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Von Antje Mayer.

Mobile Immobilie

Architektur: HOLODECK.at

Eine höchst subjektive wie abschweifende These um ein kleines Projekt


Ich gebe zu, an dem Projekt mobile 01 des Wiener Architektenbüros HOLODECK.at hat mir vor allem einmal der Titel gefallen. Ein umgebauter, verkehrstauglicher Wohnwagen ist das Objekt, innen mit Ablage- und Liegeflächen, für DJ-Pult, Bar, Ticketverkauf und Internetstation. Eine Einzelanfertigung, 2002 günstigst konzipiert und gebaut, als Infostand für das Jugendreferat Burgenland, immer noch im fahrenden Einsatz. Damit ist das Wesentlichste darüber geschrieben.

Es erinnert entfernt an Joep van Lieshouts Modular House Mobile, 1995/96, und die zur gleichen Zeit entstandenen AZ Escape Vehicles und AZ Travel Trailer Units der kalifornischen Künstlerin Andrea Zittel, die jene auf der documenta X in Kassel zeigte; letztere drei ebenfalls Wohnwagen, ausgestattet mit allem, was für ein autarkes Leben in Bewegung (oder auf der Flucht) nötig ist.

Ich hätte auch ein gänzlich anderes Projekt als das mobile 01 von HOLODECK.at hier vorstellen können, wären von dieser Art viele in Österreich realisiert. Sind es aber nicht – und so dient es wegen seiner Seltenheit gut, um das Allgemeine zu erklären.

Die These: Etwas Bewegliches ist, in seiner ganzen Bedeutungsbreite gemeint, geradezu die Antithese zu dem, was man die „österreichische Seele“ nennen könnte. Auf die Architektur übertragen: Aus diesem Grund sind so viele Im-mobilien über das kleine Land Österreich verstreut und vielleicht auch so viele gute Im-mobilien von ebenso guten Architekten, da die Sesshaftigkeit, das Statische, das Im-Kaffeehaus- und Beim-Heurigen-Sitzen, einfach das Bleiben im Blut der Österreicher liegt; ohne damit gar eine Unbeweglichkeit im Geiste der Bürger behaupten zu wollen, Gott bewahre. Die schönsten Reisen finden bekanntlich im Kopf statt. Das beweisen nicht zuletzt die vielen großen Künstler und klugen Menschen dieses Landes, die über die Gipfel seiner schönen Berge weit hinüberzuschauen gewagt haben. Was die Landsleute in der Vergangenheit nicht davon abhielt, Nachbarn dazu zu zwingen, ihre Bleiben zu verlassen. Aber das steht auf einem anderen Blatt.

„Wien bleibt Wien“, so heißt bekanntlich das melancholisch seufzende Stück aus der Feder des berühmten Heurigen- und Stammtischmusi- Komponisten Johann Schrammel. Wenn man sich etwa die Wiener Stadtansichten des Malers Rudolf von Alt ansieht, ist man erstaunt, dass sich bis heute, nach immerhin knapp 150 Jahren, so wenig an der Architektur der Gassen und Plätze erneuert hat. Am Graben, im Vergleich von anno dazumal, haben einzig die Markisen der Läden ihre Farbgebung gewechselt (die der hochtoupierten Frisuren der Damen übrigens nicht). Im europäischen Vergleich wechselt der Österreicher eher selten seinen Wohnort, einerseits wegen der geförderten Wohnungen, die ihn binden, andererseits wegen seinem überdurchschnittlich hohen Hang zum Eigentum.

Mutet es angesichts dieses grundlegenden, wenn auch durchaus nicht systematischen Hangs der Österreicher zum Unveränderlichen nicht nahezu skurril an, dass geradewegs das Sinnbild der Mobilität als architektonisches Wahrzeichen der Hauptstadt dieses Landes dient, nämlich das Rad, das Riesenrad? Immerhin: Die Rotationsgeschwindigkeit des dynamischen Symbols ist als nicht mehr als „träge“ zu bezeichnen, so träge, dass man von weitem schon genau hinsehen muss, um Bewegung festzustellen.

Frei nach Anselm Kiefers „Blei-Flugzeug“ bleiben übrigens angeblich sogar die Kampfflieger der österreichischen Luftwaffe bevorzugt am Boden, denn die sind sehr schnell. Startet ein „Draken“, sei er, so sagt man, kaum hat er seine Flughöhe erreicht, schon an der Landesgrenze angelangt und müsse umdrehen. Das dürfte in etwa so frustrierend sein wie das Unterfangen, in einem Kinderschwimmbecken seine Bahnen zu ziehen. Apropos Fliegen: In Österreich bauen Architekten sogar für Vögel menschengroße Häuser, aber davon später.

Als ich Mitte der neunziger Jahre aus dem frisch wiedervereinigten Berlin nach Österreich reiste, waren mein Blick, meine Geldtasche und mein Magen gleichermaßen irritiert. Wo waren die Würstel- und Kebabbuden, die es in Deutschland an jeder Ecke gab? Wo die Kioskstände, die vor allem im Osten von der Frühstücksschrippe über die Laufmaschenreparatur bis zum Theaterticket alles feilboten? In Österreich: allerorten Heurige statt Bierzelt, auf den Märkten Stände fix installiert, keine Volksfeste zu Pfingsten, sondern etwa wie in Wien ein ständiges, über das ganze Jahr geöffnete Vergnügungsviertel. Selbst die Kolporteure verkauften ihre Kronen Zeitung an ihren angestammten Ampelkreuzungen. Wo klafften die Baulücken, wo existierten das Unfertige, das Werdende, die bröckelnden Fassaden und leer stehenden Häuser? Ganz Berlin, ganz Deutschland war damals ein (romantisches) Provisorium, Wien und Österreich hingegen fix und fertig.

Angesichts all dessen verstehe ich heute, warum zwei Gebäude, die als temporäre Provisorien in Wien gedacht waren, erst heftig umstritten, später gleichsam wie von selbst zum fixen Inventar der Stadt mutierten: Karl Schwanzers Zwanziger Haus (ursprünglich der Österreich-Pavillon auf der Brüssler Weltausstellung 1958) und Adolf Krischanitz’ Kunsthalle am Karlsplatz (1992). Letztere wurde zwar doch, allerdings erst nach einem Jahrzehnt (!) abgerissen, schließlich aber wieder in kleinerem Maßstab, am gleichen Platz, aufgebaut (2002). Man hatte sich halt schon so daran gewöhnt.

An das Statische gewöhnen wollten sich Mitte der Sechziger die „jungen Wilden“ der österreichischen Architektur nicht und begannen aufzubegehren. Dass dabei Konzepte mobiler Architektur entwickelt wurden, war zwar damaliger Zeitgeist, doch dass der besonders in Österreich Resonanz fand, kaum verwunderlich. Die Namen der „bösen Buben“ waren dabei Bewegungs-Programm: Bei jenen beispielsweise, die Architektur „auf-zünden“ wollten (Zünd-up), das Haus „ver-rucken“ (Haus-Rucker-Co) oder lieber im weiten Himmelblau statt im engen Wüstenrot verweilten (Coop Himmelb(l)au).

Dass Walter Pichler zwar eine Kopfkapsel als tragbares Wohnzimmer (1967) konzipierte, dann doch wieder ein Haus für Vögel baute und Wolf D. Prix seine Architektur als gefrorene Flügel titulierte, zeugt davon, dass man in Österreich zum richtigen Abheben dann letztlich doch nicht konzipiert war. So hebt Coop Himmelb(l)aus Architektur bis heute nicht ab, auch wenn sie immer noch so tut, und Hans Holleins aufblasbares mobiles Büro (1969) landete genauso wie die beweglich wie bewegende Liebeseinheit von Haus-Rucker-Co, genannt Gelbes Herz (1968), am Ort der Ewigkeit: im Museum.

Das mobile 01 von HOLODECK.at ist im Gegensatz zu all den Entwürfen der Zeit tatsächlich bis heute im fahrenden Einsatz. Respekt!

Marlies Breuss und Michael Ogertschnig, die seit 2001 zu zweit als HOLODECK.at agieren, haben mobile 01 in drei Monaten gemeinsam mit den Architekten Peter Fattinger und Susanne Schmall so geplant und gebaut, dass es auch verkehrstauglich ist. Das Gefährt ist als Dreitonner auf zwei Achsen mit dem üblichen Autoführerschein zu transportieren. Das Gehäuse besteht aus selbsttragenden Holzleichtbauplatten mit Polyesterharzbeschichtung, damit es Wetter und Beschädigungen standhält. Bis zu neun Menschen haben in dem stehenden Anhänger Platz.

Auf dass das kleine Objekt Flügel verleihe.



Antje Mayer (geb. 1971) gründete 2000 das freie Journalistinnenkollektiv Redaktionsbuero in Wien mit Schwerpunkt Kultur, Architektur, Design (zusammen mit Manuela Hötzl). Sie studierte Kunstgeschichte und Philosophie in Berlin, Prag und Wien und schloss ihr Studium mit einer Arbeit über tschechische kubistische Architektur ab. Anschließend war sie in der Ukraine und in Tschechien journalistisch tätig und danach zwei Jahre festes Mitglied der Kulturredaktion von Format. Seit 1997 schreibt sie für internationale Medien als Redakteurin mit Schwerpunkt Kultur in Zentraleuropa und vor allem für die Kunstpublikationen Kunstzeitung (D) und Spike (A), die Tageszeitung Der Standard (A) oder das Architektur- und Designmagazin H.O.M.E. (A/D). Seit Mai 2004 zeichnet sie als Chefredakteurin verantwortlich für Kontakt. Das Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in Zentral- und Osteuropa (gemeinsam mit Manuela Hötzl).

Text erschienen in:
Einfach! Architektur aus Österreich. Just! Architecture from Austria

ISBN 3-901174-61-3
978-3-901174-61-2
Verlag Haus der Architektur Graz
2006/148 Seiten/pages
Verkaufspreis/price: € 28,90
> Link:FSB.Greifen Und Griffe > Link:Haus der Architektur Graz- > Mehr zu "Einfach! Architektur aus Österreich"- > Link:Holodeck.at-