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Kommentar von Antje Mayer

Rosen im Arsch

"Während wir in Deutschland 1968 auf die Straße gegangen sind und den Staat verändern wollten", formulierte es einmal ein Achtundsechziger treffend, "haben die in Österreich auf den Tisch geschissen." Am folgenreichsten und prominentesten bei einer legendären Aktion Anfang Juni 1968 an der Wiener Universität: Gefährten der österreichischen Künstler Günter Brus und Otto Mühl fabrizierten damals aus einem "Sit-in" zum angekündigten Diskussionsthema "Kunst und Revolution" ein engagiertes "Shit-in". Die Folgen waren vielfältig. In weiterer Folge sah sich Günter Brus gezwungen, nach seiner Verurteilung zu den politischen Genossen nach Berlin zu fliehen.

Aktionismus auf Wiener Art. Mit theoriebeladenen Politstatements à la Rudi Dutschke hatten die Österreicher nicht (nie?) besonders viel am Hut. Der Wiener Aktionismus stellte ein Experiment, ein künstlerisches Gesamtkunstwerk, dar, ein einmaliges und unvergleichlich intensives in der Kunstgeschichte fürwahr.

Während sich die Protagonisten von einst, größtenteils noch aktiv "im Saft stehend", gerade noch selbst mitten in ihrer persönlichen Vergangenheitsaufarbeitung befinden, mutieren Versatzstücke ihrer Biographie bereits zur archivierten Geschichte. Wie auch das Plakat, das seinerzeit zur folgeschweren "Sit in"-Aktion aufrief und im Mai eröffneten "Museum des Wiener Aktionismus" zu sehen ist. Nicht in Wien steht das Kunsthaus, das dieser jüngsten Epoche österreichischer Kunstgeschichte gewidmet ist, sondern auf dem berühmten Kommuneareal von Otto Mühl, dem sogenannten Friedrichshof, einsam gelegen in der kargen Weite des Burgenlands, eine gute Autostunde von Wien entfernt. (April bis September geöffnet und jederzeit auf Anfrage unter 0043/676/749 76 82). In der Hauptstadt, so wird hinter vorgehaltener Hand geraunt, wäre eine solche Institution unter der derzeitigen blau-schwarzen Regierung undenkbar.

Kaum zu glauben, aber das gute Paar Dutzend großformatiger Mühl-Bilder mit allerlei abstrakten Farb-Ferkeleien, die Günter Brus-Grafiken, die Schüttbilder von Hermann Nitsch, die wunderbaren Schwarz-Weiß-Fotodokumentationen, die den jungen Otto Mühl (im Anzug und Krawatte!) beim Einbetonieren einer Rose in einem Frauenhinterteil zeigen, würden in der Weltstadt Wien bei manchen noch heute für einen moralisch-ästhetischen Herzkasperl sorgen.
Jetzt steht es eben entlegen auf dem einstigen Kommunegelände, obwohl die große Zeit des Wiener Aktionismus schon längst vorbei war, als Otto Mühl mit seiner Wiener Kommune Anfang der Siebziger nach einem Jahrzehnt aktionistischer Verausgabung in Wien, das 20 Hektar große Grundstück am Land in Beschlag nahmen. In Hochzeiten erprobten dort bis zu 600 Kommunarden freie Sexualität und gemeinschaftliche Besitzverhältnisse.

"Otto Mühl gab uns Kunstunterricht", erinnert sich die ehemalige Kommunardin Amalia Rausch, Mitstreiterin von Anfang an und heutige Leiterin der Sammlung. "Wir hatten regelmäßig Aktzeichnen vor den täglichen Selbstdarstellungsabenden, wie wir es nannten. Aber von diesen Kommunebildern zeigen wir hier natürlich nichts, sondern nur einmalige, unveröffentlichte Kunst-, Film- und Fotodokumente aus den Jahren 1960-1970, darunter vor allem Materialbilder und Skulpturen von Mühl, die sich heute noch im Besitz der Friedrichshofgenossenschaft befinden."

Die hatte sich 1990 nach der entgültigen Auflösung der Kommune, der nervenaufreibende Grabenkämpfe vorausgegangen waren, konstituiert. Über all die Jahre hatte sich ein großer gemeinschaftlicher Besitz angehäuft, darunter nicht nur Immobilen, sondern auch zahlreiche Kunstdokumente, die zu Kommunezeiten der Foto- und Filmkünstler Theo Altenberg zusammengetragen hatte. Erst kürzlich, Otto Mühl saß bis Ende 1997 ja wegen sexuellen Mißbrauchs Minderjähriger sechseinhalb Jahre hinter Gittern, konnten die letzten ungeklärten Besitzverhältnisse mit dem 76jährigen Künstlerguru, der heute mit seiner Frau in Portugal lebt und unter der Parkinsonkrankheit leidet, endlich geklärt werden. Dem Museum, das ausschließlich mit finanziellen Mitteln der Genossenschaft realisiert wurde, stand nichts mehr im Wege.

Heute beherbergt das Territorium im übrigen ein Seminarhotel und eine Sozialinitiative psychisch Behinderter. Wer immer Lust hat, kann sich hier in ländlicher Idylle günstig eine Wohnung mieten oder ein Grundstück kaufen, wie es der Chefredakteur Gerfried Sperl von der österreichischen Tageszeitung "Der Standard" gemacht hat, Reitstunden nehmen oder einfach nur in das Gasthaus gehen. Dort begegnet man vielleicht zufällig Tigres, dem ältesten Sohn Otto Mühls, der mit einigen anderen Twenties hier draußen eine Alternative zum Stadtleben sucht. Geschichte ist eben doch irgendwie immer eine Wiederholung.



erschienen in Kunstzeitung Nr.64/Dez.01,S.7 und in Kunstjahr 2001