Von Manuela Hötzl.
Von Manuela Hötzl.
Loos trifft auf der Straße den Bauherrn X. „Denken Sie“, ruft dieser, „gestern hat sich ein Besucher der Villa über die schmale Stiege beklagt, und wissen Sie, womit er sie verglich? Mit einer Schifftreppe!“ „Schifftreppe?“, ruft Loos freudig. „Sagte er das wirklich? Wenn Sie diesen Mann wiedersehen, schütteln Sie ihm die Hand und sagen Sie ihm, endlich hätte jemand meine Architektur richtig verstanden.
(aus: Claire Loos, „Adolf Loos privat“, Böhlau, 1985)
Wenn man Adolf Loos, den viel Zitierten, zitiert, muss man schon einen guten Grund haben. Aber man muss auch ein wenig ausholen. Einfamilienhäuser werden gerne und viel veröffentlicht – und oft und längst nicht nur in Architekturmagazinen. Diese Bauten sind lebensnah, greifbar, ein Wohnhaus, wie ein Kleidungsstück von einer Pariser Prêt-à-porter-Schau: vielleicht nicht leistbar, aber der Stil, das Design ist ansatzweise von jedermann adaptierbar. Von Design- und Lifestylezeitschriften werden diese Häuser begehrlich gemacht. Und das ist einerseits gut so. Denn Wohnen und Wohnhäuser im Speziellen sind Manifeste der Gesellschaft und ihrer Veränderungen. Sie zeigen einen möglichen und erreichbaren Lebensstil, sind Luxusgüter und Prototypen. Herausragende Beispiele gibt es immer noch zu wenig – und das verwundert nicht, wenn man bedenkt, dass die Prozentanzahl der von Architekten gebauten Häuser in Österreich im einstelligen Bereich liegt. Die Tendenz ist steigend, liegt aber in den meisten Gegenden zwischen drei und fünf Prozent. (Insgesamt werden im Jahr an die 17.000 Ein- und Zweifamilienhäuser gebaut, wovon schon allein fast jedes vierte in Fertigbauweise errichtet wird).
Wie schon erwähnt, ist es gut, dass Veröffentlichungen Sehnsüchte wecken und Möglichkeiten aufzeigen. Andererseits aber ist Skepsis angesagt (und da kommt Adolf Loos wieder ins Spiel, der zu Publikationen meinte: „Es ist mein größter Stolz, dass die Innenräume, die ich geschaffen habe, in der Fotografie vollständig wirkungslos sind. Auf die Ehre, in verschiedenen architektonischen Zeitschriften veröffentlicht zu werden, muss ich verzichten. Die Befriedigung meiner Eitelkeit ist mir versagt“; eine Aussage, die im Grunde auch wieder ein Spiel mit der eigenen Eitelkeit darstellt). Architektur muss in Bildern wirken, um publikationswürdig zu sein. Nicht, dass man Architekten vorwerfen muss, ihre Bauten seien ausschließlich für zukünftige Veröffentlichungen entworfen. Es besteht eine Wechselwirkung, das sicher. Besonders Architekten sehen sich Magazine an – und entwerfen mit diesen Bildern im Kopf. Es ist schwer, sich dahingehend von Modeerscheinungen zu befreien – oder von dem Wunsch der Dazugehörigkeit im Ranking. Was bleibt, sind Bauten, die man „irgendwo“ schon gesehen hat, mit den dazugehörigen Namen. In Österreich gibt es viele Architekten; die Steiermark mit Graz etwa zählt rund 250 angemeldete Büros (mit den „ruhenden“ sind es fast 400). Das ist eine hohe Dichte. Man drängt also auf die Hochglanzseiten, wo und was auch immer geschrieben wird. Die Geschichte hat einen langen Bart, aber Architektur wird (fast) ausschließlich als „gutes Beispiel“ veröffentlicht, da kann man schreiben, was man will. Bilder erzählen ihre eigene Geschichte.
Fast existiert ein stilles Übereinkommen bei der Vermittlung von Architektur. Da es alle so „schwer haben“, halten wir zusammen – meistens. Alles andere wäre kontraproduktiv. Debatten werden ausschließlich über die zu fördernde Auftragslage geführt, doch Diskussionsbeiträge, wie „Mehrwert“ oder „Qualität“, lassen die Zielgerade wieder in weite Ferne rücken. Nichtsdestotrotz kommen also Diskussionen über Architektur an sich kaum zustande. „Gut, aber“ existiert – zumindest im Lande Österreich – nicht. Ebenso wie in der Politiklandschaft gehören Polemik oder Effekthascherei zum Alltag. Und so gehen manche Projekte oder Aspekte unter, selbst wenn sie veröffentlicht werden – und manches, wie das Haus Mittermaier, bleibt ganz im Verborgenen. Nicht einmal in die alles umfassende Datenbank „nextroom“ wurde es aufgenommen. Dieses „Schicksal“ ist unverdient.
Zwischen 1928 und 1930 sind zwei Wohnhäuser entstanden, die nachhaltigen Einfluss auf die moderne „Villa“ hatten: das Haus Tugendhat von Ludwig Mies van der Rohe in Brno und das Haus Müller von Adolf Loos in Prag. Loos, nicht unbedingt debattenfeindlich, hat sich, um es einmal locker auszudrücken, definitiv in die Geschichte eingeschrieben, praktisch jedoch hat sich seine Architekturauffassung in seiner Heimat kaum manifestiert. Anders da Mies van der Rohe: Die Villa Tugendhat, die schon damals auf weniger Widerstand gestoßen ist, die mit Offenheit, Großzügigkeit, Licht und nobler Einfachheit punktete – entspricht in Wirklichkeit noch heute unserer Vorstellung von einem modernen Wohngefühl. Im Grunde propagierte Mies van der Rohe den offenen Grundriss, zwanzig Jahre später an seinem Projekt Farnsworth House (Illinois, 1950) noch besser erkennbar. Vielleicht war er seiner Zeit voraus – zumindest war er leichter „adaptierbar“.
In Wien, der Stadt mit den großzügigen Altbauwohnungen, den hohen Räumen, fruchtete diese Raumidee. Coop Himmelb(l)au kann man, natürlich auch mit expressionistischen Einflüssen, direkt in dieser Tradition sehen. Die ersten Wohnbauprojekte haben das „Loft“ praktisch importiert – und wurden leider ebenso nicht realisiert wie das Offene Haus in Malibu, das den Einraum offensiv zelebriert. Nur über eine „Schiffstreppe“ erreichbar, entwickelt sich der Raum des Hauses auf zwei Ebenen. Im Unterschied zur modernen Architekturauffassung aber nach außen mit extrovertierter formaler Sprache.
Ein ähnliches Objekt landete dann auf einem Dach in der Wiener Innenstadt und machte das Büro weltweit bekannt: der Dachausbau Falkenstraße. Die später realisierten Wohnbauten, wie der SEG-Wohnturm in Wien, behielten als Zitat die „Skylobby“, ein freies Zwischengeschoss als Gemeinschaftsraum. Weniger formal, aber ebenso programmatisch, realisierte auch Heidulf Gerngroß mit dem Projekt Wiener Loft ein großzügiges Raumkonzept für einen sozialen Wohnbau. Wien wollte unbedingt die gewohnten Raumhöhen, Freiheit und Großzügigkeit behalten. Entstanden sind hier deswegen viele herausragende Beispiele, die unter dem „Wiener Sozialen Wohnungsbau“ international Aufsehen erregten. Aber das ist eine andere Geschichte.
Raum zu schaffen, stellt dennoch das Prinzip und Streben von österreichischen Architekten dar. Und ist sicher von Coop Himmelb(l)au eingeführt und nun in vielen Beispielen und formalen Ausführungen vorhanden. Was bei Coop noch Denkraum heißt, ist nun nach Jahren fast eine dekonstruktivistisch formale Dienstleitung für Bauherren geworden. Im Osten Österreichs zumindest ist sie in vielen Variationen vorhanden. Im Westen, in dem die größte Einfamilienhausdichte liegt (siehe Walter M. Chramosta), wird dagegen die Kiste variiert. Doch auch dort wird Offenheit angestrebt. Entmaterialisierung, wie bei Mies van der Rohe, ist Prinzip. Auch wenn es formale Unterschiede gibt. Wo aber ist nun Adolf Loos zu finden? Sein Haus Müller ist nach außen ein karger, verschlossener Quader, der, kurz gesagt, erst innen seine ganze Dimension und Materialität eröffnet. „Ich spiele nie mit der Fassade, dort wohne ich nicht“, sagte Loos. Auch Adolph Kelz lässt beim Haus Mittermaier die Fassade nicht zum Thema werden. Das Haus, eigentlich ein Um- und Zubau an ein bestehendes Gebäude, entwickelt sich nach innen. Und das, obwohl sich die Fassade nicht verschließt; sie ist komplett verglast, was gleichzeitig die vielen Dimensionen des Inneren ermöglicht. Es ist eine Transparenz in drei Dimensionen, eine symbolische, eine literarische und eine reale. In Schichten und Ebenen.
Das Haus Mittermaier weist viele Zitate auf, auch zum Einraum, zum Glashaus von Philip Johnson, zu Richard Meier und zum Haus Müller in Prag. Adolph Kelz manifestiert nicht Adolf Loos, das wäre ein Missverständnis; es ist auch nicht unfotogen oder verschließt sich moderner Wohnästhetik. Aber es differenziert, ist autoritär, konservativ, funktional und absolut uneitel.
Der österreichische Architekt Hermann Czech hat im Jahr 1989 einen wunderbaren Text zum Thema „Umbau“ (bei Adolf Loos) verfasst. Dort beschreibt er den urbanen Aspekt dieser Bauaufgabe, die in drei Maßstäben strukturiert wird, und meint: „Ein solcher Umbau geht an die Bau-‚Substanz‘, indem er sie in Frage stellt – aber eben nicht, indem er sie beseitigt.“ Die Charakteristik des Umbaus liegt, nach Czechs Definition darin, dass „Entscheidungen“ bereits vorgegeben sind. Und dem „Raumplan“ von Loos, der scheinbar so unwiderruflich festgelegt scheint, fehlt die letzte, absolute Perfektion, die es möglich macht, es an spätere Generationen weiterzureichen. „Loos lässt uns eine Architektur ahnen, die stark genug ist, eine Vorgabe zu sein, offen, vieles aufzunehmen, aber auch des Leids der Entstellung gegenwärtig.“