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Von Jan Tabor.

„Wir stecken in der Klemme“

Architektur: Sepp Müller

Der Modernismus frisst sich in die archaische Provinz wie ein Schneidbrenner.
(Alfred Schmeller, 1965)

Ein Fortschrittsdilemma: Obzwar Landeshauptstadt Burgenlands, ist Eisenstadt doch eine ländliche Kleinstadt geblieben. Um sie herum aber ist eine echte Großstadtperipherie entstanden. Gemessen am Zuwachs der Einwohner und an der Zunahme der verbauten Fläche pro Einwohner, breitet sich diese prä-urbane Peripherie viel schneller aus, als die Landeshauptstadt in ihrem eigentlichen Kernbereich zu wachsen vermag. Die moderne Peripherie von Eisenstadt frisst sich in die pannonische Landschaft wie ein Schneidbrenner.

Wir stecken in der Klemme. Einerseits bedauern wir den entsetzlichen Landverlust, andererseits freuen wir uns über den wirtschaftlichen Fortschritt, der überall in diesem einst armen, bis vor kurzem noch im k. und k. Feudalismus stecken gebliebenen Land sichtbar geworden ist. In einem Bundesland, das der aus Deutschland stammende Kunsthistoriker, Burgenlandliebhaber und dort langjährig tätige Landeskonservator Alfred Schmeller (1920 – 1970) im Jahr 1965 zutreffend und wehmütig als „archaische Provinz“ bezeichnet hat. Noch 1965! Und dies, obwohl Schmeller als Kunstkritiker und späterer Direktor des Museums des 20. Jahrhunderts in Wien ein leidenschaftlicher Verfechter der radikalen Moderne war. Nebenbei bemerkt: Er war mit dem Wiener Architekten und Burgenlandbewohner Sepp Müller eng befreundet, um den es hier geht.

Mit der „burgenländischen Archaik“ ist es heute vorbei. Der Zerfall des sowjetischen Imperiums und die Beseitigung des Eisernen Vorhanges an der österreichisch-ungarischen Grenze im Herbst 1989 sowie der Beitritt Österreichs zur Europäischen Union 1995 und die daraus resultierende intensive EU-Förderung Burgenlands als eine der durch ihre Randlagen benachteiligten zentraleuropäischen Regionen zeitigten alsbald deutlich sichtbare wirtschaftliche Auswirkungen. Sichtbar vor allem dort, wo Autobahnanschlüsse unmittelbar vorhanden sind. Denn der wirtschaftliche Fortschritt wird vor allem auf LKWs „abgeliefert“.

Im südlichen Teil des urbanisierten Bebauungs- und Zersiedelungsringes von Eisenstadt wurde 1995 ein Gewerbe- und Handelspark gegründet. Der übliche Anblick einer Gewerbezone, die in den Weichbildern vieler mitteleuropäischer Städte als ubiquitäre Symbole des hastig und kleinlich domestizierten Globalkapitalismus entstanden sind. Würden sich die privaten und öffentlichen Investoren und ihre Helfer in den öffentlichen Ämtern städtebaulich ein wenig mehr anstrengen und ein wenig mehr auf die Architektur achten, so könnte eine Art ästhetische Suburb-Substitution entstehen und uns Landschafts- und Stadtliebhaber aus der Fortschrittsklemme helfen. Statt eines Stückes hübscher Naturlandschaft bekämen wir dann ein Stück anregender Urbanität mit spannender neuer Architektur.

Was qualitätsvolle Architektur betrifft, ist sie dort in Ansätzen vorhanden, in zwei bemerkenswerten Fällen sogar: Erstens beim Studienzentrum für Informationstechnologie und Wirtschaftsbeziehungen, errichtet 2003 vom Linzer Architekturbüro Riepl Riepl, eine Fachhochschule für rund tausend Studenten, offensichtlich von der Form einer weich gefalteten Fläche inspiriert, wie sie zum Beispiel das Educatorium zeigt, die das OMA für die Universität Utrecht 1997 baute. Das weithin sichtbare und durch seine außerordentliche architektonische Qualität und prägnante Gestalt auffallende Campusgebäude wurde 2004 mit dem Landes-Architekturpreis ausgezeichnet. Zu Recht.

Das Campusgelände schließt an den oben genannten 18.000 Quadratmeter großen Gewerbe- und Handelspark an, in dem sich der zweite bemerkenswerte Bau befindet: ein Technologiezentrum. Es wurde zwischen 1996 und 1998 nach einem im Rahmen eines Wettbewerbs prämiierten Entwurf des Wiener Architekten Sepp Müller errichtet und gewann 2002 zu Recht ebenfalls den Landes-Architekturpreis. Otto Kapfinger, Kenner der regionalen Architekturen in Österreich, ist begeistert. „Ein Nutzbau auf der Höhe der Zeit, extrem preiswert, auch städtebaulich modellhaft“, schrieb er in seinem 2004 erschienenen Führer Neue Architektur in Burgenland und Westungarn.

Gegenwärtig gibt es in Österreich kaum einen zweiten Architekten, der so hoch angesehen und so wenig bekannt ist wie Sepp Müller. Angesehen vor allem bei vielen namhaften Architektenkollegen, für die er häufig die Bauabwicklung übernimmt. Zum Beispiel für das ORF-Studio Burgenland von Gustav Peichl (1979). Bauabwicklung heißt, dass die Planung der Architekt behält; für die Ausführung wird gern ein Fachkollege wie Sepp Müller engagiert. Weil er als kongenialer, besonders erfinderischer und zugleich konstruktiv denkender Architekt gilt. Obwohl diese „Bauabwicklungs Mittätigkeit“ für die letztendliche Qualität vieler Bauwerke von enormer Bedeutung ist, bleiben die ausführenden Architekten (die oft in den Architekturbüros als Partner mitarbeiten) dennoch meist weitgehend unbekannt.

Dies könnte erklären, warum das auch bei Sepp Müller so ist, wäre er nicht selbst als planender und ausführender Architekt für eine große Menge interessanter Bauten verantwortlich. Für die neue Eissporthalle in Wien-Kagran aus dem Jahr 1995 zum Beispiel. Aber die meisten der ausgeführten Bauvorhaben von Sepp Müller stellen eben Industrie- und Gewerbeanlagen dar. Für diese aber haben die österreichischen Architekturkritiker traditionell nicht viel übrig. Sie bevorzugen bekanntermaßen Lokale, Portale und Einfamilienhäuser.

Barockes Repertoire im Gewerbegebiet

Das architektonische Konzept des Technologiezentrums von Sepp Müller ist denkbar einfach. Der Gebäudekomplex besteht aus einem Gangtrakt, an den sieben Trakte senkrecht angekoppelt wurden; vier hinten auf der Nordseite und drei vorne auf der Südseite. Vorne, weil dort der Haupteingang mit einem geräumigen Foyer samt Informations- und Portierlobby situiert ist. Zwei Trakte wurden ein wenig breiter voneinander entfernt gestellt, dadurch ist aus dem Zwischenhof ein dreiseitig geschlossener Vorhof entstanden, der eigentlich ein Platz ist. Da der Verbindungsriegel leicht gebogen ist und die Krümmung an der Eingangsseite konvex verläuft, weist der Vorplatz eine perspektivische Verjüngung auf.

Ausschließlich – sieht man von dem kleinen Flugdach ab – durch diesen barocken Trick wurde die Eingangssituation betont und erkenntlich gemacht. Man merkt, Sepp Müller kennt sich nicht nur im barocken Repertoire gut aus, sondern auch in der klassischen Moderne. Dort wurde das einfache, räumlich wirksame Prinzip der seriellen Ankoppelung von gleichen Nutzgebäudetrakten an einen leicht gekrümmten Gang erfunden. Ein schönes Beispiel dafür ist der 1947 von Franz Schuster in dem Park vor dem Technischen Museum in Wien errichtete Behindertenkindergarten Schweizer Spende.

In der Auffassung und Ausführung von Sepp Müller ist die Andockung beiderseitig, der schmale, deutlich überhöhte und vollständig transparente Gang führt wie eine Glaspassage durch und verbindet die alternativ gestellten Bürotrakte: Dem angedockten Gebäude auf der einen Seite entspricht der Innenhof zwischen zwei Trakten auf der anderen Seite. Wegen der Art der Verbindung und der Leichtigkeit der Erscheinung könnte man den Gang auch als „innere Pawlatschen“ bezeichnen.

Die Bürotrakte sind zweigeschossig, wobei die Erdgeschosse höher (vier Meter) und mehr verglast sind als die Regelgeschosse mit Vollfassaden mit großen Bandfenstern. Die dem Glasgang angeschlossenen Stirnfassaden weisen verschiedene Färbungen in Elementarfarben auf, was einerseits der inneren Orientierung dient, andererseits schimmert die Farbigkeit durch, wodurch der ganze weitgehend monochrom grau gehaltene Gebäudekomplex eine heitere Note bekommt, ohne bunt zu wirken. Der beidseitig verglaste, galerieartige Erschließungstrakt besteht aus einer Stahlhängekonstruktion, die Luftraum über allen Ebenen frei lässt. Die Gänge sind von den Dachträgern abgehängt.



Jan Tabor (geb. 1944 in Podebrady/CZ) studierte an der TU Wien und ist heute als Architekturtheoretiker, Kulturpublizist (Kurier, Falter) und Ausstellungsmacher tätig. Er lehrt an verschiedenen Hochschulen (Universität für angewandte Kunst, Institut für Entwerfen, Zaha M. Hadid, Akademie der bildenden und angewandten Künste, Bratislava, und Architektur Fakultät, Brünn) und war Kurator bei diversen Ausstellungen wie Den Fuß in der Tür: Manifeste des Wohnens (2000) und mega: manifeste der anmaßung (2002), beide im Künstlerhaus, Wien. 1994 gab er den Katalog zur Ausstellung "Kunst und Diktatur / Architektur, Bildhauerei, Malerei in Österreich, Deutschland, Italien und Sowjetunion 1922–1956" heraus. Weitere Publikationen: "Otto Wagner. Die Österreichische Postsparkasse" / The Austrian Postal Savings Bank, Falter Verlag; "Architektur und Industrie. Betriebs- und Bürobauten in Österreich 1950–1991", Brandstätter Verlag.

Text erschienen in:
Einfach! Architektur aus Österreich. Just! Architecture from Austria

ISBN 3-901174-61-3
978-3-901174-61-2
Verlag Haus der Architektur Graz
2006/148 Seiten/pages
Verkaufspreis/price: € 28,9
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