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Bosnien/Herzegowina’s Mitgliedschaft der Europäischen Gemeinschaft scheint noch in weiter Ferne, doch auch ohne EU-Schirmherrschaft verbindet Bosnien mit Österreich eine gemeinsame Geschichte. Doch was wissen wir noch von Sarajewo, der neuen Hauptstadt in Bosnien?

500 Meilen Richtung Süden

Annäherung an die Stadt Sarajewo

redaktionsbüro: Manuela Hötzl
Sead Golos,Amir Vuk,Srdja Hrisafovic:
- Amir Vuk hat gestern erzählt, daß man als Bosnier überall auf der Welt einen Schlafplatz findet...
- (A.V)...ja und im Idealfall auch eine Vorlesung in Wien bekommt, so wie es uns unser Kollege Mladen Jadric ermöglicht hat. Ich meinte mit dieser Aussage, daß die halbe Bevölkerung Sarajewos wegens des Krieges auf der ganzen Welt verstreut war und ist – von Asien bis Amerika. So war ich zum Beispiel mit meiner Familie während des Krieges in Vancouver...

(S.H.)... und ich kam vor zwei Jahren aus Neuseeland zurück, Sead blieb in Sarajewo.
- Sind viele wieder zurückgekommen?
- (A.V.) Ja und sie kommen immer noch, als Besucher oder als Gäste. Im Sommer ist Sarajewo sicher anders als andere Städte, sie stirbt nicht aus, sondern verdoppelt sich fast. Das hat viel Einfluß auf die Stadt, weil jeder, der von aussen kommt Ideen und Wissen mitbringt – und dieses Wissen hilft uns unsere Identität zu finden und aufzubauen. In den Sommermonaten kann man das fast spüren, die Diskussionen sind intensiv und sehr emotional.

(S.G.) Alle kulturellen Veranstaltungen, wie das Film- und Theaterfestival, finden im August statt. Nicht nur die Stadt ist dann voll, auch das Programm – das kann nur passieren, weil es einige private Initiativen gibt - vor allem unsere Generation nimmt das in die Hand ...

(A.V.) Das Image der Stadt ändert sich aber auch durch unsere Kinder. Meine Kinder führen ein sehr modernes, urbanes Leben und verfolgen alles, was in der Welt passiert. Diese ganze Generation spricht Englisch und Bosnisch oder Deutsch und Bosnisch – weil wir alle an anderen Orten und Plätzen der Welt waren. Vor dem Krieg waren wir ein freundliches, mediterranes Volk, das gerne außerhalb des Hauses seinen Tag verbringt...
- Ihr seid aber immer noch charmante Südländer?
- (A.V.) Manches ist wieder wie vorher. Wenn man in Sarajewo lebt, lebt man lebt in Restaurants und Cafes. Wir telefonieren nicht, wir treffen uns.

(S.H.) Wenn ich Amir finden will, weiß ich genau wo. Das Leben ist ein sehr persönliches und wir reden viel auf dieser persönlichen Ebene miteinander. Aber was wir brauchen, ist eine organisierte Diskussion auf einer höheren Ebene – das existiert in Sarajewo nicht. Früher hatten wir ein Zetrum für Architektur im Zentrum der Stadt - übrigens nannten wir es das „Österreich-Haus“, weil es von der österreichischen Regierung für die Olympiade 1984 errichtet wurde. Leider wurde es völlig zerstört.

(A.V.) Es gibt aber wieder Initiativen so ein Haus für die Architekten einzurichten und neu zu bauen. Aber vieles geht noch langsam in Bosnien. Schließlich haben wir zehr Jahre verloren – eine ganze Generation.

(S.H.) Wir drei haben eine unabhängige Architektenvereinigung in Sarajewo mitbegründet, bei der alle, ungefähr 500, Architekten in Sarajewo Mitglied sind – auch diejenigen, die für staatliche Organisationen arbeiten. Ich habe gestern erzählt, dass wir nicht organisiert wären, unsere Generation strengt sich aber an, dass das anders wird. Wir arbeiten nicht für Geld, sondern mit dem guten Willen. Die Regierung Bosniens sieht für Kultur keine finanzielle Hilfe vor.
- Heißt, daß vom sozialistischen Staat noch einige Strukturen übriggeblieben sind?
- (A.V.) Man muss uns etwas Zeit geben. Zuerst muss unser Volk lernen, einen Staat zu managen. Unsere Gesetze und Regeln kamen bisher immer aus Istanbul oder Belgrad und früher aus Österreich.

(S.G.) Die Regierung hat viele Bereiche zu detailliert durchgeplant, auch zu bürokratisch. Um ein Gebäude in Sarajewo zu errichten, braucht man 20 Bewilligungen.

(S.H.) Sicher wird vieles noch zentral organisiert und unser Denken ist strukturell noch ein sozialistisches – die Geschichte kann man nicht so schnell hinter sich lassen.

(S.G.) Aber schwierig wird dieses System besonders für ausländische Investoren, die kommen mit fertigen Projekten und wollen so schnell wie mögliche bauen wollen. Um das system zu verstehen: Unsere Stadtplanung hat jedes Grundstück kategorisiert, ihm eine Funktion zugeordnet, die Höhe, die Grösse – alles ist vordefiniert. Wenn man also eine Schule statt einem Supermarkt bauen will, kann man das nur, wenn man diesen Stadtplan ändert. Um das zu erreichen, braucht man nicht nur viel Geld, sondern es dauert auch sicher zwei Jahre.
- Aber möglich ist es?
- (A.V.) Prinzipiell ist alles möglich in Bosnien. Deswegen fangen die Leute an, die komischsten Ideen zu haben, die oft an der Realität vorbeigehen. Das Problem der zentralen Planung ist aber, daß sie nicht vorausschauend agieren, sondern die Probleme lösen, die offensichtlich und gerade notwendig sind. Für uns wäre eine teilweise privatisierte Stadtplanung ideal, zusätzlich zur strengen staatlichen Stadtplanung. Für mich ist wichtig für die Zukunft, daß die urbanen Startegien wirklich so werden, wie es das Leben und die Realität verlangen und zeigen. Manchmal so wie Menschen einen Park benutzen und den Trampelpfad einführen – man muß in dieser Stadt auch ein wenig so denken und den Puls der Zeit spüren.

(S.H.) Die ausländischen Investoren kommen immer mit dem fertigen Projekt. Das ist natürlich auch ein wenig ein imperialistisches Verhalten unter dem Aspekt „wir kollonisieren“. Das ist nicht wirklich der Weg. Wir erwarten auch Respekt. Die vielen österreichischen Banken, die in Bosnien bauen, machen das ganz gut und investieren auch in Infrastruktur.
- Werden auch die Architekten gleich mitgeliefert?
- (S.G.) Ja, wir kämpfen jetzt für Wettbewerbe auch mit bosnischen Architekten. Ein wenig beginnt es zu fruchten.
- Wie steht es mit der Privatisierung des Landes?
- (S.G.) Vor drei Jahren hat auch bei uns die Privatisierung begonnen und geht natürlich noch weiter. Das betrifft vor allem Firmen und Fabriken, das Land ist immer noch vollkommen in Besitz des Staates. Aber die Privatisierung ist für uns, als ehemaliger Teil eines sozialistischen Staates, ein sehr schmerzhafter Prozess.

(A.V.) Im früheren Yugoslawien hatten wir eine zentral organisierte Städteplanung, die kollektive Appartments und alles andere an Bauunternehmungen im Land kontrollierte. Jetzt wollen die Leute zeigen, daß sie Geld haben und bauen ihre Häuser außerhalb der Stadt. Das passiert hauptsächlich an den Randgebieten von Sarajewo, wo mittlerweile ein ganzer Ring an neuen Häusern enstanden ist, die meistens nicht besonders hohes Niveau aufweisen.

(S.H) Doch das größte Problem in diesen Gebieten ist das Fehlen einer Infrastruktur – und das fängt mit der Wasserversorgung an.
- Darf man darunter eine starke staatliche Kontrolle verstehen?
- (A.V.) Alles ist unter Kontrolle, irgendwie. Das Schwierige ist eigentlich, daß wir gute Gesetze haben, zum Beispiel für Bauten ..., die zum Teil von deutschen oder österreichischen Modellen übernommen wurden. Doch im Alltag zeigt sich oft, daß diese Modelle nicht durchführbar sind und nicht der Realität entsprechen.

(S.H.) Alles, was der Staat plant, bauen wir – das betrifft auch private Planungen. Soziale Bauten, Krankenhäuser und Schulen werden ausschließlich vom Staat gebaut.
- Sind eure Bauherrn privat oder staatlich?
- (S.G.) Wir haben hauptsächlich private Bauherrn, aber wir bauen auch für die Stadt.

(A.V.) Hier in Österreich kann man das schwer verstehen, was es heißt unregulierte und unorganisiert zu planen. Auch ich frage mich manchmal, warum bauen Menschen, die offensichtlich arm sind, sich zwei oder dreigeschossige Häuser und okkopieren dafür die besten Plätze außerhalb der Stadt.

(S.G.) Es gibt mittlerweile einen ganzen Ring solcher Häuser um Sarajewo herum, wo fast ein Drittel der Bevölkerung, also fast 15.000 Tausend Menschen leben – meist mit mehreren Familien unter einem Dach.
- Gibt es ein Konzept für das Wachstum der Stadt?
- (S.G.) Vieles muß rekonstruiert werden oder wird deswegen neu gebaut. Aber das ist eine politische Frage.

(A.V.) Wichtig ist die Infrastruktur, die Autobahn und eine direkte Verbindungn nach Budapest. Und dort werden dann solche Shopping-Malls gebaut, wie hier in Vösendorf...
- Man lernt also nicht aus anderen Fehlern und macht vieles nach ...
- (S.H.) Natürlich hätten wir die Chance viele Fehler nicht nachzumachen, aber wir lernen nicht aus der Geschichte und wollen einfach dasselbe haben.

(S.G.) In diesem Sinne ist unsere Langsamkeit und das Fehlen von großen Investoren manchmal auch gut: Wir sparen uns Ressourcen auf...
- Bosnien ist ein ganz neues Land, mit einer neuen Hauptstadt. Wie definiert sich Bosnien kulturell und politisch?
- (S.H.) Im Ausland ist Bosnien sicher noch ein verdächtiges Land – allem folgen wir nicht unbedingt. Wir sehen die Fehler schon .....

(A.V.) Für Bosnien ist es wichtig ein kollektives Bewußtsein zu schaffen und eine kulturelle Identität. Wir gehörten zu Yugoslawien, zu Österreich und zur Türkei. Jetzt sind wir bosnisch, doch was ist wirklich bosnisch. Was wollen wir? Und was haben wir anzubieten. Prinzipiell ist die Lage gut und alle Ressourcen vorhanden ...

(S.G.) Sarajewo ist nicht von den Menschen, die die Stadt bewohnten gestaltet worden - das ist generell ein Problem am Balkan. Die Kriege haben die Städte von innen und außen zerstört. In Sarajewo ist die Stadt von 40.000 auf 500.000 Einwohner angewachsen – und das in kürzester Zeit. Es ist für uns ein Lernprozess eine Stadt selbst zu managen.
- Welcher Kultur fühlt ihr euch als so multikulturelle Nation nahe?
- (S.H.) Wir sind ein Staat mit vielen Völkern, aus vielen Nationen...

(S.G.) wir sind immer dazwischen. Zwische Ost und West – und das bleiben wir auch.
- Welche Einflüsse sind in der Architektur zu spüren auf die ihr immer noch Bezug nehmt?
- (S.H.) Definitiv östlich, türkisch. Wir glauben an diese Schönheit und wenn wir diesen Mustern auch städtebaulich folgen können, sind wir die Gewinner!
- Also ist das Haus typologisch typisch für Sarajewo?
- (A.V.) Unsere türkischen Häuser sind sehr spezifisch. Unser Architekturvater Juraj Neidhart hat das schon einmal gut aufgearbeitet.

(S.H.) Unsere modernen Häuser sind eigentlich Hybriden des türkischen Hauses und sind außerdem von einigen tschechischen Einflüssen geprägt, die hier in den 20ziger jahren gebaut haben.

(A.V.) Diese spezielle Typologie finde ich wunderschön und ich beziehe mich immer wieder darauf bei meinen Projekten. Aber unsere Architekturgeschichte ist ein kleines Buch im Vergleich zur österreichischen.

(S.H.) Was Amir versucht, ist eine ähnliche Sprache zu finden und ihr eine neue Form zu geben.
- Aber Sarajewo ist auch eine exotische, bunte Stadt, die nicht eindeutig dem türkischen zuordbar ist?
- (A.V.) Wenn man durch Sarajewo geht, hat man schon einen exotischen Eindruck von der Stadt. Wenn man nur ein paar Meter geht, werden so vielen verschiedenen kulturellen Einflüsse sichtbar. In Sarajewo liegen einfach viele Kulturen spürbar nebeneinander, das sieht man auch.

(S.H.) Leider wird nicht oft gut damit umgegangen. Schöne Teile der Stadt sind verschwunden und verschwinden immer noch. Kulturell ist die Bevölkerung nicht besonders engagiert – und viele schreckliche Häuser stehen nun in der Stadt.
- Sarajewo ist eine relativ kleine Stadt, wie lebt es sich dort?
- (S.G.) Sarajewo ist eigentlich gar keine Stadt, nicht nur weil sie relativ klein ist, sondern weil ihr verschiedene Aspekte einer Stadt fehlen. Eine Stadt definiert sich für mich durch Treppen und Stufen, die man erreichen muß und die die sozialen Unterschiede definieren. In Sarajewo fühlt sich prinzipiell jeder auf der selben Stufe.

(S.H.) Darüber habe ich noch nicht nachgedacht, aber Sead hat recht. In Sarajewo existieren keine Stars. Egal was man macht. Man kann auf der ganzen Welt Erfolg haben, wenn man zurückkommt, ist man nichts. Amir ist sicher einer besten Architektn der Stadt, für mich, aber niemand behandelt ihn als solchen.

(S.G.) Wir sind immer noch sozialistisch, im besten Sinne, aber wir verstehen uns als gleich. Nichts und niemand wird respektiert, in allen Bereichen des Lebens. Bei uns gibt es keine Autoritäten. Wir sind alle Politiker und wissen alles über Politik oder Ärzte und Architekten. Sarajewo ist klein und kleinteilig. Jeder behandelt jeden gleich. Das ist nicht gut. Das geht einfach nicht.
- Was bedeutet das für euren Berufsstand im speziellen?
- (S.H.) Niemand glaubt dir auf einer Baustelle, alle wissen es besser.

(S.G.) Alles geht um den Maßstab. Je kleiner, desto familärer wird es. Bei größeren Projekten bekommen die Menschen Angst. Das Große macht allen Angst. Wir sind alle Freunde, was viel gute Energie erzeugt, aber nicht immer Qualität.
- Wie geht ihr mit der Kriegsgeschichte um, gestern habt ihr gesagt, daß man sich nicht erinnern will...
- (S.G.) Das ist eine politische Frage. Die Stadt ist zum größten Teil wieder aufgebaut und funktioniert wieder. Vieles mußte schnell gehen und wurde einfach von persönlichen Interessen bestimmt. Aber auch wenn es keinen Krieg gibt, passiert so etwas...

(A.V.) In Sarajewo existieren keine großen Strategien und es werden keine grossen Aktionen gestartet. Alles funktioniert im Kleinen und mit kleinen Interventionen. Das ist schwer zu bemerken, manchmal. Aber das Interesse ist auch zu gering. Aber es gibt keine grossen Aktionen, nur kleine Interventionen. Aber das bemerkt kaum jemand. Wenn wir jetzt nach Sarajewo zurückkommen, würde niemand kommen, um mit uns ein Interview zu machen.