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Weichlbauer/Ortis sind ein spezielles Beispiel für eine angewandte moderne Architekturauffassung, die formal nicht eindeutig, aber unverwechselbar ist. Ihre Methodik ist nie rein formal, das Ergebnis dann doch. Weichlbauer/Ortis sind keine Repräsentanten einer spezifischen regionalen oder nationalen Architektursprache, sie stehen in einer Tradition der Moderne, die sich durch eine Haltung und Geisteshaltung definiert, und die genauso ortlos ist, wie ihre Architektur. Ihre Methodik ist jene der Uniformität, die das Handwerk, das Material, die Technik verinnerlicht hat und mit einer neuen Kollektion auf den internationalen Laufsteg erscheint. Auch im Sinne von Koolhaas: „Scheißkontext“ und durchaus kontrovers.

Abstraktion im Regelwerk

Reinhold Weichlbauer und Albert Josef Ortis im Gespräch

redaktionsbüro: Manuela Hötzl
Weichlbauer/Ortis:
- Seht ihr euch lieber in einem internationalen Kontext, als einem österreichischem? Stichwort „archilab“ bzw. „Biennale“?
- Bei „archilab“ (Orleans) dabei zu sein, war für uns seismographisch sehr wichtig. Wir waren dort in diesem Jahr die einzigen österreichischen Architekten, eingeladen von dem international anerkannten Architekturkritiker Bart Lootsma. Die österreichischen Biennale-Beiträge sind aus unserer Sicht im Hinblick auf die präsentierten Formensprachen und die damit verbundenen Gestaltungsregeln untereinander austauschbar- als Frage: kreative Internationalität oder nur Internationalität?
- Ihr experimentiert viel und bewegt euch thematisch in verschiedenen Bereichen, wie Wissenschaft, Kunst, Medien …in euren Vorträgen zitiert ihr auch Plato …
- … „Architektur ist eine Wiederspiegelung der besten Erkenntnisse, die Menschen von der Struktur des Universums besitzen“. Plato ging dabei nicht von einem statischen menschlichen Wissen aus, wobei wir in diesem Zusammenhang einen Bezug zu den Ordnungsregeln des Makro-, Mikrokosmoses sprich Relativitäts-, und Quantentheorie herstellen. Sie dienen uns unter vielen anderen Regelwerken als objektive Hilfswerkzeuge bei der Formfindung, um unsere Gewohnheitsstrukturen zu überwinden und damit unsere Kreativität zu erweitern. Wir verlassen uns nicht auf unsere subjektiven Gestaltungsgefühle. Entscheidend sind für uns Zusammenhänge. Die Variablen, die Parameter, die Beziehungen, wie in der Quantenphysik, diese bestimmen letztlich die Form. Nicht das Teilchen selbst.
- Welche Grundhaltung verfolgt ihr mit der Anwendung von Formfindungs-Regeln?
- Unser Anliegen ist, etwas "Neues", etwas Unbekanntes zu liefern, und sei es nur etwas Bekanntes "neu zu ordnen". Grundsätzlich bedient sich jeder der gestaltet, wissend oder nicht wissend, einer Regel. Gestaltung ist Ordnung > Ordnung dient zur Orientierung > Objektive Orientierungshilfe bietet die Wissenschaft > Wissenschaft benötigt Mathematik > Mathematik beruht auf Regeln > die Regel bestimmt die Gestaltung, die Form.
Dies ist keine Erfindung von uns, es ist vielmehr ein zusammengestückeltes theoretisches Ready-Made dessen wir uns bedienen um unsere Arbeit zu erläutern.
- Wie allgemeingültig sind diese Regeln?
- Wir produzieren keine neuen Ordnungsregeln, wir bedienen uns nur derer die vorhanden sind und untersuchen jene auf User-Brauchbarkeit. Es gibt keinen Anspruch auf eine Allgemeingültigkeit, sowie es (noch) keine „Theorie für alles“ gibt. Wir sehen uns als eine Art Designjunkies im Dschungel der Ready-Mades. Wir samplen und bleiben offen. Am liebsten setzen wir Programme oder andere Dinge artfremd ein. Aber auch das ist nichts Neues, das gab es in den unterschiedlichsten Kunst-Disziplinen auch schon immer.
- Werden diese Regeln immer neu definiert?
- Ja, im jeweiligen projektbezogenen Anwendungsbereich. Wir haben ja kein Interesse daran, nur eine einzelne Richtung zu verfolgen. Wir agieren wie „Switcher“ zwischen den Kanälen. Zur Gewohnheit gewordene Formfindungsregeln sind der geistige Stillstand und führen zur Erkrankung an Systemblindheit.
- Inwieweit können Regeln kreativ objektivieren?
- Um eine Kreativitätssteigerung zu bewirken, wird die zu entwickelte Form an eine Regel-Matrix gebunden, die ihrerseits unsichtbar bleiben kann, da sie nur als Hilfswerkzeug eingesetzt wird. Das Entwurfsergebnis unterliegt, bei konsequenter Umsetzung der Ordnungsregel, analog, digital oder beides einer Art wissenschaftlichen Gestaltungsgesetzmäßigkeit und kann über das Angebot hinaus, das die Matrix liefert, „neue“, ungewohnte Formen anbieten. Eine Distanz zur Subjektivität schafft digital der Computer z.B. mittels Zufallsgenerator, aber auch herkömmliche analoge Gestaltungsregeln z.B. über Metaphern und logischen Argumentationsketten. Beim interaktiven arbeiten liefert uns der Computer eine Vielzahl an wertfreien Formenangeboten, die wir dann natürlich subjektiv interpretieren bzw. manipulieren.
- Welche Rolle spielen bei euch so Begriffe wie Raum, Ort, genius loci?
- „Die Wahrnehmung ist ein Autobus, die fährt dich überall hin, und wenn du sie schön bitten tust dann sitzt auch mitten drin“, frei nach Werner Schwab und seinen Hinterlader Seelentröstern, d.h. mit anderen Worten, Raumgefühle sind objektiv nicht messbar, da sie einer subjektiven Gewohnheitsstruktur unterliegen.
Damit wird die, unter der Architektenschaft so beliebte Raum-Ort- Diskussion, als Wertmaßstab für eine identifikationsstiftende Architektur völlig belanglos. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier - auch der Architekt.
- Eure Architektur hat eine starke formale Sprache. Glaubt ihr bewusst an die „Power of form“?
- Ein Diskussionsthema bei „archilab“. Das ganze Leben ist Chemie (=Gestaltung) und beruht auf Regeln. Grundsätzlich gibt es bei uns keine fixen Vorstellungen wie Architektur auszusehen hat. Wir versuchen keine Formenideale zu haben. Das finden wir in Zeiten wie diesen unangebracht. Wobei wir beide eine gewisse Schwäche für den Dadaismus hegen.
- Das klingt recht pragmatisch, rein funktional ist eure Architektur aber auch nicht?
- Wir wenden uns gegen die Sentimentalität und Intimität in der Architektur. Die Architektur ist eine Angelegenheit der Materie, der Physik des Raumes und es geht in der Architektur um Kunst und nicht um Unterkunft, dies meinte auch schon Pavel Janak. Eine Funktion muss erfüllt werden. Jedoch aus einer Funktion oder Konstruktion unmittelbar eine Form abzuleiten, erscheint uns heutzutage doch etwas zu banal. Eine konkrete Limes-Form versuchen wir im Formfindungsprozess so lange wie möglich hinauszuzögern.
- Orientiert ihr euch neben jeglichen Theorien auch an Kollegen?
- An Kollegen weniger eher an deren Methoden. Es gibt natürlich Architekten die auch theoretisch arbeiten oder arbeiteten die ein gewisses Interesse bei uns ausgelöst haben. Wir leben ja nicht in einem luftleeren Raum und sind auch ausgebildet worden. An der TU Graz war es vor allem unser Planungsmethodenlehrmeister Manfred Wolff-Plottegg, der uns in Form eines erweiterten Architekturbegriffes den Blick in ein objektives, algorithmenbestimmtes Kreativitätsuniversum öffnete. International z.B. Abstraktion (Theo van Doesburg), Funktion X Ökonomie (Hans Meyer), Kontextveränderung (Roberto Venturi), Grammatologie (Peter Eisenman), Transarchitecture (Marcos Novak) etc.
- Beispiel Marcos Novak: Er will allerdings nicht bauen. Ihr schon!
- Das reglementiert noch mehr, bereichert aber auch gleichzeitig unsere Situation.
Erst wenn die Dinge wirklich permanent mobil werden und seelische Zustände über Sensoren gemessen werden können und diese Messwerte des Seelenzustandes auf die Raumhülle transformiert werden ist ein Ende unserer Jetztzeit, der Post-(verstanden als Hybrid-) Moderne gekommen. Aber von solchen Realitäten sind wir noch Lichtjahre entfernt.
- Wie argumentiert ihr eure Architektur vor den Bauherrn?
- Objektivierende Regeln erleichtern eine objektive Argumentation. Es entsteht eine Systematik, die der Kunde relativ gut verfolgen und verstehen kann. Wir reden nicht über Annahmen oder subjektive Wahrnehmungen, sondern unsere Vermittlung ist auf eine stringente Auflistung von Prozessschritten aufgebaut. Damit wird sie auch nachvollziehbar. Wir erfüllen auch alle Wünsche. Wir haben kein Problem, wenn jemand aus einer Urlaubserfahrung gerne eine Kuppel in seinem Haus hätte. Wir nehmen das alles und mischen es kräftig durch. Die Wünsche werden verarbeitet, aber nicht in der gewohnten Vorstellung, wie sie vom Auftraggeber kommen, sondern in einem Ordnungssystem, das von uns kommt – auch ein Arzt bestimmt die Art der Behandlungstherapie.
- Eure Distanz zum Objekt geht so weit, dass ihr auch möglichst versucht, eine Distanz zu euch selbst zu erzeugen. Was man deutlich an eueren Portraits, am Logo usw. erkennt?
- Die alte Vereinbarung, Kunst müsse eigenhändig durch ein bestimmtes Subjekt gemacht werden, ist im 20. Jahrhundert längst außer Kraft gesetzt worden. Spätestens seitdem Marcel Duchamp statt einer Skulptur ein industrielles Fertigfabrikat ausstellte.
Wir verfremden, desubjektivieren unsere Portraits genauso wie unsere Architektur. Wie wir dann ausschauen ist völlig nebensächlich, das Regelwerk bestimmt. Für uns ist die Auseinandersetzung mit der Form der Regel viel wichtiger, als die daraus resultierende Limes-Form.
- Ihr bezeichnet eure Planungsmethode als „freestyle planning“, wieso?
- „free-style“, eine typische postmoderne Wortkreation, nämlich eindeutig uneindeutig, also doppeldeutig, sowohl als auch, ein Formfindungs-Eklektizismus in Verbindung mit einer architekturtheoretischen Mobilität.
- Frei („free“) wovon?
- Uns geht es um das Überwinden von vorgefassten Meinungen und Vorstellungen – und das geht nur mit einem freien Zugang und über Regeln.
Man muss sich davon lösen, dass eine aus einem Regelwerk heraus entwickelte Form gefallen muss, dies wäre ja bei unserem Ansatz kontraproduktiv, da wir ja unsere Gewohnheit austricksen wollen – aber keine Angst, erstaunlicherweise gefällt es aber dann trotzdem jemandem dem man diese Form verkaufen kann.
- Habt ihr Beispiele dafür?
- Erstes Beispiel: Beim Kunsthaus-Wettbewerb in Graz haben wir die beiden vorangegangenen Siegerprojekte und das neue Grundstück digital vermischt und daraus einen topographischen Siegertypen generiert mit dem Ergebnis, dass die Jury völlig überfordert war.
Beispiel Zwei: die realisierte WohnDNA in Gratkorn - durch die „Fraktale Geometrie“ wurde der Raum gebrochen, durch die Telekommunikation wurde der Raum beschleunigt. Das heißt ein wesentlicher Entwicklungsschritt in der Dynamik des 20. Jahrhunderts lag in der Loslösung der Information vom Körper und vom Ort- dies bedeutet fürs Projekt Fenstersituierungen nicht nur vor Räumen, Vordachanordnungen nicht nur über Ein-und Ausgängen, Terrassen-Attikabrüstungen nicht nur in Absturzbereichen und innere Raumerschließungen nicht nur über eine Zimmertür.
- Das „free“ ist sicher auch eine Anspielung darauf, dass ihr euch jeweils ein zweites Standbein geschaffen habt und nicht von der Architektur leben müsst.
- Diese Doppelkodierung können wir nur weiterempfehlen. Es hat zwei ganz entscheidende Vorteile: erstens müssen wir nicht jeden Auftrag annehmen, dadurch haben wir Zeit für theoretische wissenschaftliche Experimente und zweitens haben wir Geld für unser Leben, auch ohne Architektur.
- Das kann doch nicht die Zukunft sein: Architekt als Zweitberuf?
- Wieso nicht? Wenn die Qualität dadurch steigt. Wenn man die Möglichkeit hat viel zu bauen, ohne sich dabei die Haltungsnoten zu verschlechtern, dann funktioniert das vielleicht auch als „Nur-Architekt“. Aber es gibt unzählige Kollegen, die von kleinen Aufträgen leben (so wie wir) und von der Gunst eines Bauherrn abhängig sind (nicht so wie wir). In solchen Fällen gibt es immer wieder Phasen, wo man eigentlich die Planungstätigkeit einstellen müsste und sagen: das kann ich als staatlich befugter und beeideter Gestalter im Zeichen des Adlers nicht mehr vertreten. Zuerst wird die eine Hand amputiert, dann die andere und zum Schluss bleibt nichts mehr übrig. Da haben natürlich jene mit beruflicher Mehrfachkodierung oft eine privilegierte Stellung und schlussendlich auch noch was zum herzeigen.
- Inwieweit seht ihr euch dann als Dienstleister?
- Wir sehen uns sicher nicht als reine Erfüllungsgehilfen für Bauherrn, solcherart schmälert nur allgemein den Stellenwert des Architekten. Außerdem ist das theoretische Arbeiten auch eine Dienstleistung an der Menschheit, nämlich die der Aufklärung, siehe Theo van Doesburg.
- Diesen Kampf um die Anerkennung als Architekt gab es aber schon immer?
- Dieser Kampf ist in Österreich gegen ungefähr 8 Millionen Gestalter, Architekten inkludiert, zu führen und ist letztlich sicher nicht zu gewinnen. Natürlich wollen auch wir, wie jeder Gestalter mit seiner Tätigkeit zur Verbesserung einer Situation beitragen, aber wir sehen uns weder als Kreuzritter noch als Missionare.
- Wie seht ihr den Stellenwert des theoretischen Arbeitens in den österreichischen Architekturbüros?
- Ob überhaupt oder wie viel registrieren wir nur über die gebauten Ergebnisse. Denn Theorie hin, Theorie her, letzten Endes geht es in der Architektur auch um Umsetzung, um die Materialisierung. Im Allgemeinen wird dem theoretischen Arbeiten, Ausnahmen bestätigen die Regel, keine Bedeutung geschenkt und ein daraus resultierender Mehrwert in Bezug auf kreative Weiterentwicklung ignoriert.
- Ist bei euch das Forschen in jedem Entwurfsprozess integriert?
- Selbstverständlich. Forschen bedeutet für uns Orientierungssuche in den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Bereichen, das Aufstöbern von brauchbaren Regeln. Unser architektonischer Output wäre ohne diese Auseinandersetzung nicht möglich. Gestalten ohne theoretischen Kontext ist für uns unvorstellbar und fällt unter die Kategorie grob fahrlässig.
- Seht ihr eure Planungsmethode in der Dynamik des 21. Jahrhunderts?
- „Im 21.Jahrhundert wird das Atom den Menschen als Maß aller Dinge ersetzen“, meint der Physiker Hans Christian von Baeyer. Als adäquate, parallele Entwicklung in der Gestaltung würde dies einer mathematischen Komplexitätserhöhung (=Regelzunahme) im Bereich der Formfindung entsprechen. Mit dem Zusatz: Alles ist verfügbar, alles ist erlaubt, auch das scheinbar zufällig „Sinn-lose“ (=frei von gewohnten Sinnen). In diesem Sinne – Glück auf „limesfreie“ Architektur.