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Kommentar von Antje Mayer

Verjüngungskur

Matthew Barney in der Wiener Oper

„Wiar brauchan kan' Neuan, hom eh an“, mokiert sich eine, mit Gold behängte Dame in der Pause am Buffet der Wiener Oper. Angewidert kickt sie einen Fusel von ihrem Chanel-kostüm-Imitat. Objekt ihres Ekels: der neu gestaltete Eiserne Vorhang des amerikanischen Künstlers und documenta XI Teilnehmer Matthew Barney (Jahrgang 1967), der durch den Film- und Ausstellungszyklus "Cremaster" international bekannt wurde. "Die Oper", erklärt Barney, "ist ein Modell, dem ich mich näher fühle als dem Film." Jüngster Beweis: Sein "Cremaster 5" ist ein lyrisches Singstück vor dem Hintergrund der Budapester Staatsoper. Künstlerisch nur mehr ein kleiner Schritt zur Wiener Oper also, für die der Meister den bisher gewagtesten Eisernen Vorhang, mit zwei Satyrnen in Embryohaltung auf Babyrosa, die mit ihren Schwänzen (oder sind es ihre Penisse?) und einer Art Riesen-lupe spielen. In der Mitte prangt ein Felsen-Gebilde, das verdächtig an eine Vulva erinnert. „Na, schockiert samma net. Des kenn’ ma aus'm Fernsehn“, räumt der Gemahl der kritischen Dame betont nonchalant alle Zweifel aus.

Eine ungewohnte Verjüngungskur, der "Neue" für die inzwischen reichlich abgetakelte Grande Dame, die Wiener Oper. Zuletzt in den Fünfziger Jahren wurde sie gründlich geliftet. Offensichtlich haben auch die zwei Nörgler, wie die Mehrzahl der heute Anwesenden, neben japanischen Touristen vor allem Abonnenten-Publikum, in der "wilden" Nierentisch-Ära ihre besten Jahre erlebt. Immerhin: Dieses Klientel sorgt täglich für ein fast ausverkauftes Haus. Welche Oper kann das schon von sich behaupten?

Modernisierer, wie Opernchef Ioan Holender, wollen indes mehr junge Leute in den Rängen, freilich die Lebensver-versicherung für das renommierte Haus. Barney's Kunst soll sie locken. Derweil: im Duett mit der konservativen Presse jammern die Opernfans nun schon seit über zwei Jahren gebetsmühlenartig dem „originalen“, wegen seiner künst-lerischen Qualität umstrittenen, Eisernen Vorhang von Rudolf Eisenmenger aus dem Jahre 1955 nach.

Grund für das "Gestern-war-alles-besser"-Geheule: 1998 wagten sich die Kunstvermittler von „museum in progress“, mit finanzieller Unterstützung durch die Trägergemein-schaft „artpool“, in die Höhle der Löwin und setzte durch, daß zeitgenössische Künstler (bisher Kara Walker und die Geschwister Hohenbüchler) jeweils eine Spielsaison lang, vor den alten Eisernen Vorhang, einen neu gestalteten hängen dürften. Mit Einschränkung: in den drei Sommermonaten müsse die moderne Kunst der Sommertouristen zuliebe abgehängt werden. Dann solle Tante Oper optisch einwandfreies Johann Strauß und Opernball-Flair verbreiten. "Aba eigentlich is ma der Vorhang wuarscht", raunzt die Chanel-Dame zum Abschied. "wichtig is nur de Klassik."



erschienen in Kunstzeitung Nr.55/März 01,S.23