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Kommentar von Antje Mayer

Was einem auf der documenta XI blüht

Die Künstlerliste der diesjährigen documenta XI versprüht reichlich globalen Geist, so scheint’s, politische Korrektheit allemal. In Kassel wird heuer jedenfalls keiner mehr vom „Quotenafrikaner“ sprechen können. Soviel Vorbildlichkeit indes kann auch ziemlich unbunt und unpolitisch geraten, wie die spröden Vortrags- und Diskussionsplattformen im Vorfeld gezeigt haben. Das hat sich auch der österreichische Künstler Robert Jelinek (Jahrgang 1971) gedacht und sich weitaus handfesterer, geschichtsträchtiger Polit-Kunst-Aktionen, wie der Pflanzung der „7.000 Eichen“ eines Joseph Beuys, besonnen.

Der Sabotage-Künstler plant in Kassel die Aussaat von 70.000 Cannabis-Samen während der ersten 14 Tage der großen Kunstschau vom 8. Juni bis 15. September. Er möchte damit auf die „eingefahrene Null-Toleranz-Politik und mediale Kriminalisierung des Cannabis“ aufmerksam machen. Zum großen Ärger der documenta-Macher, die sich angesichts soviel gärtnerischen Freigeistes gar nicht mehr so weltoffen geben wollten und mit dem Anwalt drohten. Erfolglos.

„Alles legal“, versichert Jelinek. „Das ist genehmigter ‚EU-Hanf’. Ob die Besucher sich daraus Socken stricken oder das Zeug rauchen, ist ihre Sache.“ Die diesjährige documenta dürfte sich für manche erfreulich heiter und relaxt gestalten. Damit die verruchten Pflänzchen Kassel auch so richtig schön überwuchern, werden in den ersten 14 Tagen 40 freiwillige Hobbygärtner diskret in Kassels Parkanlagen, Grünbeeten oder Verkehrsinseln rumbuddeln und zur gleichen Zeit die Passanten mit der Übergabe von ‚Samenspenden’ um Unterstützung beim Aufbau der floralen Sozial-Skulptur bitten.

Blühende Aussichten. Wenn der städtische Rasenmäher nicht vorher alles abgesäbelt hat, dürften nach schon drei Monaten auch Nichtkenner des verheißenden Krauts das Ergebnis nicht mehr übersehen können: Immerhin bis zu drei Meter werden die robusten Stengel nämlich hoch. „Vielleicht liegt man ja gerade, erschöpft vom documenta-Rummel, ‚günstig’ auf einer Wiese und dann pflückt man sich sein Portiönchen und entspannt sich“, freut sich Jelinek. Mit Sicherheit nicht beim Socken stricken oder Hanftäschchen häkeln. Kassel in Woodstock-Stimmung? Da dürfte sich, das ist sicher, so manch einer dran stoßen. Jelinek vertraut indes auf die Selbstverantwortlichkeit eines jeden. Er selbst, so beteuert er, sei im übrigen „Nichtraucher“ und wolle mit der Aktion mit dem „Subtilen“ koketieren und aber im Grunde einfach die Alltäglichkeit von Cannabis deutlich machen.

Daß die ganze Diskussion um die stigmatisierte „Einstiegsdroge“- nicht nur ein Thema einer Minderheit von Späthippies ist, beweist im übrigen ein Blick ins Internet. Auf aberhunderten Seiten und in tausenden Foren geht es da, besonders bei der Generation von 16 bis 25-Jährigen um das Gras. Es scheint für die jungen Leute dabei mehr als nur um dessen Konsum zu gehen. Durch sein Verbot und seiner historischen Besetztheit taugt es vermeintlich wieder zu einer Art Metapher für Freiheit, Widerstand, Toleranz und einer Lebensart, die sich gegen Gewalt und das knallharte Ellenbogen-, Tausch und Erfolgsprinzip des Kapitalismus stellt. Lieber Herr Enwezors, das ist doch in ihrem Sinne, also locker bleiben und Peace!



erschienen in Kunstzeitung Nr.70/Jun.02,S.29