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Kommentar von Antje Mayer

Die Wien Wellness

„Wien darf nicht Chicago werden!“ Damit hatte 1996 der –seit der letzten Nationalratswahl erwartungsgemäß unerwartet erfolgreiche- Rechtspopulist Jörg Haider (BZÖ) in der ganzen Stadt auf Plakaten geworben. Die Künstler und Intellektuellen schrieen auf und die ganze Welt empörte sich. Und die Entsetzten taten dann die folgenden Jahre alles dafür, dass Wien Chicago wird, oder Amsterdam, oder Berlin oder London, aber nur nicht das, was es werden könnte: Wien.
„Wir haben zu wenig Wiederholungstäter“, meinte kürzlich Norbert Kettner, Direktor des Wien Tourismus. Zu wenig Touristen kämen ein zweites Mal nach Wien. Liegt es daran, dass sich die Metropole zu wenig verändert? Daran, dass sie kulturell nichts bietet, was andere Städte nicht auch verkaufen: Museen, Lokale, Galerien, Konzerte, Designhotels, Architektur, Mode? Es darf befürchtet werden. Aber was hat Wien, was andere nicht haben? Vielleicht gerade das, was die zwei Millionen Weltstädter an ihr so oft verteufeln: ihre Kleinheit und Langsamkeit.
Brigitte Mager, Professorin für Service Design an der Köln International School of Design, wagte, quer zu denken. Sie fragte in einer Zukunftsstudie, wie man jemanden, etwa einen wohlhabenden Single über vierzig, der auf dieser Welt alles schon sah und bereiste, im Jahre 2015 in die Donaukapitale locken könnte. Sie schlug eine Mischung aus Wellness- und Städteurlaub vor, familiärer Service in einem voll technisierten Hotel, garniert vom guten österreichisches Bio-Essen, der reinen Stadtluft, dem ungechlortem Leitungswasser, dem üppigen Grün, dem gemäßigten, leicht zu Fuß erreichbaren, internationalen Kulturangebot und vor allem einem: der Begegnung mit anderen Singles.
Auch Stephen Hodes, Amsterdamer Kreativwirtschaft- und Städteforscher, findet, dass Wiens großes Plus die Möglichkeit von persönlichen, nicht virtuellen, Face-to-face-Netzwerken sei, nicht zuletzt durch die vielen Kaffeehäuser, die wie öffentliche Wohnzimmer funktionierten. Da Künstler die Trüffelschweine der Gesellschaft sind, lassen die sich wohl auch so gern in der österreichischen Metropole nieder, denn man kann gut arbeiten dort, um woanders zu reüssieren. Man denke an die Künstler Gelitin, Elke Krystufek, Franz West, die Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek, das Modelabel Wendy & Jim, die Operndiva Anna Netrebko, um nur ein paar zu nennen. Und man kann – ganz altmodisch- dort Menschen noch persönlich treffen. Die, die man braucht, um in London, Amsterdam, Berlin und Chicago dann weiterzukommen.
Das wissen auch die vielen Emigranten aus Osteuropa, unzählige Kunststudenten, Kreative, Künstler, Lebenskünstler, die die Stadt als Sprungbrett nutzen. Von ihnen ist Wien voll, aber hat das selbst noch nicht begriffen, ging wohl alles zu schnell, es sind ja erst zwanzig Jahre seit dem Fall des Eisernen Vorhangs vergangen. Auch ist sich die ehemalige K.u.K.- Hauptstadt kaum darüber im Klaren, in welcher kulturell spannenden Region, umringt von Prag, Bratislava, Budapest, Zagreb und Ljubljana, sie gerade die Zukunft verschläft.
Vision 2015? Performance schauen wir in Ljubljana, in Zagreb kleiden wir uns ein, Rockkonzerte hören wir in Budapest, in Prag sumpfen wir bis in den frühen Morgenstunden und in Wien? Da ruhen wir uns dann alle aus und reden darüber.



Dieser Text ist erschienen in der Kunstzeitung Nr. 10/2008
Kunstzeitung - wien at. - Artikel zu Wiener Tourismus-Konferenz 2008 - Pdf. Wiener Tourismus Konferenz 2008 -