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Das Architekturbüro Riegler Riewe ist sicher eines der renommiertesten Büros in Österreich. Seit seiner Gründung 1987 ist es immer schon international orientiert gewesen. Zu den aktuellsten Projekten wie dem Literaturhaus Graz und dem Bahnhof Innsbruck kam kürzlich auch das Messegelände Graz hinzu. Roger Riewe, Professor für Hochbau an der TU Graz, sprach mit Manuela Hötzl über Bescheidenheit und Eitelkeit von Architekten, über die Neutralität und Identität von Orten sowie über verschuldete Universitätsstrukturen.

Architektur ist Hintergrund

redaktionsbüro: Manuela Hötzl
Roger Riewe:
- Wir sitzen hier im Kunsthaus Graz. Wie fühlst du dich in dieser Umgebung?
- Du willst wissen, wie ich mich als Architekt hier fühle? Prinzipiell denke ich mir: Schade um die ganze Arbeit.
- Ein Architekt hat kürzlich behauptet, dass man in der Architektur nicht mehr über Raumwirkung und Gefühle sprechen soll, es wäre zu esoterisch. Würdest du dem zustimmen?
- Mit Esoterik habe ich ohnehin wenig am Hut. Meine Raumwahrnehmung oder meine Architektur hat damit jedenfalls wenig zu tun.
-

Wie beschreibt man Raum dann?
- Mir geht es überhaupt nicht um eine Beschreibung des Raumes. Physische Eigenschaften, das Schöne oder weniger Schöne geht für mich viel zu sehr in eine ästhetische Diskussion, die ich nicht für zielführend halte. Das war einmal. Wenn ich von Raum spreche, dann eher über die Belegung der Räume, deren Funktionen bis hin zum Potential der Vielschichtigkeit eines Raumes. Das sind Dinge, einen guten Raum ausmachen.
- Im Chatroom von xarch konnte man eine heiße Diskussion über das Universitätsgebäude Inffeldgründe verfolgen. Dort ist von einem Gefängnis für Studenten die Rede...
- Eine Diskussion halte ich durchaus für positiv. Wir wollten ja, dass sich die Personen mit unseren Gebäuden auseinandersetzen. Da kann es auch zu negativen Kommentaren kommen. Das Schlimmste ist ja für einen Architekten, wenn die Nutzer ein Gebäude unkommentiert nutzen, wenn es ihnen egal ist, wo sie wohnen oder arbeiten.
- Ihr verlangt von euren Nutzern eine gewisse Mitgestaltung. Überfordert ihr sie damit, gerade wenn man, wie bei einem Universitätsgebäude mit unbekannten Nutzern agiert?
- Die Nutzer können oder sollen sich in der Phase der Nutzungsbelegung einbringen, ein Prozess, der im Wesentlichen nach Baufertigstellung beginnt und eigentlich nie abgeschlossen wird. Dieser Aktivpart kann überfordern, da er vielleicht ungewohnt ist, kommt aber selten vor. Die Realisierung von Schulen, Wohnbauten oder Büros ist in diesem Kontext relativ ähnlich.
Unterschiede sind nur gegeben, wenn man für einen privaten Bauherren ein Haus baut. Bei solchen Aufgaben muss man eher Psychologe als Planer sein.
- In euerer Publikation „Definite, Indefinite“ habt ihr eine sehr ungewöhnliche Dokumentation von Wohnungen gezeigt. Was wolltet ihr damit erreichen?
- Das entstand aus einer langen Diskussion im Zuge der Entwicklung des Buches. Das Thema war die Untersuchung der Wohnung, fast eine kleine Forschungsreihe zu starten. Wir hatten immer den Anspruch, flexibel nutzbare Wohnungen zu machen. Dem wollten wir nachgehen, ob es wirklich so funktioniert. Allein dass man einmal sieht, wie bei völlig gleichen Grundrissen die Nutzung doch völlig verschieden ist, war für uns Beweis dafür, dass die Intension umgesetzt worden ist, und dass neutrale Strukturen, die die wesentliche Grundlage unserer Architektur darstellen, wirklich unterschiedliche Nutzungsmöglichkeiten bieten.
- Neutrale Gebäude sind auch die Institutsbauten Inffeldgründe. Und doch haben sie Identität gewonnen. Wie viel davon ist geplant?
- Bei diesem Beispiel, die Gebäude sehen relativ ähnlich aus und sind auch innen fast identisch, sieht man, dass nach einer mehrjährigen Nutzung jedes Gebäudes, viele Bereiche eine völlig eigene Identität bekommen haben und die Orientierung kein Problem mehr ist. Die Merkmale sind von den Nutzern selbst eingebracht worden und wurden nicht von uns beeinflusst. Es gab anfangs schon die Überlegung den Gebäuden unterschiedliche Farben zu geben, aber dann haben wir uns entschlossen, dass nicht zu tun, um so den Hintergrund noch stärker zu artikulieren.
- Was forderst du von Architektur? Was soll sie können?
- Architektur soll ein Gerüst sein, eine Struktur und Hintergrund. Die Nutzer oder Personen, die das dann belegen, sollen sich damit auseinandersetzen, bewusst oder unbewusst. Dadurch entsteht eine nachhaltige Identifikation mit dem Gebäude.

- Wie ist das bei größeren Bauten, wie beim Bahnhof in Innsbruck. Kann man dieses Konzept auch darauf umlegen? Oder seit ihr dort anders vorgegangen?
- Das Konzept ist dort gewissermaßen anders, weil man zum Beispiel nicht mit bestimmten Aspekten der Wahrnehmung spielen kann. Ich habe bis jetzt aber noch keine negative Stimmung vernommen. Das macht mich fast schon wieder nervös. Die Akzeptanz ist sehr hoch, auch weil es ja nicht nur ein Verkehrs- und Geschäftgebäude ist und sich die Leute ein bisschen mehr Zeit nehmen können, sich dort aufzuhalten, hinunterzuschauen.
- Also weniger Mitgestaltung, sondern Benutzung eines öffentlichen Raumes?
- Ja, das Thema des Nichtortes kommt dort sicher zum Tragen. Nur langsam entsteht ein Ort. Es pendelt hin und her und schließlich kann der Raum Ort werden.
- Eure Projekte haben immer sehr starke städtebauliche Konzepte. Wie sehr spielt dabei die Topografie des Ortes eine Rolle?
- Mittlerweile entstehen bei uns fast alle Projekte aus städtebaulichen Überlegungen. Sogar das kleine Literaturhaus hat einen starken städtebaulichen Hintergrund. Es ist schon so, dass in der Entwicklung der Projekte die Analyse der Wirklichkeit wichtig ist – ohne in eine Breitband-Skepsis zu verfallen. Einfach einmal genau hinzuschauen oder zu beobachten und dann schlussendlich eine subjektive Haltung dazu zu entwickeln, mit der Lust zu bearbeiten, sie zu verstehen und dann unter Umständen steigern zu können.
- Du bist auch seit 2002 Professor am Hochbauinstitut, jetzt Institut für Architekturtechnologie an der TU-Graz. Wie fließt Städtebau in den Hochbau, die Architekturtechnologie ein?
- Die Projekte, die entwickelt werden oder sagen wir, deren technische Ausbildung, sind Teil einer immer gleichen, logischen Kette der Entscheidungsfindungen. Ästhetisierung des Technischen, sondern vielmehr um die Einordnung der Teile in einem vielschichtigen Kontext. Das trifft für das Detail ebenso zu, wie für ein Gebäude in einem städtebaulichen Gefüge.
- Universitäten werden seit kurzem selbstverwaltet. Welche Auswirkungen hat das?
- Ich will mal sagen, wir verwalten unsere Mängel jetzt selbst...Grundsätzlich bemühen wir uns rätlich, überall noch schlummernde Potenziale zu nutzen. Und im Vergleich zu anderen europäischen Standorten, stehen wir noch sehr gut da.
- Die Pyramide der Hirachie ist relativ steil angelegt und sehr zentralistisch organisiert. Kann man damit so schnell umgehen lernen?
- Ja - obwohl wie lange ist das jetzt her? 6 Monate? Das Dilemma entsteht schon daraus, dass erst ein
Kommunikationsfluss aufgebaut werden muss. Man kann den Leuten nicht einfach etwas vorsetzen. Das wäre ein altes, antiquiertes Modell: Oben wird verordnet und unten muss ausgeführt werden. Die Studierenden müssen in diese Prozesse und in die Kommunikation eingebunden werden. Es hatte ja auch schon vorher kein wirkliches Forum mehr gegeben. Das führen wir in einer modifizierten Form wieder ein.
- Wie können die Studenten in diese klare Kompetenzverteilung wieder eingebunden werden?
- Schwierige Entscheidungen müssen auf jeden Fall vorher kommuniziert werden. Die Psychologie der Transparenz ist gebrochen worden, wenn ich etwas nicht verstehe, keine Unterlagen habe, dann kann man nur dagegen sein.
- Wird der Lehrplan wieder verschulter?
- Schwer zu beantworten. Man sagt zwar, dass der neue Studienplan verschulter ist und die Studiengebühren bewirken eine gewisse zusätzliche Ernsthaftigkeit, aber in Graz ist der Studiengang Architektur immer noch relativ frei. Es gibt keine Pflichtfächer im Hauptstudium zum Beispiel. Ich finde diese Freiheit grundsätzlich in Ordnung, aber wie die Zukunft ausschaut, weiß ich nicht. Wir versuchen jetzt vor allen das Niveau zu heben - auf allen Ebenen gleichzeitig. Externe Kritiker könnten zum Beispiel die Wohnzimmerathmosphäre, in der Diplomprüfungen stattfinden, etwas angeregter gestalten und die Studierenden anspornen. Auf allen wichtigen Hochschulen sind externe Kritiker „State of the art“. In Graz gibt’s das noch nicht, das sollten und möchten wir aber einführen.
- Ist GAM (GrazerArchitekturMagazin) ein Teil dieser Strategie?
- Auf jeden Fall. GAM soll eine Plattform für den internationalen Architekturdiskurs werden, an dem sich die Architekturfakultät auch beteiligen kann. Namhafte Personen aus dem Bereich Architektur, Medien und Architekturtheorie in Europa , den USA und Japan, die nicht nur unseren Anspruch absichern sollen, sondern auch eine Basis für die internationale Vernetzung bilden, haben wir für das Editorial Board gewinnen können.
- Graz internationaler machen?
- Ziel ist, nicht nur Themen aufzugreifen, sondern selber Themen setzen, die dann auch international diskutiert werden.
- Fühlst du dich selbst eigentlich noch als Ausländer in Graz?
- Wenn man einmal Ausländer ist, ist man immer Ausländer, das legt man nie ab...
- Vorteil oder Nachteil?
- Es ist prinzipiell ein Vorteil, man sieht immer beide Seiten, die von Innen und die von Außen. Ich empfinde das als „mehr“...
- Euer Büro war immer sehr international orientiert. Liegt das an deiner persönlichen Biografie?
- Sicher. Man bewegt sich immer in den „Kreisen“ in denen man sich wohlfühlt und internationale Kommunikation fand immer statt bei uns. Das betrifft unser Büro ebenso, wie die Hochschule. Kommunikation findet dann statt, wenn Themen und Inhalte ausgetauscht werden können. Da sucht und findet man natürlich sozusagen gleichgesinnte Partner.
- Es gibt von euch die Anekdote, dass du und dein Partner Florian Riegler euch bei Szyskowitz Kowalski „gefunden“ habt, weil ihr endlich einen geraden Strich zeichnen wolltet.
- Schöne Geschichte! Irgendwie vielleicht. Aber unsere Zusammenarbeit ist nicht aus einer Kritik der damaligen Situation entstanden, vielmehr war es eine Mischung aus der Geschichte, die wir getrennt voneinander durchgemacht haben. Wir haben ja nicht zusammen studiert, wir haben nur uns mit gleichen Dingen auseinandergesetzt und hatten eine ähnliche gesellschaftspolitische Haltung. Was wir uns wirklich gefragt haben, in der Zeit bei Szyskowitz Kowalski, ist, welchen Mehrwert hat eine derartige Architektur? Wem dient sie tatsächlich, dem Autor oder dem Nutzer? Wir zeichnen deswegen nicht weniger Details als damals, aber wir beschäftigen uns mehr mit dem Hintergrund und der Wirklichkeit gleichzeitig, um damals so wichtig erscheinende determinierte Bereiche möglichst weit zurücklassen zu können. Wenn man aber über so über Architektur redet, wird das gerne als persönlicher Angriff gedeutet, wir haben uns aber immer mit dem Fundus beschäftigt, aus dem wir schöpfen können.
- Gibt es in Graz einen Generationenaustausch? Will man bei den Älteren lernen?
- Hier in der Stadt? Nicht dass ich wüsste, nicht mit mir. Über drei Generationen ist da ein Riesenloch gerissen, da kann auch nicht von heute auf morgen die große Diskussionsrunde entstehen, wenn man nicht einmal ein Buch gelesen hat.
- Hat die ältere Generation etwas antiakademisch in Graz propagiert und gegen etwas gearbeitet, dass es jetzt gar nicht mehr gibt?
- Es ist schon gut, gegen etwas zu sein, aber schlussendlich fehlt etwas. Es reicht nicht aus, nur von der Kritik zu leben. Es war mal „en vogue“ in Graz unbelesen zu sein, das fördert den Geniegeist des Architekten: Wenn er nix weiß, dann glaubt er, alles was er tut ist eine Erfindung - einfach dargestellt. Dadurch kann ich sehr schnell erfolgreich sein und ein Ego aufbauen. Aber da Ganze steht auf sehr wackeligen Beinen.
- Wie unterscheidet sich eure Haltung, habt ihr keine Feindbilder mehr?
- Grundsätzlich ist es viel einfacher mit Feindbildern zu leben, etwas wogegen man arbeiten kann. Wir haben keine Feindbilder, wir benötigen sie auch nicht. Unsere Haltung ist eine andere. Wir akzeptieren den Alltag, den größten Feind vieler Architekten. Daraus schöpfen wir Kraft.
- Im Alltag liegt nicht nur Zukunft, sondern auch Geschichte. Beschäftigt ihr euch auch damit?
- Alltag ist jetzt. Die Beschäftigung mit dem Moment und den Blick nach vorne gerichtet. Vielleicht gibt es auch immer wieder einen kurzen Blick zurück. Aber auch Zukunft hat manchmal etwas sehr reaktionäres und wenig progressives. Wenn man ein Buch aus den 50ziger Jahren liest, denkt man es ist 200 Jahre alt. Und gerade die 50ziger Jahre werden immer als besonders fortschrittlich postuliert. Doch da gab es die Atomkraftwerke, Nylonhemden, die Technikeuphorie, und jeder der nicht dafür war, war reaktionär. Doch es hat uns gezeigt, dass man nicht bedingungslos an den Fortschritt glauben darf. Wenn ich mich dagegen mit dem Alltag beschäftige, dann kann ich die Wirklichkeit nicht ausschalten, wogegen das mit der Vergangenheit und Zukunft sehr leicht möglich wird.
- Der Computer, als Werkzeug in der Architektur. Wieviel davon ist Alltag, wieviel schaltet er an Wirklichkeit aus?
- Sicher ist mit dem Computer vieles einfacher geworden, vor allem für den schlechten Entwerfer. Es fehlt an Tiefgang und die reine Anwendung steht im Vordergrund. Es wird eine eigene Wirklichkeit gebildet, stark losgelöst vom Alltag.
- Kann man gegensteuern?
- Ich weiß gar nicht, ob man überhaupt gegensteuern soll. Es ist einfach eine Tatsache. In 10 Jahren kann auch wieder etwas anderes kommen. Grundsätzlich muss man diese Dinge hinterfragen und selbst eine Position dazu finden, egal was „hinten“ dabei heraus kommt. Wichtig ist eine offene, progressive politische Haltung aufzubauen. Dann kann nicht mehr viel passieren.
1959 geboren in Bielefeld
1987 Gründung des Architekturbüros Riegler Riewe in Graz gemeinsam mit Florian Riegler

Projekte (Auswahl):

Wohnbebauung "Casa Nostra", Graz, 1992; Flughafen Graz, 1994; TU Graz Inffeldgründe, 1995; Literaturhaus, Graz, 2002.

erschienen in Architektur&Bauforum 06/04,S.4ff.
Riegler Riewe -