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Kommentar von Antje Mayer

Auferstehung des Abendlandes

Als Österreichliebhaber kennen Sie sicher Friedrich Torbergs Buch „Die Tante Jolesch“? In dieser amüsanten wie wehmütigen Anektodensammlung beschwört der Kaffeehausliterat den Untergang des Abendlandes. Torbergs These: die liebenswerten wie schrulligen Käuze und Originale sterben langsam aus. Und ich sage Ihnen, Herr Torberg, Sie tun es nicht! Ich weiß, Sie meinten nicht die Berufskasperle, „die Personen“ wie es Dieter Bohlen oder Veronika Feldbusch sind, sondern die „Typen“, denen wir im Treppenhaus, beim Kreisler oder auf einem Ball in Wien begegnen.
Apropos: Lebten Sie noch und hätten Sie uns Ende Jänner zum Dinner Dansant „Belle Epoque“ ins Leopoldmuseum in Wien begleitet, Sie hätten ihre Ansicht sicherlich revidiert. Zu dem gaben sich das Sammlerehepaar Rudolf Leopold und seine „Leopoldine“ höchstpersönlich die Ehre einzuladen. Anlass: die zu Ende gegangene und mit 350.000 Besuchern überaus erfolgreiche Ausstellung „Toulouse-Lautrec“.
Dafür tanzten sie alle an in Frack, Smoking und Kostümen der „Belle Epoque“, all die Typen, derer die Wiener Gesellschaft immer noch reich ist. Mein Begleiter Herr S. hatte sich zu diesem Behufe sogar extra einen Zylinder und einen Orden ausgeliehen, ich Satinhandschuhe, was wir dann beide zugegeben in der Hektik des wohnzimmerlichen Last-minute-Walzerübens zuhause liegen lassen hatten. Aber man mochte sich ohnehin an diesem Abend noch so bemühen, den Anschein eines glamourösen Highsociety-Events zu wahren, es war kein Abend der Personen, der Personalities, wie es im kleinen Seitenblicke-Österreich sowieso selten bis nie gelingt, sondern der Typen.
Die graumelierten Herren, die Doktoren, Kommerzialräte, Anwälte und Botschafter, konversierten formvollendet beim Gala-Diner in -mit echten (!) Orden behängten- Fracks. Herr S. dankte seiner Vergesslichkeit! Die Herren Künstler und Kunstprofessoren gaben sich standesgemäß bunt bis kreativ mürrisch. Am Roulettetisch wollte allein Pressekartenbesitzer Herr S. sein Geld verlieren. Die Eintrittsbillets hatten immerhin regulär über 250 Euro pro Person, äh Typ, gekostet.
Auf dem hochtoupierten Haar der fast durchwegs betagten, jedoch umso mädchenhaft quietschenden Frau Doktor, Frau Kommerzialrat, Frau Anwalt und Frau Botschafter, wippte der Federschmuck und das kitzbühl-gebräunte Dekolletee ward keck in schon mal besser sitzendes Balltuch gezwängt. Resumée: Welche Epoque „belle“ war, ließ man sich an diesem Abend frei. Der Stil reichte von „Brave Heart“ bis „Opernball Mitte der Achtziger“, aber keinesfalls darüber hinaus.
Im Vorraum verglichen Herr S. und ich säuerlich lächelnd unsere Tombolagewinne: rosa Mannerschnitten-Handtücher, Tassen aus dem Museumsshop und Broschen Marke „Swarovski Paradise“. „Die züchtige Cancan-Einlage mutet mehr an wie der Sterbende Schwan“, zischte Herr S. mir ins Ohr, während er breit in die Seitenblicke-Kamera grinste. Wir konnten den ganzen Abend übrigens beruhigt auf unseren Leib- und Magentanz „galanter Foxtrott“ setzen. Die Band dudelte Musik aller schönen Epochen angepasst der Kondition des Publikums.
Aber wer nun meinen sollte, es wäre nicht unterhaltsam gewesen, der irrt. Herr S. und ich amüsierten uns an diesem Abend prächtig. Auf dem Nachhauseweg begossen wir in einer Bar Torbergs „Tante Jolesch“ und die Auferstehung des Abendlandes. Und die Tombolagewinne, die haben wir im Taxi vergessen.



erschienen in Kunstzeitung Nr.91/März 04,S.27