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EAST ART MAP

The Eastern State Of Contemporary Art: jetzt lesen

redaktionsbüro: Manuela Hötzl
Borut Vogelnik und Miran Mohar:
- Was bringt Künstler dazu, ein Buch zu publizieren, das sich der Aufarbeitung der eigenen Geschichte widmet?
- Borut Vogelnik:In Osteuropa, also den ehemaligen kommunistischen Ländern von Zentral- und Osteuropa, sind grundsätzlich keine transparenten Strukturen vorhanden, die die in der Kunstgeschichte relevanten Ereignisse oder Kunstwerke und Künstler reflektieren. Das verhindert vor allem eine Akzeptanz außerhalb des Landes. Worauf man dagegen stößt, sind national geschlossene Systeme, die meist an nationale Bedürfnisse angepasst worden sind.
Zeitweise findet man außerdem Doppelsysteme, neben der „offiziellen“ Kunstgeschichte ist eine ganze Serie von Geschichten und Legenden über Kunst und Künstler im Gegensatz zu diesen etablierten Szenen enstanden. Aber Aufzeichnungen darüber existieren nur wenige, und wenn, fragmentarisch. Zugleich sind Vergleiche mit der Kunstproduktion im Westen extrem selten.
Durch diese fragmentarische Struktur entstehen viele Probleme. Erstens verhindert sie ein seriöses Verständnis von Kunst, die in sozialistischen Zeiten entstanden ist, zweitens ist sie ein riesiges Hemmnis für Künstler, die, von jeglicher solider Unterstützung beraubt, gezwungen sind, zwischen lokalen und internationalen Kunstproduktionen zu steuern.
Und drittens stellt sie ein großes Hindernis für eine Kommunikation innerhalb der Kunstszene dar. „East Art Map“ (EAM) ist für uns die Antwort auf konkrete Probleme, denen wir als Künstler in westlichen wie östlichen Ausstellungen gegenübergestanden sind. Denn es ist unmöglich, eine Kommunikation zu etablieren, ohne zuerst seine eigene Position klar darzulegen.
- Euer Buch heißt „East Art Map“ – ein gleichnamiges Projekt, das 2002 entstanden ist, beschäftigt sich ebenfalls mit der Sichtbarmachung der Historie – seht ihr die Publikation als Teil eures künstlerischen Werkes?
- Miran Mohar: Um die Rolle des Buches innerhalb des Projektes zu erklären, muss ich ein wenig ausholen und die Struktur von „East Art Map“ beschreiben. EAM hat eigentlich schon 1999 begonnen und verschiedene Phasen durchlaufen: IRWIN, in Zusammenarbeit mit dem Magazin “New Moment” (Ljubljana), hat eine Gruppe von Kunstkritikern, Kuratoren und Künstlern aus verschiedenen ex-sozialistischen Staaten von Zentral- und Osteuropa eingeladen, bis zu zehn der wichtigsten Kunstwerke der letzten 50 Jahre ihrer Länder auszuwählen und in einen Kontext zu stellen. Auf diese Weise wurden ungefähr 220 Werke und Projekte gesammelt und auf einer CD-ROM (2002) und in einer Spezial-Ausgabe von “New Moment” präsentiert.
Der nächste Schritt war, die EAM-Auswahl ins Internet zu stellen und sie für weitere Beiträge und Vorschläge der Benutzer zu öffnen. Eine breite Öffentlichkeit ebenso wie Fachleute waren eingeladen, weitere Daten anzubieten. Und das internationale EAM-Komitee hat wiederum ergänzende Arbeiten aus diesen Vorschlägen ausgewählt.
Das EAM-Buch besteht aus einem Teil, der die ausgewählten Arbeiten zeigt und mit Texten zu den Werken und Künstlern ergänzt wurde. Der zweite Teil des Buches beinhaltet 17 vergleichende Essays. Von Beginn an war es als Integration in unsere künstlerische Arbeit geplant. Dazu gehört auch das Symposium „Mind the Map“, das 2005 in Leipzig stattfand und von Marina Gržinić, Veronika Darian and Günther Heeg organisiert wurde. Auf die Initiative von Michael Fehr wurde außerdem die Ausstellung “East Art Museum“ im Karl Ernst Osthaus Museum in Hagen 2005 gestaltet, die Arbeiten aus dieser Datenbank zwischen 1950 und 1980 zeigte.
- Welche Wirkung erwartet ihr von der Publikation?
- Miran Mohar: Abseits dieser Reproduktion der Arbeiten und Texte umfasst das Buch auch verschiedene Essays von Theoretikern, Kunsthistorikern etc. aus Ost- und Westeuropa und den USA. Wir sind besonders froh über die Texte, die verschiedene Aspekte zeitgenössischer Kunst in Osteuropa mit westlichen Kunstproduktionen vergleichen und damit das EAM-Projekt in einen internationalen Kontext stellen. Die Texte von Inke Arns und Sylvia Sasse zum Beispiel beschäftigen sich mit Methoden der Überidentifikation, die vor allem im osteuropäischen Raum entstanden ist und die neue Medienkunst in den neunziger Jahren im Westen beeinflusst hat.
Ich hoffe, dass das Buch eine sinnvolle Orientierung darstellt und dass es eine Reaktion auslöst, die eine Debatte entstehen lässt, verschiedene und gleiche Geschichten generiert und eine Kommunikation ermöglicht.
- Habt ihr auch selbst überraschende Moment oder Aspekte während der Produktion erlebt oder entdeckt?
- Miran Mohar: Sicher zwei Fünftel der ausgewählten Arbeiten waren auch mir völlig unbekannt, und wie ich weiß, ist das auch vielen meiner Kollegen so ergangen. Wenn das für uns gilt, die wir uns in diesem Raum ständig bewegen und umsehen, muss es für andere noch mehr zu entdecken geben.
Und es sind einige Arbeiten zu finden, die zeigen, dass auf der anderen Seite des Eisernen Vorhangs eine Kunstproduktion vorhanden war, deren konzeptuelle Linie stark und signifikant war. Man sieht, dass einige Künstler schon sehr früh originelle Konzepte entwickelten – um ein Beispiel zu nennen: das Projekt „Slicing Off Sljeme“ von Ivan Kožarić aus dem Jahr 1960. Aber auch Mikhail Chernyshev, ein russischer Künstler, oder der Rumäne Ion Grigorescu sind überraschend interessant.
Natürlich wäre aber eine tiefgehende Forschung und Studie notwendig, um diese Künstler in einen globalen Kontext zu setzen. Das würden wir uns wünschen. Aber das überschreitet das Netzwerk von EAM und unsere Kapazitäten.
- Zu dem Buch:
East Art Map
Contemporary Art and Eastern Europe
herausgegeben von IRWIN
- Die künstlerische Landkarte Europas weist unterschiedlich hohe Detaillierungen und Auflösungen auf. Während Italien, Frankreich und Spanien höchst durchstrukturiert dargestellt sind, ist die Balkanhalbinsel gerade mal umrisshaft zu erkennen. England, Deutschland und die skandinavischen Länder sind detailreich kartiert, östlich von Deutschland dagegen verwischen die Konturen. Bis vor kurzem waren Städte wie Sofia, Odessa, Skopje und Belgrad in dieser Kartografie praktisch nicht vorhanden. Weiter gegen Osten gewinnt die Stadt Moskau wieder an Schärfe, was jedoch keinen Ausgleich zu den baltischen Staaten schafft, die während des letzten halben Jahrhunderts zu den weißen Flecken auf der Landkarte verurteilt waren.

Im Westen wird nahezu jede Bewegung der Künstler, des Kunstmarktes und der Kunstöffentlichkeit dokumentiert. In Osteuropa existiert jedoch kein derartiges Dokumentations- oder Kommunikationssystem. Stattdessen finden sich Systeme, die nicht nur dem Westen unzugänglich, sondern auch innerhalb der Region selbst unvereinbar sind. Neben den offiziellen Kunstgeschichten gibt es meist eine ganze Reihe von Erzählungen und Mythen über „inoffizielle“, nicht anerkannte Kunst und Künstler. „East Art Map: Contemporary Art and Eastern Europe“ ist ein ehrgeiziger Versuch, die fehlenden Geschichten zeitgenössischer Kunst in Osteuropa aus einem osteuropäischen und künstlerischen Blickwinkel zu rekonstruieren. Es handelt sich dabei vermutlich um das am weitesten reichende Kunstdokumentationsprojekt, das je im Osten über den Osten durchgeführt wurde. Über mehrere Jahre hinweg wurde dafür unter der Koordination der Gruppe IRWIN ein riesiges Netzwerk an Künstlern, Wissenschaftlern, Kuratoren und Kritikern zusammengefasst.

Die Herausgeber haben bedeutende Kunstkritiker, Kuratoren und Künstler eingeladen, aus ihren jeweiligen Ländern bis zu zehn herausragende Kunstprojekte der letzten 50 Jahre vorzustellen. Die Auswahl der Kunstwerke (von denen viele in Farbe abgebildet sind), Künstler und Ereignisse war ebenso wie deren Darstellung den Eingeladenen uneingeschränkt selbst überlassen. Darüber hinaus wurden Fachleute aus Ost und West um längere Texte über die transkulturellen Perspektiven in der Kunst beider Regionen gebeten.
IRWIN ist der Name einer Gruppe von fünf Künstlern, die dem Bereich der bildenden Kunst des in Ljubljana beheimateten slowenischen Künstlerkollektivs NSK angehören.

Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,Mai 2006
Link: Projekt Relations EAST ART MAP - Link: EAST ART MAP - Link: REPORT online -