, ohne eben dem Besucher selbst, lief so gut wie gar nichts. War man aber mit kindlichem Gemüt und genügend Energie gewappnet, konnte man in allen vorstellbaren künstlichen Enviroments agieren und schauen, was dann so passiert. Die Frage nach dem „Warum?“ stellte sich auch hier. Man sah im Hintergrund direkt die „Codes“ ablaufen und wie im Film „Matrix“ hatte man keine Ahnung, was sie darzustellen versuchten. In diesem Experimentierfeld der Computertechnologie fällt dennoch eine Repräsentation aus dem üblichen Rahmen: der CAVE. In diesem Virtuell Reality Erlebnisraum werden stereoskopisch 3D-Grafiken auf Boden und Wände des 3x3x3 Meter großen Kubus projiziert. Mit Brille und Joystick, der die Navigation ermöglicht, bewegt sich das Bild mit dem Betrachter, der davon völlig umgeben ist. Im Museum der Zukunft, in Linz, befindet sich der einzige öffentlich zugängliche CAVE in Europa, womit jeder die mittlerweile große Sammlung des Museums dort erleben kann. Dieses Jahr wurde das Projekt „Uzume“ der Architektin und VR-Künstlerin Petra Gemeinböck in die Sammlung aufgenommen und bei der „Ars Electronica“ gezeigt. Dieses Projekt unterscheidet sich in vielen Aspekten von altgewohnten Computerästhetiken und will vor allem eines: Unsere Vorstellungskraft und gewohnte Bilder, unserer Sichtweise und unsere Kommunikation mit den Medien anders repräsentieren. Ihre Architektur löst sich von der Form und wird in abstrakten „Wirbeln“ sichtbar. Auf der Benutzeroberfläche, die der Besucher in 3D erlebt, wird eine Art „Feedback-Loop“ zwischen dem Benutzer und dem System konstruiert, wobei sich das System als Form von Architektur zeigt.

„Uzume“ ist der Name einer japanischen Göttin und heißt „whirling“. Die Geschichte von Uzume erzählt von einem Tanz, mit dem sie es schaffte die Sonnengöttin Amaterasu aus ihrer Höhle zu locken. Die interaktive Installation „Uzume“ lockt auch, und zwar den Besucher, in eine Welt, die sich abstrakt verändert. Ausgestattet mit der 3D-Brille und zwei Joysticks, in jeder Hand eine, betritt man den „CAVE“. Wenn man dieses System besucht, ist man selbst der Akteur. Der Besucher muss sich bewegen, mit jeder Geste entwickelt sich ein anderes Bild von „Uzume“, die endlos in ihren Formen reagiert. So hat jeder Akteur seinen eigenen, individuellen Tanz vor Augen, oder vor der Brille. Das Besondere an diesem Projekt ist die Programmierung des „unsichtbaren“ Raumes der Cave. In einem Raster sind Raumpunkte eigenen Gesetzmäßigkeiten einer trägen Masse unterworfen, in dieser bewegt sich „Uzume“ in Form von Schleifen um den Akteur. Letztlich ist die Form, die Darstellung, das Ergebnis nicht als statisches Objekt zu sehen, an dem wir aus unserer handfesten Erfahrung als Architekten immer noch festhalten, um es einer Beurteilung zu unterziehen.
Auch wenn die räumliche Gestaltung so reduziert ist, keine Farben, keine „Wände“, kein oben und kein unten hat, erleben die Besucher eine Form von Architektur – die Petra Gemeinböck auch für sich so definiert. Bei Uzume wird man selbst zur Schnittstelle zwischen Realität und diesem virtuellen Raum. Die Bewegungen passieren auf einem chaotischen System, dessen Zustand sich immer wieder neu entwickelt – und auf den Besucher reagiert. Diese neue Art der Kommunikation zwischen räumlichen Zuständen, die allerdings physische Wertigkeiten eines Raumes negieren oder zumindest anders interpretieren, ermöglichen auch die jeweils individuelle Erfahrbarkeit. Für Gemeinböck ist Raum ohne Zeit nicht denkbar, da sie sich gegenseitig bedingen und voraussetzen. „Schon in meinen Computeranimationen hat mich der Gedanke fasziniert, dass sich Raum ganz anders und abhängig von Dauer und Zeitkontraktionen oder –dehnungen verhält. Architektur ist in unserem Verständnis aber etwas statisches, das wir nur aus der Bewegung heraus erfahren können. Bei „Uzume“ wollte ich einen sich stetig verändernden Raum gestalten und damit die Zeitkomponente einbinden. Also eine Raumerfahrung basierend auf einer Abfolge zeitlichen Bedingungen.“ Wobei die Kommunikation mit dem Medium eine wichtige Rolle für das Erleben des Raumes spielt und eine Art Identität erzeugt, die es ermöglicht den Raum für sich zu erobern (inhabit). Um sich von dem Raum eingenommen zu fühlen, brauchen wir mehr als ein dreidimensionales Bild, sondern ein Gegenüber. Bei Uzume folgt auf eine Reaktion eine Gegenreaktion. In diesem Dialog konstruiert sich die Welt, mit der wir uns identifizieren. So forscht auch die NASA nach einer neuen Art der Kommunikation und geht davon aus, dass simple Datenübertragung in der Isolation des Weltalls, beispielsweise auf dem Mars, nicht mehr genügt. Videokonferenzen, die aus technischen Gründen meist nicht mehr funktionieren, sollen von Informationsübertragungen mittels Bewegungen übernommen werden. Ein Mensch auf dem Mars würde dann „Teile“ im Raum bewegen, der auf der Erde einen Impuls auslöst und mit einem Gegenimpuls antworten würde. Diese Möglichkeit aus der Isolation zu fliehen, wäre zwar eine rein virtuelle, würde aber etwas „Lebendiges“ evozieren. Würden wir diese Konzepte weiterdenken, muss man davon ausgehen, eine neue Sprache zu erlernen und damit kommunizieren zu können. Sprache ist an sich ein sehr abstraktes, künstliches Medium und wir müssen uns erst ein neues Vokabular aneignen, um in unseren konstruierten Datenwelten zu navigieren, am Netz oder im CAVE. Gemeinböck: „Was die Sprache betrifft –sowohl des Codes, in dem diese Virtualität „umschrieben“ wird als auch des darin Navigierens und Steuerns- ist die interessanteste und wohl auch schwierigste Frage, die der Begrenztheit einer jeden Sprache. Ich glaube, dass das Erweitern dieser Grenzen, sowie die Möglichkeit, intuitivere Methoden zu entwickeln, sicherlich eine Herausforderung für die Zukunft darstellen.“
Vor wenigen Jahren noch, war der Inhalt einer virtuellen Welt ja fast belanglos, solange man sich scheinbar dreidimensional darin bewegen konnte. Mittlerweile hat sich der Begriff der „Virtuellen Realität“ sich abgenutzt und ist dennoch so präsent, wie nie zuvor. Mit einer gewissen Langweile gepaart mit einem immanenten Unverständnis begegnen wir nach der ersten Faszination dieser digital bestimmten Welt mit berechtigtem Argwohn. Hinter all den Interfaces steckt immer noch ein von uns bestimmtes Bild einer bekannten und realen Welt. Ähnlich wie im Holodech des Raumschiff Enterprise wird „etwas“ nach dem Vorbild unserer physischen Welt angestrebt und imitier und unsere Vorstellung von der virtuellen Welt wird stark mit unserer physischen, realen verbunden. Im Gegensatz zum WorldWideWeb unterscheidet sich der CAVE aber grundsätzlich von anderen. Hani Rashid, der seit langem ein virtuelles Museum für Guggenheim im Internet plant, freut sich zwar in einem Interview über die große „Besucherzahl“ , die dadurch ermöglicht wird. Virtuelle Räume, wie ihn der CAVE erzeugt, sind hingegen immer noch ortsgebunden. Seine Besucher müssen also zum Beispiel nach Linz fahren, um die virtuellen CAVE-Welten tatsächlich „immersiv“ erleben zu können. Die Visionen eines „Cyberspace“ oder einer „Virtuellen Realität“ waren schon immer stark von dem Begehren bestimmt, in den digitalen Raum einzutauchen und unseren physikalischen Raum damit überwinden zu können. Tatsächlich ist es aber so, dass das Erleben von Raum eng an unseren Körper gebunden ist – und somit an den Ort. So stellt sich die Frage, ob die räumliche Dimension noch benötigt wird und ob es uns jemals gelingen wird, unsere körperlichen Grenzen zu „überwinden“.
„Uzume“ kreiert einen Raum, der die Grenzen eines statischen Raums aber auch die eines mathematischen Codes zu verwischen sucht. Und dies gelingt mit einer fast ungewollten reduzierten Ästhetik, die sich allem räumlich Bekannten verweigert.

Dieser kurze Dialog mit den virtuellen Welten soll zeigen, dass das Werkzeug Computer, das wir denken uns angeeignet zu haben, eben nicht nur einen physikalischen Raum zu simulieren im Stande ist. Deswegen ein simpler Aufruf: Lassen wir Bekanntes hinter uns, das bestimmt wir von Erfahrungen und Gewohnheiten. Wir sind als Mediengesellschaft mitten in einem Prozess, der uns schon viele Dinge anders betrachten lässt. Räumlich und strukturell werden unsere Sinne in Zukunft gefragt sein. Immer noch existiert eine ursprüngliche Angst von einem Cyberraum eingenommen zu werden und wie in Matrix die Kontrolle und das Bewusstsein darüber zu verlieren. „Uzume“ ist dagegen fern dieser konservativen Vorstellung eines räumlichen Abbildes und versucht einer anderen Wirklichkeit näher zu kommen. Und die muss sich nicht unbedingt in formalen, gebauten Architekturen abbilden. Bleiben wir noch im virtuellen Raum und wollen wir etwas „Neues“ erfahren, kann man sich nur von herkömmlichen Designansprüchen verabschieden. So muss der Dialog in Gang gehalten werden, um in beiden Welten, der virtuellen wie der realen, ein paar Schritte voraus zu machen. Gemeinböck: „Eine virtuelle Wirklichkeit, deren Existenz nur auf sich selbst beruht, hingegen stößt an die Grenzen unserer Phantasie. Darin liegt auch ihre Menschlichkeit, kann sie sich doch nur in der subjektiven Wahrnehmung und Vorstellung unsichtbarer und unbegreifbarer Beziehungen, Assoziationen und Phänomenen formieren.“



1) Lem, Stanislaw: Solaris. Frankfurt am Main: Suhrkamp 1996, S.84