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Von Walter Chramosta .

Ein Hintergrundrauschen in der Dorfmusik. Der Bürgermeister von Zwischenwasser

Architektur: Marte.Marte


Exemplarische Bauherrenkonstellationen in alpinen Lagen von Vorarlberg, Nr. 2


Zwischenwasser: der gemeindepolitische Zusammenschluss von Muntlix, Dafins, Buchebrunnen und Batschuns, Ortschaften in der Region Vorderland des Rheintals. Die Fraktion Muntlix ist der dispersen Rheintalstadt zuzurechnen, die übrigen sind Bergdörfer auf den Sonnenterrassen im ersten alpinen Obergeschoss. Namensgebend ist die Lage zwischen den Flüssen Frutz und Frödisch. Sogar eine kommunalpolitische Intention klingt hierbei an: Eine Gemeinde sucht ihre Linie zwischen Individualisierungstendenzen und Gemeinwohl. Man ist bekannt als Gewerbestandort, als Vorzugswohnlage, als Solarmusterkommune und Hort der Baukultur. 2001 waren anlässlich der Volkszählung 3.050 Einwohner festzustellen; 1.406 Personen waren erwerbstätig, 86 Prozent mussten auspendeln. Bei der Gemeinderatswahl 2005 erhielt die Österreichische Volkspartei 43 Prozent der Stimmen, die Unabhängige Namensliste 20 Prozent und die Freie Wählerliste 37 Prozent; bei der gleichzeitig abgehaltenen Direktwahl des Bürgermeisters wurde Josef Mathis (ÖVP) mit 72 Prozent wiedergewählt.

Batschuns ist nach wie vor ein Dorf. Bauernhöfe und Einfamilienhäuser gruppieren sich um Kirche, Pfarrhaus und Volksschule. Die Kirche bestimmt die Ortsmitte. Räumlich gefasst ist der Sakralbezirk seit 2002 einerseits durch die in Lehm gebaute Aufbahrungshalle und die Friedhofserweiterung, andererseits durch das gleichzeitig entstandene Probelokal des Musikvereins Cäcilia. Beide Bauten sind kongenial zum starken Kirchenbau des Clemens Holzmeister von 1923. Beide würden ohne die Initiative von Bürgermeister Josef Mathis nicht existieren. Wer einen Beleg für die zentrale Behauptung jeder Baukulturdebatte sucht, dass ein öffentlicher Auftraggeber nur dann gute Architektur erhält, wenn er eine Galionsfigur stellt, die als Bauherr ein Projekt personifizieren und „verkaufen“ kann, der findet ihn in diesem Ensemble und in Bürgermeister Mathis.

Ein Musikheim ist Indikator des Vereinslebens, des sozialen und kulturellen Kitts im gesellschaftlichen Gefüge. Die Probelokalität für die Bürgermusik in Batschuns wird als öffentlicher Ort par excellence eingeschätzt, mit Erwartungen der Bürger überfrachtet. Dass der jahrzehntelang ersehnte Nachfolgebau für das „Musighüsle“ der zwanziger Jahre eine derart radikale architektonische Fassung annehmen konnte, ist die Folge eines langfristig verfolgten Projektes des Bürgermeisters zur Qualitätssicherung im Bauen. Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit der Gemeindeführung wurden auf die Probe gestellt. Der geladene Wettbewerb über das Probelokal brachte ein klares Ergebnis: einen hölzernen Klangkörper von Marte.Marte. „Meine Entscheidung fiel sofort“, betont Mathis, „ein revolutionärer Entwurf“, aber die Bürger konnten ihm nicht so rasch beipflichten. „Die Architektur passt nicht an den Ort“, „Klingt nicht“ waren die Vorbehalte vor allem der Älteren; sie wurden argumentativ ausgeräumt, vor allem der geplante Innenraum überzeugte. In der Gemeindevertretung fand sich schließlich eine klare Mehrheit für das Projekt. Etwa 2.000 Stunden Eigenleistung wurden beim Bau eingebracht. „Jetzt sind alle stolz“, resümiert Mathis die Reaktionen des überwiegend aus jungen Musikern bestehenden Vereins.

Nach mehr als einem Jahrzehnt im Amt ortete Mathis Anfang der neunziger Jahre eine Stagnation der Qualitätsentwicklung im Baugeschehen seiner Gemeinde: Die „Volksmeinung“ konnte seiner Überzeugung nach nicht oberste Richtschnur sein. Seit 1992 unterstützt ihn daher ein Fachbeirat für Architektur und Gemeindeentwicklung im Baugenehmigungsverfahren. Bauherren werden schon im Vorfeld einer Eingabe beraten. Wer Emotionen rationalisieren, von Vorurteilen zu Fachurteilen kommen will, ruft aber leicht Enttäuschungen bei Bauwerbern und Planern hervor. Der Fachbeirat gilt durch die Transparenz seiner Beurteilungskriterien und seine Serviceorientierung als erfolgreich. Selbst skeptische Gemeindevertreter haben den Beirat akzeptiert. Die gestalterische Qualität privater wie öffentlicher Bauten konnte gehoben, der Blick der Bürger auf das Ortsbild von manchem Klischee befreit werden. Um die verlockendste Scheinlösung der Ortsbildproblematik, um Gestaltungssatzungen, die Architektur auf einen Kodex von Materialien und Geometrien verkürzen, ist die Gemeinde dank intensiver Diskussionen mit dem Fachbeirat herumgekommen. Andere Gemeinden haben das Beratungsmodell übernommen. Das Probelokal will kein Nebengebäude sein, sondern ein solitärer „Klangkörper“. Gerade weil es selbstbewusst auftritt, kann es mit den gewichtigen Nachbarn konkurrieren. Dem konventionellen Schulhaus widersteht es als strikt kubistisch geordnete Finesse in bedrängender Nahbeziehung, zur Kirche hält es sich als kleine, brisante Masse, am langen baukünstlerischen Hebelsarm, in Balance. Das freie Umfeld von Kuhweide, Obstwiese und Kinderspielplatz verleiht ihm eine Präsenz als Artefakt – stimmig für einen Ort der Musik. Seine äußere Erscheinung folgt der inneren Organisation. Die Nutzwerte sind optimal, der Proberaum lebt von okularartigen Ausblicken und fokussierten Lichteinfällen. Raum und Musik im Einklang, eine revidierte architektonische Moderne als Hintergrundrauschen der Traditionspflege.

Gebaute Architektur kann nur einen Autor haben, wenn es einen Besteller gibt. Mathis ist ein überzeugter Demokrat, kennt gerade deshalb die Grenzen der Demokratie beim Verwirklichen von Architektur. Er hat für seine Gemeinde gut bestellt, weil er mit dem Diktat der Baukunst politisch umgehen kann. Josef Mathis ist kein Populist, er popularisiert individuelle Wertmaßstäbe für das Gemeinwohl: „Ich bin nicht Bürgermeister der breiten Masse, um dem Volkswillen zu genügen.“



Walter Chramosta (geb. 1956) studierte Architektur, Bauingenieurwesen und Philosophie. 1988 gründete er die interdisziplinäre Planungsgruppe Pontifex Partnership. Neben der Planung und Durchführung mehrerer Industrie- und Wohnbauten in Österreich leistet er internationale Vermittlungsarbeit in Sachen Architektur, Ingenieurbau sowie Landschaftsgestaltung und arbeitet als Architekturkritiker für in- und ausländische Tageszeitungen und Fachzeitschriften. Weiters ist er Mitgestalter der österreichischen Fachmedien Bauforum und UmBau, Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Architektur (ÖGfA) und Konsulent der Sektion Architekten, Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten
für Wien, Niederösterreich und Burgenland.

Publikationen:
Das neue Schulhaus / The New Schoolhouse, Springer, Wien 1996;
Helmut Richter (Monografie), Birkhäuser Verlag, 2000; Positionen.
Beiträge zur Modernen Architektur im Burgenland, Österreichischer Kunst- und Kulturverlag, 1993.

Text erschienen in:


Einfach! Architektur aus Österreich. Just! Architecture from Austria

ISBN 3-901174-61-3
978-3-901174-61-2
Verlag Haus der Architektur Graz
2006/148 Seiten/pages
Verkaufspreis/price: € 28,90
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