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"Schwer zu entdeckende Schönheit ist immer die großartigste. Vergessen Sie St. Petersburg, es ist Moskau, die Seele, die unglaubliche Hauptstadt", schrieb Pierre Doze, ein französischer Journalist, der über acht Jahre in Moskau gelebt hat. Er bezieht sich dabei auf die Architektur, die geprägt ist von den Zeichen der Macht, ihren theatralischen Demonstrationen und extravaganten Proportionen... Von Manuela Hötzl.

Paläste fürs Volk - Die Moskauer Metro: Das längste und schnellste zu durchquerende Museum

Die Moskauer Metro: Das längste und schnellst zu durchquerende Museum

Als Moskau 1918 die Hauptstadt der Sowjetunion wurde, begannen die Planungen zur Stadterneuerung, die die neuen Funktionen einer Metropole nötig machte. Mit dem umstrittenen Generalplan wurde 1935 die städtebauliche Umstrukturierung festgelegt.
Hauptziel war es, die Stadt kompakter zu machen. Der Gegensatz zwischen dem reichen Zentrum und den armen Randvierteln sollte aufgehoben werden, um ein Wachsen der Stadt zu ermöglichen. Damals lebten drei Millionen Menschen in Moskau, heute sind es mehr als 13 Millionen. Das Ende des Konstruktivismus fiel in jene Zeit, letzter Höhepunkt in der russischen Architekturgeschichte, der sich baulich durchsetzen konnte. Was folgte, waren Mischstile und Stilblüten. Aus der Stadtsilhouette nicht mehr wegzudenken: die "sieben Schwestern Stalins". Die berühmten Hochhäuser wurden zwischen 1948-1957 gebaut und waren schon damals als markante Zeichen geplant. Nach der baulich ruhigen Zeit der Perestroika wurde Moskau Opfer der Postmoderne und des Historizismus. Erst in den letzten zwei Jahren ist eine Entwicklung zu erkennen, die eine eindeutigere Richtung bestimmen und Moskau zu neuem Glanz verhelfen könnte.

In diesem Zusammenhang muss man Moskau sehen, wenn man sich dort auf den Weg macht und sich den Streit um Taxipreise stellt, über vom Frost aufgebrochene Straßen stolpert oder sich mit den täglich bis zu 10 Millionen Menschen über 100 Meter lange Rolltreppen in die Moskauer Metro in die Unterwelt bringen lässt. Die Metro ist ein Symbol Russlands, das das mythische Bild der sowjetischen Kultur erfüllt. Sie ist eines der wichtigsten Projekte der Sowjetunion, sie sollte das Metrozeitalter einleiten um die Stadt und ihre Bewohner zu vervollkommnen. Am 15. Mai 1935 widmete Jossif Wissarionowitsch Stalin die "unterirdischen Paläste für die proletarischen Massen" dem sowjetischen Volk - die ersten 13 Stationen waren der Öffentlichkeit übergeben.

Die Metro hat ihre eigene unterirdisch abgeschlossene Geschichte, architektonisch und politisch. Sie sollte ein sozialistisches Vorzeigeprojekt werden, Bewegung und Beständigkeit ausdrücken und keinesfalls an Bahnhöfe erinnern. Es war alles möglich. Nur eine räumliche Weiterentwicklung, die der Architekt Ladovskij schon 1935 mit der Metrostation ´Krasnye vorota´ begonnen hatte, wurde leider nicht fortgesetzt. Er hatte die Funktionalität und Statik in die Form des Eingangs und der Tunnel aufgenommen. Es blieb aber Großteils bei den zweischiffigen kathedraleartigen Hallen. Die Dekorationen standen im Vordergrund und wurden keine Grenzen gesetzt. Marmor, Mosaiken, Fresken, Stuckaturen, Skulpturen, Figürchen, Kronleuchter, Buntglasfenster waren Gestaltungsmittel der mittlerweile 150 Stationen. In höchster Qualität und Handwerkkunst sind die Details ausgeführt und bis heute in gutem Zustand.

Es ist jedem empfohlen für zwei Rubel eine Metrokarte zu kaufen und durch das Netz an Palästen, Ballsälen und Hallen zu fahren. ´An keinem Ort der Stadt kann man den Puls der Stadt besser fühlen´, behauptet Alexander Kaletski in seinem Buch "Die Moskauer Metro". Zumindest kann man nirgends einen wichtigen Teil der sowjetischen Kulturgeschichte so eindrucksvoll erleben. Vorbei an den Frauen in Glaskästen, die kontrollieren ob man auch mit Fahrschein durch die Schranken geht, ist es ein Erlebnis die langen Rolltreppen hinunter zufahren. Gegenüber bewegen sich langsam Menschen hinauf, aufgereiht, nur für neugierige Touristen. Auch am Ende jeder Rolltreppe sitzen die Frauen in Uniformen, damit man sich bei den langen Fahrzeiten auch gut benimmt. Es soll Tradition sein während der Fahrt seinen Liebsten zu küssen.

Am herausragendsten ist sicher die Ringlinie, "wo sich die ganze monumental-dekorative Wucht des sozialen und politischen Mythenschaffens der Nachkriegszeit niederschlug" (Ausstellungskatalog MAK, 1994, Tyrannei des Schönen, Olga Kostina).
Die Entwicklung der Architektur hat ein Oben und ein Unten. Die Utopie, die sich im Klassizismus der opulenten Unterwelt zeigt, wird oberirdisch abgelehnt und unterscheidet sich besonders von der strengen Kühle der Wohnbauten in den 20er und 30er Jahren. Gerade deswegen werden die Stationen für das Volk zu dem Traum eines zukünftigen Lebens.

Im zweiten Bauabschnitt, der 1938 abgeschlossen wurde, erhalten zunehmend die Details: Bögen, Gewölbe, Schiff eine Bedeutung. Vor allem die zentrale Halle wird, obwohl funktionell am unbedeutendsten, zum Hauptaugenmerk der Gestaltung. Selbst Lüftungsgitter und Armaturen fallen selbständige Rollen in der gesamten Ausstattung zu. Die Darstellungen im sozialistischen Realismus hat die russische Gegenwart und Zukunft nur im positiven Licht beleuchtet. Jeder Bahnhof thematisiert Motive dieser Geschichte: Szenen aus dem sowjetischen Sport, die Eroberung des Weltalls, den Vaterländischen Krieg, Motive aus Puschkins Werken, das Zirkusleben. Überall kann man flanieren, sich den Hals nach Deckenfresken oder Mosaiken verrenken, in Schlangenlinien um die Bögen durch die langen Hallen gehen und Figuren beim Siege feiern betrachten. Die berühmte Station ´Majakowskaya´, wo die Errungenschaften der Luftfahrt auf 36 Mosaiken abgebildet sind, erhielt bei der Weltausstellung 1939 in New York den Architektur-Grand-Prix. 1942, als die Deutschen vor den Toren Moskaus standen, fanden hier sogar die Revolutionsfeierlichkeiten statt.

Der dritte Bauabschnitt begann in den Jahren des zweiten Weltkriegs. Diese Stationen zeigen am deutlichsten, dass alle Ideen nach neuen räumlichen Ansätzen der älteren Stationen nicht weitergedacht wurden. Der Moskauer Metrostil festigte sich in fast sakraler Form. Die Dramaturgie der Geschichten, die mit den Bildern und Figuren erzählt werden, wird immer wichtiger(´Elektrozavodskaja´). Das Material des Marmors wird in diesen Stationen zusätzlich mit Ausschmückungen ergänzt. Stuckverzierungen auf Kassetten, Gesimsen, Konsolen und Bögen sind wichtigstes Dekor. Beispiel dafür ist die Station ´Kiewskaja´. Riesige Wandmosaike sind der ewigen Freundschaft zwischen der Ukraine und Russland gewidmet. Die Stationen ´Krasnye vorota´ und der ´Ploschad Revoljucii´ können noch als Beispiele monumentaler Plastiken und Skulpturen genannt werden. Die Moskauer Metro ist die schnellste der Welt und besitzt eines der größten Netze. Sie ist das wichtigste Beförderungsmittel für die Bewohner und kommt in Spitzenzeiten im 50 Sekunden Takt. Ganz Moskau ist stolz auf seine Metro. Es ist der Kult um das Detail in allen Stationen, der die Funktionalität übertrifft. Sie reiht sich ein als Teil einer sowjetischen Geschichte, als Teil einer verrückten Stadt. Pierre Doze: "Moskau ist eine Insel, ein Zentrum und eine Peripherie. Eine Collage aus Traumstädten," und darunter die Metro.

Akte x - Die zweite Metro

1992 gab es erstmals Meldungen, dass unter der öffentlichen Metro ein zweites Netz gebaut wurde. Dieses Netz besteht aus 4 Linien, die alle vom Kreml zu verschiedenen Punkten außerhalb Moskaus führen. Einige Stationen sind: der Militärflughafen, die Lenin-Bibliothek, die Akademie des Generalstabs, die unterirdische Stadt Ramenki (mit einer Aufnahmekapazität von 20.000 Menschen) oder der Ausweichkommandopunkt des Generalstabs. Die Linie 1 wurde 1967 fertiggestellt, die Linie 2 ist 60 km lang und ist damit die längste U-Bahn Strecke der Welt. Als bekannt wurde, dass 1997 immer noch eine Summe des Staatsbudgets für den Ausbau vorgesehen war, kam es zum Skandal und zu Untersuchen im US-Kongress, denn der Bau sollte aus amerikanischen Krediten finanziert werden. Das System ist wenig bekannt, denn es handelt sich dabei nicht um eine Regierungsmetro für Ministergattinen oder Präsidentenliebschaften. Die Hauptaufgabe liegt in der Bereitschaft zur Evakuierung. Außerdem werden Transporte von Material und Bedienungspersonal ausgeführt.






Pläne und Bilder der Metro unter: siehe link
erschienen in architektur Nr.06/00,S.26
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