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Kommentar von Manuela Hötzl

Verlorene Kinder - Beruf(ung) Architekt

Eine Studie, 2006 präsentiert im Wiener Museumsquartier unter dem Titel „Arbeitsplatz Kreativwirtschaft - zwischen Selbstverwirklichung und Selbstausbeutung“, widmet sich auch der Branche Architektur und bietet Zahlen, die erschrecken. Unter den Wiener Kammermitgliedern haben 40 Prozent der Büros einen Umsatz von 100.000 Euro, 17 Prozent liegen unter 35.000 und nur zwei Prozent können über 2,5 Millionen Euro erwirtschaften. Außerdem geht die Studie vom Jänner 2005 davon aus, und beruft sich auf die IG-Architektur, dass nur 50 Prozent der österreichischen Architekten über einen ausreichenden Umsatz verfügen, um sich die Mindestbeiträge zur Pflichtversicherung der Kammer leisten können. Obwohl diese schon gesenkt wurde. Sind Architekten trotz wachsender Bauwirtschaft in einer Krise? Oder sind wir „nur“ eine Generation der Verlierer?

Mercedes Bunz schreibt im Zitty, der Stadt- und Veranstaltungszeitung von Berlin, über das Überangebot der kreativer Branche: „In dieser Stadt sieht man uns überall. Wir bevölkern die Cafes mit unseren Laptops. Wir betreiben kleine Läden, in denen wir vorne junge Mode oder minimale Möbel ausstellen. Und wenn man spätabends an den erleuchteten Fenstern unserer Ladenlokal-Büros vorbeigeht, sieht man uns immer noch Design entwerfend hinter den Rechnern sitzen. Wir sind hip, hoch qualifiziert, diffus kreativ und arm. Urbane Penner eben.“
Eine neue Arbeiterklasse ist neu geboren, die gegen die Verarmung nicht einmal protestiert. Kulturproduktion wird kulturell subventioniert. In Berlin von Berlin selbst, den geringen Mieten, manchmal den Eltern und manchmal von sich selbst. Berlin ist, wie immer proklamiert wird „arm, aber sexy“. „Die Stadt schenkt einem Freiraum und ein Monatshaushaltsnettoeinkommen um 1200 Euro.“ Das ist Berlin.
Und wie sieht es hier in Wien aus? Wien, weniger sexy und weniger arm, ist ebenfalls keine teure europäische Stadt und die erwähnte Studie spricht ebenfalls von 1.300 Euro Nettoeinkommen für eine junge Architektin. Sind wir gar nicht so anders? Kulturell hoch entwickelt und wirtschaftlich im Kindergarten?
Österreich steht gut da: Bauboom – die Bauwirtschaft wächst leicht stärker als die Gesamtwirtschaft, und die wächst auch – die Nachfrage nach Architektur steigt und doch: Nicht alle sind gleichermaßen davon „betroffen“.
Die Situation führt unweigerlich zu einer Frage: Wie kommen die vielen Architekten zu vielen Aufträgen? Wettbewerbe!?
Die 50 Prozent der Architekten, die sich die Kammerbeiträge nicht leisten können, müssen sich anderswertig ihre Kohle beschaffen – oder in die Bürogründung mitbringen. Das ist auch traditionell nicht unüblich in der Branche. Viele von der vorherigen Generation haben lange auf Aufträge warten müssen und stehen dennoch manchmal vor Konkursverfahren. Ist Architektur an sich nicht wirtschaftlich? Oder können wir einfach nicht wirtschaftlich denken?
Architektur ist auf jeden Fall ein Risikogeschäft. Wenn Projekte fallen, dann ist das oft ein Jahresumsatz, oder sogar mehr. Ohne Namen zu nennen, fallen mir viele Büros ein, und ich spreche von bekannten, etablierten Büros, die immer wieder wenig oder gar keine Aufträge haben. Zu Unrecht. Und die, die man nicht kennt? Wie sollen diese sich etablieren, um wenigstens mit denselben Überlebensbedingungen mitmischen zu können. Wettbewerbe?!
Ok! Wettbewerbe! Das Allheilmittel, um an Aufträge heranzukommen, die Jahresumsätze bringen. Doch auch hier wird es schwieriger. Das Heilmittel krankt selbst.
Immer öfter werden Wettbewerbe mit vorgeschalteten Bewerbungskriterien abgewickelt. Diese, nicht geladenen, aber nicht-offenen Wettbewerbe, geben so zum Beispiel Umsatzzahlen vor, die nach obigen Zahlen schon von vornherein die meisten Büros ausschließt. Kleine Büros können sich nur mehr unter Zusammenschluss an solchen beteiligen. Die Wettbewerbslandschaft wird außerdem tendenziell enger und juridischer. Immer mehr Architekten berichten von Anforderungen und Wettbewerben, die nicht mehr Ideen oder Entwürfe reihen, sondern eher auf juristisch „wasserdichte“ Ausschreibungen setzen und nach wirtschaftlichen Merkmalen beurteilen.
Die Gefahr liegt auf der Hand, nicht nur weniger Architekten werden von vornherein zugelassen, sondern vorgeschaltete Ausschreibungs- und Vorprüfer sortieren nicht nach Qualität, sondern nach wirtschaftlichen Kriterien.
Die Jurys stehen am Ende der Kette und können nicht mehr viel ausrichten, wenn nicht mehr adäquate Projekte zur Abstimmung vorliegen. So wird Architektur an sich vereinheitlicht – und da liegt eine Krux. Denn es ist nicht so, dass sich Architekten nicht dagegen wehren, die armen Kulturproduzenten zu sein – oder erst zu werden. Doch man wehrt sich weniger inhaltlich. Dazu gibt es zuviel Arbeit, zu viel zu entwerfen …. Die IG-Architektur hat sich daraus begründet. Und arbeitet an bessern Arbeits- und Lebensbedingungen.
Aber es herrscht auch unbestreitbar Konkurrenzdruck auf dem Arbeits- und Auftragsmarkt. Ganze Gruppen müssen beschäftigt und ernährt werden und schnell ist man in Strudel der 60 Stunden Woche, die kaum Zeit zum Nachdenken und innehalten lässt. Denn der Druck wird weitergeben, trotz Zusammenschlüsse arbeitet man gegeneinander und drückt den Preis allein schon durch seine Existenz. Denn über 700 Absolventen drängen jährlich allein in Österreich aus den Unis zu den Schreibtischen. Ich-AG´s, die um Aufmerksamkeit, Aufträge, Öffentlichkeit, Projekte und Geld streben. Sind die Vorbilder Schuld daran. Die Studie meint: Ja. Der hohe Frauenanteil unter den Architekten zeigt sich nicht mehr an den selbständigen Büros. Frauen streben keine „Architektin“ an – und Männer haben die coolen Popstars vor sich, die sie eigentliche nicht mehr sein wollen, aber trotzdem sind. Architektur ist ja keine einfache Berufswahl, es ist ein Lebenskonzept, das viel vom Alltagsleben kostet. Auch die, die nicht selbstständig sein wollen, auch die, die eigentlich Auftragnehmer von Architekten sind, werden in dieselbe Lage gebracht. Nur dass sie noch weniger verdienen und noch länger darauf warten müssen. Und Auswege? Auswege sollten auf beiden Wegen existieren. Mehr Wirtschaftlichkeit und wieder mehr Kultur. Und vielleicht: weniger Wettbewerbe. Ein Architekt forderte gar eine „wettbewerbsfreie Zone“. Lieber direkt mit Bauherrn zu einem Ergebnis kommen, als still in seinem Kämmerchen Projekte für Schubladen zu entwickeln. Denn Ideen, die doch manchmal früher zu Diskussionen führten, verschwinden jetzt manchmal schon in der Vorprüfung. Lieber früher nachdenken, lieber Vergabe-Anwälte ruhen lassen und erst wieder Ideen entwickeln. Die prekäre Lage führt zu phantasieloser Dienstleistung, zu vorauseilenden Gehorsam für Bilbaos- oder auch Wohnbauten und Museen. Genauso ist es auch mit der Wirtschaftlichkeit bestellt. Architekten können sich, wie noch vor Jahren, nicht mehr leisten, die Baukosten zu überschreiten. Und das zu recht. Aber sie können Forschungsgelder einfordern, die andere Möglichkeiten bieten.
Doch wirtschaftlich zu denken, während man selbst ausgebeutet wird, ist sinnlos. Wenn schon in Wettbewerbsausschreibungen Nachlässe der Honorare festgeschrieben werden, ist diese Gratisarbeit oft doppelt grotesk. Österreich hat mit einem wichtigen Bauherrn einen großen Vorteil. Allein die öffentliche Hand gibt an die 200 Millionen Euro für Architekturleistungen jährlich aus. Wer hat schon „einen“ Ansprechpartner für Forderungen? In Österreich wird außerdem von Architekten, die Architekten sein wollen, verlangt die Ziviltechnikerprüfung zu machen. Warum? Um offiziell die Befugnis zu bekommen, ein Büro wirtschaftlich und ein Projekt organisatorisch abwickeln zu können. Dennoch werden Wettbewerbe eingeschränkt. Schon wieder grotesk. Wirtschaftlichkeit ist vielleicht zwar eine Denkart, aber keine Zwangsheirat.
Mercedes Bunz verlangt für Berlin „endlich höhere Mieten“, damit die „urbanen Penner wieder in die Gänge kommen“. Und fragt: „Warum wird also nicht demonstriert, randaliert oder zumindest lauthals gemotzt? Warum bleibt ein Generationskonflikt aus?“
Er bleibt hier in Wien aus, weil es wenig Alternativen gibt, weil jeder um sein Überleben kämpft. Und: es eigentlich wenigeren Architekten, viel besser gehen würde. Doch längst preist das Land seine Architekturkultur und will im In- und Ausland damit Prestige erlangen. Tut es auch. In diesem Sinne wurde sicher auch die Ausstellung "Sculptural Architecture in Austria" in China konzipiert. Eine Menge guter Architektur gibt es in Österreich: Das ist die Aussage. Nun müssen wir etwas damit machen. Zuerst im Land. Und dann kann man vielleicht auch davon leben. Louis Kahn wurde von einem Onkel, einem Rabbi, im Film „My Architect“ gefragt: „Eines verstehe ich nicht. Du bist Professor, baust weltweit und hast dennoch kein Geld.“ 1974 starb der berühmte Architekt mittellos auf der Toilette einer New Yorker U-Bahnstation. Sind das unsere Vorbilder?



Quelle/Studie:
www.forba.at/kreativbranchen-wien/bericht1.pd