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Kommentar von Manuela Hötzl

Dieser Herbst heißt Sommer

Graz mit Silvesterstimmung ins Kulturjahr 2003 – Ein Überblick

Der diesjährige Steirische Herbst unter dem statischen Titel „Fremdkörper“ eröffnete am 24. Oktober mit einer Rede von Wolf Prix. Ein wichtiges Ereignis für die Architektur in Österreich, könnte man meinen. Architektur und ArchitektInnen schreien in letzter Zeit nach Öffentlichkeit – und in gewisser Weise nach Anerkennung. Wie Architektur im Rahmen eines Kunstfestivals mit Anspruch auf Avantgarde an die Oberfläche kommt. Wie sie sich darstellt, wie sie sich selbst präsentiert und – welche Plattformen sie bekommt, entspricht so sehr einem Abbild unsere (architektonischen) Zeit, dass das Wort Utopie in diesem Zusammenhang die Zähne knirschen lässt. Der kritische Punkt an dieser Stelle, die Schnittmenge von Architektur und Kunst, ArchitektIn und KünstlerIn wird bei diesem Festival so deutlich wie selten in den letzten Jahren. Als Fremdkörper taucht sie zwischen Theater, Kunst und Literatur auf und meist wieder unter. Ihre Produktionsstätte ist im Grunde wo anders gelagert, sie hat eine andere Rolle einzunehmen und anderes zu hinterfragen – ihre Rolle?

Diese wurde am Tag nach der Eröffnung beim Symposium „space condition“ an der TU-Graz ausführlich diskutiert. Die ArchitektInnen Zaha Hadid, Greg Lynn, Hani Rashid (Asymptote) ... saßen mit TheoretikerInnen wie Aaron Betsky, Michael Speaks, Neil Leach oder Bart Lootsma zusammen oder wurden über Bildschirme miteinander optisch und akustisch verbunden. Weit über Formalität, Software und Methode gingen die Diskussionen nicht hinaus. Die politische Dimension fehlte ganz, städtebauliche Aspekte wurden bestenfalls gestreift und die Repräsentation von Architektur nicht hinterfragt. Es präsentierte sich eine große Sofware-Family, die mehr oder weniger glaubhaft versicherte „neues“ produzieren zu wollen. Virtuell oder Real – als Aaron Betksy eine weitere Diskussion mit: „Lasst uns über die Ergebnisse sprechen und nicht so sehr woher die Form kommt und wie sie generiert wird“ einleitete, führte er direkt in die vorbereitete Erlebniswelt– denn anschließend eröffnete ein weiteres architektonisches Ereignis mit weitaus den selben Teilnehmern: Die Ausstellung „Latente Utopien“, kuratiert von Zaha Hadid und Patrik Schuhmacher. (Auf die wir noch in unserem nächsten Newsletter ausführlich zu sprechen kommen) – kurz sei aber gesagt, dass mit dieser Ausstellung die Utopie zu Grabe getragen werden muss. So wie sich darstellt, wirkt sie wie eine Verabschiedung einst wichtiger formaler, technischer und grundsätzlich experimenteller Herangehensweisen. Und doch „retro“, eine Zusammenfassung der letzten 20 Jahre. „Latente Utopien“ und die Ausstellung haben ihre Berechtigung im Sinne eines letzten Aufbäumens und Sichtbarmachens. Erlebbar für jedermann – aber hoffentlich ohne Wiederholung. Es wird sie natürlich weiterhin geben, die digitalen Blasen und Blobs, sie werden auch gebaut werden und mit Nachwehen und Nachahmern zu kämpfen haben. Aber es ist so wie Günther Domenig am gestrandetem Schiff der Architekturtage bekannt gab:“ Bei meinem letzten Gebäude hatte ich keinen Widerstand mehr.“ Und man musste ihn fast bedauern.

Weniger aufbrausend, weil noch in Kisten versteckt, präsentierte sich die „4.Generation“ Grazer Architekten als „Frische Fische aus dem Architektenpool – 03“. Kuratiert von ARGE Loft wurden Gruppen eingeladen, die im erweiterten Sinn mit Graz in Verbindung stehen. Da die Ausstellung auf Wanderschaft gehen soll, war die Transportierbarkeit von Anfang an Bestandteil der Konzeption. In Graz wird sie zum eigentlichen Objekt der Darstellung. Die Hoffnung des Nachwuchses präsentiert sich in Pandoras Box, allerdings unterscheiden die sich sehr voneinander. Mit einem IKEA-ähnlichen Aufbauplan ergänzt, stehen die Boxen, Säcke und Holzkisten wie stumme Pakete unterm Weihnachtsbaum. In einem Jahr, wenn sie sich geöffnet haben und nach Graz zurückgekehrt sind, werden die Besucher den Inhalt mit dem Objekt der Verpackung vergleichen können. Ob sie auch frisch sind, darf man vermuten – der Ansatz ist es jedenfalls.

Ergänzend zum Programm der internationalen High-Society auch das Karaoke-Programm von Harald Saiko und Martin Krammer. In der Bar von 2003 durfte man dort einmal in die Rolle von Rem Koolhaas oder Peter Eisenman schlüpfen und ihre Worte in den Mund nehmen. Ein Spiel mit dem Architekten als Star, mit Nachahmung – und Selbstironie.
Diese fehlt in der Ausstellung „Latente Utopien“ ganz. Auch wenn viele der TheoretikerInnen sich in dem Katalog kritisch zur Utopie in der Architektur stellen. Die bunten, sich bewegenden oder amorphen Objekte der Ausstellung tun es nicht – im schlechtestem Falle bilden sie etwas ab und wollen es gar als Repräsentation des Kapitalismus realisiert wissen. Unterschiede existieren, auch wenn sie formal erst nicht sichtbar werden – diese sollte man suchen und erforschen. In seiner Rede proklamierte Wolf Prix: “Die Architektur wird sich auch in Zukunft nicht so rasant verändern, wie wir es alle gerne sehen wollen. Es ist vielmehr die gedachte Architektur – also die Methoden des Architekturdenkens, die sich verändern werden. So sind die kommenden digitalen Entwürfe dazu bestimmt, gestaltlos sehr schnell vergessen zu werden.“



erschienen in Architektur&Bauforum/02, Newsletter