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Kommentar von Manuela Hötzl

Oben nicht ohne

Dachbodenausbau, Wien 4 - Architekten: Delugan_Meissl

Zwischen sauberen Plänen und schicken Räumen steht eines – die Baustelle. In dieser Phase sind nicht nur logistische Koordination, Management und technische Umsetzbarkeit gefragt, sondern auch die Wahl der richtigen Partner macht letztendlich die Qualität eines innovativen Baus aus. Ohne den Ergeiz von Fachleuten und dem Know How handwerklicher Fähigkeiten ist schon oft ein Wille auf dem Weg gescheitert. Architektur & Bauforum widmet sich in dieser Ausgabe einer etwas kleineren Bauaufgabe, die allerdings ein großes Thema für die städtische Architektur bedeutet: der Dachbodenausbau.

Nicht, dass man dem Architekt Kreativität absprechen möchte – aber auch in diesem Berufsstand gibt es solche und solche. Solche nämlich, die ihren Entwurf, kompromisslos, durchsetzen wollen, und solche, die sich dem Bauen als Prozess hingeben können und die das Ergebnis durchaus im Erarbeiten technischer Lösungen beeinflussen lassen. Die Baustelle ist einerseits der stets verdrängte Alltag des Architekten und andererseits doch ein Faszinosum. Nirgendwo sonst bekommt man den Raum, der erst im Entstehen ist, so wortreich beschrieben – nicht zuletzt, weil der Architekt gerne die Architektur für sich selbst sprechen lässt. Das Endprodukt ist idealerweise das Ergebnis aller ausgeschöpften Möglichkeiten und verbindet Umsetzbarkeit mit Angemessenheit. Gute Architektur entsteht eben auch auf der Baustelle.

Die lange Einleitung führt zu Delugan_Meissl und dem Dachbodenausbau im 4. Bezirk in Wien und hat einen Grund. D_M Architekten sind solche, und davon gibt es immer mehr, die den Bogen zwischen Dienstleistung, Raumvorstellung und Realisierbarkeit adäquat spannen können. Sie arbeiten teambezogen, um ein best mögliches Ergebnis zu erreichen. Zuletzt manifestierte sich diese Herangehensweise in ihrer Ausstellung „State of Flux“ in Meran, die ihrem Anspruch an räumlicher Inszenierung und Ortsbezogenheit erfüllt. Das Haus Ray1, Teil der Ausstellung, zeigt am eindrucksvollsten ihre zeitgenössische Vorstellung von Wohnen bzw. eine Entwurfsstrategie, die sich aus äußeren Bedingungen und dem Ort entwickelt und sich bis in die konkreten Details lesen lässt. Das Haus auf dem Dach ist aber auch, neben der skulpturalen Formfindung ein Beispiel, wie diese Art von Architektur umsetzbar und verwirklicht werden kann. – Man braucht Partner, die auf den Ebenen der Beamten, Statiker und Handwerker, den Weg mittragen und das teilweise mit Tricks und juristischen Spitzfindigkeiten. So wurde das Haus als Dachbodenausbau klassifiziert, da der Neubau die Giebel der beiden angrenzenden Häuser verbindet und die Dachlandschaft damit eigentlich vervollständigt. Der Zufall zog direkt vor dem Haus die Bezirksgrenze, was die Bewohner des gegenüberliegenden Hauses von ihrer Einspruchsmöglichkeit enthob. Mit dem Statikerbüro Werkraum Wien erarbeiteten die Architekten ein Stahlskelett, das über die gesamte Länge von ca. 25 Meter mit praktisch einer minimalen Stütze auskommt. Das Haus entwickelt sich aus der klassischen Form einer Box, die sich auflöst, öffnet und teilweise streckt. Außer den beiden Schlafzimmern sind die ca. 230 m² als Einraum ausgeführt. Die funktionelle und räumlich Trennung erfolgt über differenzierte Niveaus. Innen wie außen wird der Raum ablesbar und kommt mit wenigen Möbeln aus. Ein erhabener Bereich kragt aus der Kubatur aus und bildet formal eine verfremdete Gaupe, allerdings mit exakt geforderter Neigung. Innen überdeckt die „Gaupe“ eine Liegelandschaft mit Lederboden, die durch einen Schlitz mit tragendem Glas einen Weitblick ermöglicht. Nach hinten öffnet sich der Wohnraum durch eine Eckverglasung völlig auf die Terrasse, die etwas speziell exklusives bietet: Ein kleines Wasserbecken, mit Sitzstufen, bildet eine schwellenfreie Grenze zum Dachrand. Der Rest der Oberflächen wird mit silbergrauen Alucobondblech überzogen, dass je nach Sonneneinstrahlung leuchtet oder im Himmel verschwindet und die Kanten auflöst. Im Inneren sind in diesem Bauszustand die verschränkten Träger sichtbar, die die Öffnungen und den stützenfreien Raum ermöglichen. Anschlüsse und Details, werden ständig nachjustiert und von dem Statikbüro Werkraum Wien betreut.

Das Haus Ray1 präsentiert sich durch eine lange, geschlitzte Silhouette mit vor- und zurückspringenden Fassaden, verschiedenen Ebenen und Öffnungen. Fast als wäre es in einer Bewegung eingefroren, vermittelt der Bau eine zeitliche Komponente, eine innere Bewegung und einen Denkprozess, der weit über einen formalen Charakter oder einer ästhetisierten Technizität hinausgeht. Ein Schritt weitergedacht, wird der Ort neu interpretiert und in einer Inhomogenität ergänzt, die sich dennoch der städtischen Struktur unterwirft.



erschienen in Architektur&Bauforum Nr.04/02