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Dominique Perrault – neben Jean Nouvel der bekannteste französische Architekt – wurde mit seinem Pariser Bau der Bibliothèque Nationale de France weltbekannt. Das ist lange her. Seit der Fertigstellung 1997 hat sich Perrault internationalisiert. Und verändert. Sein anlässlich der Einladung zur Jurierung des Otto Wagner Städtebaupreises gehaltener Vortrag in Wien hat dies verdeutlicht. Anhand eines einzigen Materials, dem Metall und dessen Anwendung, führte Perrault durch seine Projekte, und gerade daran zeigte sich auch deren Veränderung im Laufe der Zeit. Von Minimalismus elementarer Formensprache, klaren Baukörpern hat er genug, nun erscheint ihm, wie er selbst sagt, eine „hybride Architektur“ von Bedeutung, die andere und neue Beziehungen zum Menschen, zur Stadt und zur Landschaft eingehen kann. Diese Sprache manifestiert sich besonders im Entwurf des Mariinsky Theaters in St. Petersburg. Mit FORUM sprach er über seine neue Auffassung von Architektur, Stadtplanung und Fashion - Design.

Architektur und, und, und...

im Gespräch mit Dominique Perrault

redaktionsbüro: Manuela Hötzl
Dominique Perrault:
- Dietmar Steiner sagte am Beginn ihres Vortrags in der Postsparkasse Otto Wagners, Sie seien ein wahrer minimalistischer Architekt. Auf viele Gebäude trifft das zu, allerdings nicht auf das gezeigte Projekt Mariinsky Theater, das in St. Peterburg realisiert wird. Was ist passiert?
- Ich habe bei meinem Vortrag zu erklären versucht, dass sich mein Gefühl für Architektur ganz grundsätzlich verändert hat. Anfangs, als ich begonnen habe, mich mit Architektur auseinanderzusetzen, war ich absolut von grundlegenden, elementaren Positionen fasziniert. Ich kam mit wenigen, einfachen Formen und Körpern aus. Meine Herangehensweise ist zwar gleich geblieben, bei der Oper in St. Petersburg, dem Mariinsky Theater, findet allerdings eine Transformation der geometrischen Box statt. Im Inneren ist das Theater immer noch eine große Box, aber außen verändert sich die Form und wird ein wenig organischer. Die Idee beruht auf einer Fassade, die außen anders ist als innen. Als würde man ein großes Tuch über diese Box werfen. Dazwischen entsteht ein besonderer Ort, der im Fall des Theater ein öffentlicher ist, aber nicht unbedingt sein muss.
- Auch mit der Bibliothèque Nationale de France haben Sie einen besonderen Ort geschaffen, der zwar auch städtebaulich bzw. öffentlich, aber weniger artifiziell ist.
- Ja, das stimmt. Wenn man die Bibliothek mit dem Mariinsky Theater vergleicht, stellt sich das sicher so dar. Wenn man polarisiert, besteht die Bibliothek zum Großteil aus dem Leerraum, dem Dazwischen. Die vier Ecken der Türme halten diesen Außenraum, diesen öffentlichen Platz. Beim Mariinsky Theater stellt sich mir eine völlig andere Situation. Wir bauen in einem außergewöhnlichen historischen Kontext, in einem speziellen, harten Klima. Es könnte dort ganz gut sein, beschützt zu werden.
- Es ist aber auch ein wenig russischer, wenn man das sagen darf. Oder eine Sprache, die international gerade sehr beliebt ist. Welchen Einfluss hat das auf den Entwurf, oder war es wirklich die Funktion in dieser speziellen Stadt, die den Ausschlag gegeben hat?
- Das kann man nicht genau sagen. Aber es war sicher schwierig, diese Art von Gebäude in einem historischen Kontext einzufügen; Als würde man eine Oper in Venedig bauen. Allerdings ist Venedig im Vergleich zu St. Petersburg ein idyllisches Dorf. Die Frage war für mich, wie man ein modernes Gebäude in dieses riesige historische Viertel mit all seinen Domen und Kuppeln intelligent einfügen kann. Ich wollte in Referenz auf das Bestehende eine neue Kuppel in die Skyline einbringen. Aber eine Kuppel, die nicht von vornherein als solche identifizierbar ist, die nicht exakt symmetrisch, sondern ein wenig amorph ist. Meine goldene Kuppel ist eine manipulierte Form, aber poetisch, wie ein goldener Kokon.
- Aber schon glamouröser?
- Ja, ein wenig. Aber in diesem Maßstab ist das nicht mehr glamourös. Mystisch gefällt mir in Bezug auf das Gold schon besser. Letzten Endes soll das Gebäude wie eine Stück Mode dastehen, ein wenig beschützt, verhüllt – ein Fashion-Design für das Ausland.
- Ein wenig muss ich schon der Enttäuschung Ausdruck geben. Für eine bestimmte Generation in Österreich, vielleicht eher im östlichen, waren Sie eine Art Held. Jemand, der aus der traditionellen, konstruktiven französischen Architektur kam und eine starke poetische Umsetzung fand. Sehen Sie sich in keiner Tradition mehr?
- Die Bibliothek ist sicher ein klassisches Gebäude. Ihr Design ist die Definition der Klassik schlechthin: elegant, clever, interessant. Mittlerweile denke ich aber, dass die meisten Menschen an diesen klaren Gebäuden nicht interessiert sind. Es ist zu abstrakt. So versuche ich, einen neuen Weg zu gehen, um die Beziehung zwischen den Menschen und dem Architekten zu verändern. Mit Landschaft habe ich immer ein wenig gespielt und sie mit einfachen Formen vermischt. Aber die Herangehensweise war sehr strikt und beschränkte sich auf Ort und Kontext. Nun versuche ich, die Präsenz von Gebäuden zu verändern, mit neuem Kontext, der nicht nur visuell, sondern auch physisch spürbar wird. Zwei Fassaden wie beim Mariinsky Theater sind einfach aufregender.
- Sie haben den Begriff Landschaft angesprochen. In vielen Projekten, auch bei städtebaulichen, sprechen Sie davon, manchmal als natürliche, manchmal als künstliche. Welche Bedeutung hat Landschaft für Sie?
- Landschaft ist für mich generell sehr wichtig. Ich würde es fast als globale Vision betrachten und keinesfalls als traditionelle. Denn normalerweise, würde man Menschen über Landschaften befragen, würden sie diese außerhalb von Städten orten. Aber für mich ist die Stadt Teil einer Landschaft. Sie ist Landschaft. Auch wenn man sie nicht immer so sieht. Wenn ich diese Sichtweise mit meiner Architektur ein wenig verändern kann und Menschen in eine anders geartete Beziehung mit Architektur bringen kann, dann würde das meiner Vorstellung entsprechen. Architektur ist für mich auch die Entwicklung einer Manipulation, in diesem Fall der Natur an sich. Denn wenn man grundsätzlich mit Natur plant – wie mit jedem anderen Material, Beton, Metall oder Glas –, dann wird jedes Gebäude zu einer Landschaft. Und dann bildet diese „Landschaft“ eine neue Beziehung zwischen Natur und Architektur. Ich denke, dass ist eine neue Eigenschaft für einen städtischen Kontext, den wir selten genießen, obwohl wir alles an Komfort haben – das ist nicht normal. Wir sollten es dagegen genießen, in einer zeitgenössischen Stadt zu wohnen, wenn wir zum Beispiel Ästhetik in allen baulichen Maßnahmen mitbedenken, auch bei einer Autobahnstation. Wenn das der Fall ist, wird es möglich, viele spezielle Orte mit speziellen Charakteren zu schaffen.
- Ihre Gebäude sind also immer Teil der Landschaft und nie reines Objekt. Welchen Einfluss hat das auf die Architektur, die ja immer künstlich ist?
- Momentan versuche ich, alles miteinander zu verbinden und Architektur nach derselben Idee in die Landschaft zu integrieren. Das ist mein Thema. Aber nicht nur Architektur und Landschaft. Auch Architektur und Environment. Architektur und Kontext. Denn wenn ich etwas zeichne, dann platziere ich das Gebäude immer in die Umgebung – schon da beginnt man, das Gebäude anders zu betrachten. Wenn ich nur an das Objekt denken würde, wäre das ein anderes Gefühl – und das würde es dann auch ausdrücken. Aber wenn ich denke, dass das Gebäude eine spezielle Beziehung zum Bestehenden einnehmen soll, dann ist es auch emotionaler.
- Den roten Faden in Ihrem Vortrag stellte das Material Metall dar. Immer in anderen Formen, Funktionen – ist das auch ein Spiel mit Landschaft, mit natürlich und künstlich?
- Grundsätzlich ist das ein zwiespältiger Gedanke, der ein wenig diese hybride Architektur auch erst entstehen lässt. Zwischen rationaler, funktionaler Architektur und organischer. Aber ich denke auch an die Stoffe, wie in der Mode. Diese Beziehung stelle ich mir sehr gut vor.
- Ihr Wienbesuch steht in Zusammenhang mit dem Otto Wagner Städtebaupreis, in dessen Jury Sie sind. Was erwarten Sie von einer guten Stadtplanung?
- Das ist sehr einfach. Ich erwarte von Stadtplanung, dass am Ende gute Architektur herauskommt. Ich denke, dass es nicht genug ist, über gute städtebauliche Planung zu reden. Es ist zu technokratisch. Der Plan ist sehr wichtig für die Politik, die Entwicklung – aber das ist eben nicht genug. Die Präsenz von Stadt bildet letztlich die Architektur darin ab. Vor zehn oder zwanzig Jahren dachte ich noch, wenn man einen guten städtebaulichen Plan hat, hält er auch „Fehler“ oder schlechte Architektur aus. Jetzt denke ich genau das Gegenteil. Schlechte Architektur zerstört das Gefühl des Raumes und damit auch das gesamte Gefühl für diese Stadtplanung. Und es muss möglich sein, interessante Stadtplanung mit interessanter Architektur zu verknüpfen. Oder es ist beides unmöglich.
- Sie haben den Masterplan Donau City gewonnen. Wie geht es dort voran?
- Dort arbeiten wir mit einigen Architekten zusammen – oder werden es noch. Die Verantwortung liegt aber bei der Stadt oder den Bauherren, die spezielle Vorraussetzungen für einen konstruktiven Dialog schaffen müssen. Ich denke, es ist für eine Stadt sehr positiv, viele verschiedene Architekturstile zu haben. Aber Qualität sollte erstes Ziel bleiben.
- Und Ihr Hochhaus. Steht der Entwurf?
- Wir beginnen gerade mit den ersten Skizzen.
- Es sollten aber drei werden. Kommt es soweit?Im Masterplan habe ich drei vorgeschlagen.
- Wir bauen das erste, jemand anderer das zweite. Und in weiterer Zukunft wird vielleicht auch das dritte realisiert.
- So werden Sie in nächster Zeit oft in Wien sein?
- Ich denke ja, sehr oft.
- Sie sind nicht nur im österreichischen Biennalepavillon in Venedig mit Ihrem MPreis - Markt zu sehen, auch das Rathaus in Innsbruck stammt aus Ihrer Hand. Ist Österreich ein gutes Pflaster für Sie?
- Das Rathaus in Innsbruck ist ein sehr wichtiges und schwieriges Gebäude. Wenn man es genau nimmt, ist es eigentlich gar kein Gebäude. Es ist Teil einer städtebaulichen Strategie, sehr komplex und fremdartig.
- Sie bauen auch noch an vielen anderen internationalen Schauplätzen. Das sind doch sehr unterschiedliche Bedingungen, die Sie vorfinden. Gerade in auch in Russland. Wie gehen Sie damit um?
- Sie fragen nach Russland? Russland ist Russland. Aber das Mariinsky Theater ist in vielerlei Hinsicht ein faszinierendes Projekt, weil es auch ein öffentliches ist und ein Gebäude, das ich, eben als ausländischer Architekt, baue. Was sehr lange Zeit – auf Grundlage eines Wettbewerbs – in Russland nicht passiert ist. Es ist nicht einfach, in diesem Kontext zu arbeiten, und niemand hat dort Erfahrung im Umgang damit. Alles ist neu, und dadurch wird auch alles möglich. Es dauert nur sehr lange. Nicht nur übliche Änderungen und Entwicklungen. Ein Beispiel: Wir haben zwei Stunden hier in Wien für die Baubewillung gebraucht, und in St. Petersburg für denselben Prozess ein Jahr. Das ist genau der Unterschied.
Dominique Perrault

1953 geboren in Clermont Ferrand, lebt und arbeitet in Paris
Studium der Architektur an der Ecole Supérieure des Beaux-Arts in Paris (Diplom 1978) und der Stadtplanung an der Ecole Supérieure des Ponts et Chaussées (Diplom 1979). 1980 Postgraduate Studium der Geschichte an der Ecole des Hautes Etudes en Sciences Sociales.
Seit 1981 eigenes Büro in Paris, weitere Büros in Berlin, Luxemburg, Barcelona und Baltimore/USA.
Zahlreiche Wettbewerbsgewinne, darunter 1989 für die französische Nationalbibliothek in Paris, 1991 für die Sporteinrichtung für die Bewerbung Berlins für Olympischen Spiele, 1997 Radsporthalle, 1999 Schwimmsporthalle. 2002 Fertigstellung der Erweiterung des Rathauses Innsbruck mit Büros und Einkaufspassage und das Montigalà Stadion in Barcelona, die Erweiterung des Gerichtshofs der EU in Luxemburg (Fertigstellung 2007).
Lehraufträge u. a. an der ETH Zürich
Preise: 1993 Grand prix national d’architecture, 1996 Europäischer Preis für Industriearchitektur, 1997 Mies van der Rohe Pavilion Award für europäische Architektur, 2001 World Architecture Award, Hong Kong

erschienen in Architektur & Bauforum Nr.19/04
Website Dominique Perrault -