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Kommentar von Antje Mayer

Schief

Wiener Secession

Die Secession ist ein kleines Ausstellungshaus und sie gehört zu den avanciertesten und angesehensten in Wien. Dazu das schöne Haus und Klimts Beethovenfries im Keller. Das lockt 100.000 Besucher im Jahr. Während eine „Konkurrenz“, die Kunsthalle, besonders in der Person des Kunsthallendirektors Gerald Matt, lieber mit Verve in die Lifestyle-ressorts der Hochglanzmagazine strebt, denn ins Feuilleton; sich Meister Matt keine eitle Peinlichkeit auslassend, „der Kunst wegen“, selbst zum Dandy und Popkurator stilisiert, gibt man sich in der Künstlervereinigung Secession derweil vornehm zurückhaltend. In letzter Zeit allerdings so vornehm und so zurückhaltend, daß man sich im vergangenen Jahr zuweilen wunderte, ob die traditionsreiche Institution es nicht mehr nötig hat oder es ihm nun entgültig das zarte Stimmchen gegenüber so viel „Kunst-Bodybuilding“ (Peter Sloterdijk) zerschlagen hatte.

„Es mag den Anschein gehabt haben, daß es ruhiger um das Haus geworden ist“, so Secessionspräsident Matthias Hermann, „Tatsache ist jedoch, daß wir kaum Werbebudget hatten, um in der Öffentlichkeit entsprechend präsent zu sein.“ So weit so gut, die Ausstellungen sprechen ja ohnehin für sich, mag sich manch einer denken. Wer die Secession allerdings kennt, weiß, die Schauen dort sprechen nie für sich. Die Politik des Hauses wiederum schon: „Wir stehen dazu“, so Präsident Hermann, „daß zeitgenössische Kunst schwierig und komplex ist. Wir stehen ausdrücklich zu unserem elitären Charakter. Wenn Gerald Matt in seinen Interviews erklärt, das Fachpublikum sei ihm, sinngemäß, egal, so kann ich dem nur entgegenhalten, daß wir gerade auch für das Fachpublikum produzieren.“

So elitär kamen dann auch die Texte daher, mit denen die Secession im letzten Jahr über ihre Goldkuppel hinaus in die weite, unerschöpflich große, große Fachwelt hineinkommunizierte. Die war angehalten, die rar kolportierten –sich selbstredend vornehm zurückhaltenden- Inhalte bitteschön selber zu enträtseln, die um solche linguale Gestelztheiten herumgebaut waren wie „topografische Erfahrungen“, „Interventionen in Räumen“ und „prozessualen Entstehungsbedingungen“. Da bleibt nur ein weiteres „Must“ hinzuzufügen: „Dechiffrieren“!

So stumm gestikulierte sie also vor sich hin, die Secession im vergangenen Jahr und die teilweise hervorragenden Ausstellungen (etwa „Christopher Wool“) sprachen allenfalls leise für sich. Und es wäre eben niemanden aufgefallen, wenn nicht die Serie „Das Experiment“ im Plafond nicht enden wollende neunmal stattgefunden hätte, mit der das ehrenwerte Haus –so wird hörbar durch Wien geraunt- so manchen wohlgesonnen Fachfreund zum kopfschüttelnden Kunsthallengeher werden ließ. Weder die jungen, unbekannteren KünstlerInnen hatten interessiert, da ja selbst die Bekannteren in Wien kaum jemand wirklich gut kennt. Das Thema, die Sichtbarmachung „prozessualer Entstehungsbedingungen“ (sic!), strahlten annähernd soviel frischen Sexappeal und Innovationswillen aus, wie es „Interventionen in Räumen“ derweil tun. Daß die Präsen-tationen zuweilen den Charme besserer Semesterarbeiten verströmten, ist wohl eher Propaganda, genauso wie die These, daß „Das Experiment“ zum Synonym für „Nicht-fertig-geworden“ mutiert war. Aber da sollte man noch einmal in der Fachliteratur nachblättern. „Bei einem Experiment“, so Matthias Hermann, „muß man nun einmal den Mut aufbringen, daß es schief gehen kann.“ Wie sagt der Volksmund? Angst kann Leben retten.



erschienen in Kunstzeitung Nr.67/März 02,S.6