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Kommentar von Eva-Christina Sommeregger

LONDON, BARTLETT SCHOOL OF ARCHITECTURE

Eva-Christina Sommeregger aus London, UK

PRACTISE YOUR THEORY AND THEORISE YOUR PRACTICE

Eva-Christina Sommeregger aus London, UK


Don, würd’ ich sagen, ist eine der wichtigsten Institutionen an der Bartlett. Er ist der Portier und kennt jeden Studenten vom Sehen.
Ich werde also täglich mit den Worten „Guten Morgen“, „gut geschlafen“ oder „mein Liebling“ begrüßt – auf Deutsch. Don spricht Floskeln in ich weiß nicht wie viele Sprachen – und mir passiert es schon mal, dass ich frühmorgens und verschlafenerweise Englisch von Deutsch nicht unterscheiden kann und beginne, Don gegenüber mit einer Geschichte auszuholen – bis zu dem Moment, und der trifft einen wie ein Blitz, wo ich realisiere, dass ich eigentlich gerade in der falschen Sprache rede.
Don ist eine Hürde für jeden, der nicht an der Bartlett studiert. Ohne Ausweis oder Termin kommt man nicht rein. Das heißt für alle, die sich die Uni unterm Jahr anschauen wollen, entweder vorher einen Termin mit einem Professor oder Assistenten ausmachen – oder man hat das Glück, einen dortigen Studenten zu kennen, dann kommt man natürlich auch problemlos an Don vorbei.
Das Herzstück der Bartlett ist die Summer Show, meist um Mitte Juni. Sehenswert. Das gesamte Jahr wird auf dieses Ereignis hingearbeitet, ausgewählte Projekte werden hier präsentiert. Die Ausstellung hat große Öffentlichkeitswirksamkeit in der Architekturwelt, hier werden (von mehr oder weniger namhaften Büros) Studenten abgeworben. Mehr von der Schule sehen kann man auch im Bartlett Book of Ideas.
Das Äquivalent zu unserem Architekturstudium ist hier in fünf (schulisch organisierten) Jahren zu absolvieren nicht so leicht ersichtlich von außerhalb, da eine Menge an anderen Studienmöglichkeiten ebenfalls angeboten werden. Diese fünf Jahre gliedern sich in einen ersten Abschnitt (Degree, drei Jahre) und einen zweiten Abschnitt (Diploma, zwei Jahre). Und es ist gar nicht ungewöhnlich, die zwei Abschnitte an völlig anderen Unis zu absolvieren.
Vorgesehen ist, eine Pause zwischen den zwei Abschnitten einzulegen und arbeiten zu gehen. Was die meisten hier auch tun. Unter anderem, um sich das Studium zu finanzieren. Die Studiengebühren für das Diplomstudium sind etwa das Doppelte der österreichischen, hinzu kommen aber die hohen Lebensunterhaltskosten Londons. Ein erheblicher Anteil der Studenten hier hat einen Kredit aufgenommen – für uns fast undenkbar, hier ganz und gar nicht ungewöhnlich.
Studieren tut man hier auf sehr persönlichem Niveau – in Units, Kleingruppen, meist um die 15 Leute mit zwei Assistenten oder Professoren. Die Zielsetzungen der Units könnten unterschiedlicher nicht sein – vielleicht zu vergleichen mit den verschiedenen Instituten an der TU Wien. Generell kann man aber sagen, dass der Zugang zur Materie an der Bartlett ein sehr konzeptueller ist, situationistisch und Archigram-beeinflusst, mit weitem Horizont, sehr ästhetisch und eher output-orientiert – Eifer, Hingabe und Herzblut spürt man durch, wenn man sich die einschlägigen Darstellungen ansieht. Wobei man sich darüber im Klaren sein muss, dass hier, genauso wie anderswo auch, ein Fokus auf bestimmte Dinge gerichtet wird, während andere Bereiche völlig ausgeblendet werden.
Das akademische Jahr selbst ist in Trimester gegliedert, das heißt für einen u. U. Angestrebten Austausch wäre es geschickt, ein ganzes Jahr hier zu studieren – wenn nicht gleich einen ganzen Abschnitt. Allerdings kann ich diesbezüglich nicht wirklich Auskunft geben, da ich hier was anderes mache, ein zwölfmonatiges Postgraduate- Studium. Postgraduate in unserem Sinne, hier bezeichnet man meist auch das 4. und 5. Jahr als Postgraduate. Das, was ich hier mache, richtet sich vor allem an internationale Interessenten, die ein bereits abgeschlossenes Studium haben und sich einer profunden, u. a. theoretischen Auseinandersetzung mit einem selbst gewählten Thema widmen wollen. Etwa wie eine zweite Diplomarbeit. Generiert wird ein Projekt, Medium variabel. Motto: practise your theory and theorise your practice.
Und man kann hier mit jeglicher Unterstützung rechnen. 27 Leute sind wir heuer, jeweils einem von fünf Assistenten zugeteilt – das bedeutet Kleingruppen mit um die fünf Leute, sehr interessant. Und wir sind von überall – mit erheblichem Anteil von außerhalb der EU, u. a. weil die Studiengebühren dreimal höher sind. Schulpolitik. Die Einrichtung muss sich ja irgendwie finanzieren.
Und die Möglichkeiten hier sind beinahe unerschöpflich. Die Werkstatt im Kellergeschoß ist ständig betreut (zu den Öffnungszeiten) und wirklich gut ausgestattet – für sowohl Metall- als auch Holz- und Kunststoffbearbeitung. Und bei Fragen stehen Betreuer zur Seite, von konzeptueller Herangehensweise bis zur Ausführung selbst. Lasercutter, Dunkelkammer, Green Box, Videokameraverleih, Videoschnitt-Studio, Elektronik-Bastel-Gruppe gibt’s ebenfalls. Und einen Computerraum mit 30 G5.

Ach ja, und London.

Die Stadt selbst ist die sprichwörtliche Segregation. Der nette Westen, der hippe, abgefuckte Osten, poshe Gebiete südlich vom Hyde Park, weite Bereiche an Vorstädten mit Reihenhäusern soweit das Auge reicht usw. Und selbst im Erscheinungsbild der Passanten zeigt sich die Zugehörigkeit. Man stellt dar, wozu man gehören will, viel stärker als bei uns. Und man sucht sich das Gebiet, wo man wohnt, sehr gezielt aus. Prioritäten verschieben sich.
Die Stadt ist einfach eine Dimension größer. Voller Möglichkeiten. Und voller Leute, die hierher kommen, um diese auszuschöpfen. Ein Nebenaspekt: die Größe lässt die Stadt aus allen Nähten platzen, macht sie ineffizient – vor allem bezüglich des Verkehrs. Und ewige Schlangen im Supermarkt. Das bedeutet, dass man sehr viel Zeit (wartend, unterwegs) mit sich selbst verbringt. Andererseits lässt es einen sehr fokussiert werden: man muss sich genau überlegen, was man in einen Tag reinpacken möchte – sonst geht sich nichts aus. Und man kommt zu nichts.
London ist eine Stadt voller Teenager. Anschluss zu finden ist einfach. Die Leute sind sehr offen, interessiert – ich habe bisher unglaublich viele herzliche, interessante und unterschiedliche Menschen kennen gelernt. Das ist natürlich einfacher im Unikontext als in der Arbeitswelt, aber, denk ich, generell nicht schwierig.

So wie viele sehe ich meine Zeit hier auf Zeit – und genieße es.



Kontakt: Eva-Christina Sommeregger - Link: Eva-Christina Sommeregger auf Youtube.com - Link:The Bartlett, London, UK -