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Kommentar von Heinrich Deisl

In Mel Gibsons Film „Die Passion Christi“ verkommt religiöse Leidenschaft zu plakativem Leiden

Der Film von Mel Gibson ist sehr harte Kost. Nicht so sehr wegen seiner Begierde nach „Authentizität“ und den Hektolitern Kunstblut, sondern wegen seiner vielen inhaltlichen Versäumnisse und den sich daraus ergebenden Missverständnissen. Es ist ein polarisierender Film, der nur die zwei Lager „Gut“ und „Böse“ kennt und mit rassischen Klischees spielt.
Dem „Spiegel“ war diese „best story ever told“ satte 15 Seiten für die Coverstory wert und das „Profil“ hatte das blutüberströmte und mit der Dornenkrone bewährte Konterfeit von Hauptdarsteller James Caviezel ebenfalls am Cover.
Der Inhalt kann als bekannt vorausgesetzt werden. Es scheint eine Geschichte zu sein, die den Nerv der Zeit trifft. Immerhin hat Gibsons Blutwerk in den USA den fünfterfolgreichsten Kinostart überhaupt hingelegt. Und das in Zeiten, in denen immer mehr Kirchenbänke frei bleiben. Die Zuschauer pilgern eben nicht mehr in die echte Kirche sondern in den örtlichen Lichterdom aka Megaplex, vielleicht noch schnell eine Tüte Popcorn geholt, das Kommunionsbrot ist für später, und auf geht’s zur größten Geschichte, die jemals geschrieben wurde: Die letzten zwölf Stunden im Leben von Jesus von Nazareth. Jesus wird gezeigt als einer, in dessen Fleisch sich sämtliche Sünden der Menschheit mit unsäglicher körperlicher Gewalt einschreiben. Dabei arbeitet Regisseur Gibson stilistisch mit einer Grobheit, die einen Rückfall in die Steinzeit der Filmkunst bedeutet. So, als wenn es die letzten 100 Jahre Filmgeschichte nie gegeben hätte.

Wenn Hollywood-Stars „auf Echt“ machen

Gibson will seinen Film als ein Dokument verstanden wissen, als etwas, das uns sagt, „so ist es gewesen“. Dabei stellt Gibsons Leidensgeschichte genauso eine persönliche Version dar wie jede andere. Nur diesmal mit dem Unterschied, dass es sich bei Mel Gibson um einen der höchstdotierten Schauspieler Hollywoods handelt. Seine 30 Millionen Vorschuss auf den Film aus eigener Tasche haben sich mittlerweile mehr als zehnfach amortisiert. „Die Passion Christi“ zählt zu den zehn kommerziell erfolgreichsten Filmen der Filmgeschichte.
Die Glaubwürdigkeit des Films steht und fällt mit Gibson, der die klassische Wandlung vom konsumiergeilen Saulus zum anständigen Paulus vollzogen hat: Früher war er ein durch die Apokalypse gestählter Held („Mad Max“), jetzt lässt er sich als Mitglied der ultrakonservativen Splittergruppe Holy Family die Messe in Latein vorlesen. Das Christentum fußt wie die anderen großen Weltreligionen auch auf Toleranz, Gleichheit und Verständnis. Vielleicht sollte Gibson sich die Bibel ja mal in der englischen Übersetzung vorlesen lassen, um auch zu verstehen, was er da hört.
Gibson versucht, mit den im Alten Testament dargelegten sozialen Normen das Neue Testament zu deuten und in die Jetztzeit zu transferieren. Uns mag da Manches barbarisch vorkommen, indes waren Kreuzigungen vor 2000 Jahren eine gängige Praxis für Schwerstverbrechen. Und schließlich war die Kreuzigung auch keine jüdische, sondern eine römische Foltermethode. Etwa nach dem Spartacus-Aufstand 70 v. Chr. wurden entlang der damaligen römischen Hauptverkehrsstraße, der Via Appia, 6000 gefangene Sklaven gekreuzigt.

Pecunia non olet – Geld stinkt nicht

Währenddessen ist der Merchandise zum Film voll angelaufen. Da gibt es Devotionalien in Form einer Kette mit „Passion Nails“ – und wenn das nicht schon genug der Pietätlosen Mammonabzocke wäre, hat man sich diesen Namen auch noch per Trademark schützen lassen. Das perfekte Spielzeug für den praktizierenden Sado-Maso-Heimwerker. Wem’s gefällt, kann da auch gleich die dazugehörige, mit den „Passion Nails“ verzierte Bibelaktentasche aus Echtleder erstehen, es gibt Gewinnspiele zum Film, Trinkbecher, T-Shirts, Poster, einen beim Unterhaltungsgiganten Sony erschienenen Soundtrack, einen Screensaver, E-Postcards und so weiter. Der „echte“ Jesus hätte diesem Treiben sicher den Garaus gemacht, so wie er es getan hatte mit den geschwätzigen Händlern bei der Tempelreinigung in Jerusalem.

Es startete mit einem Kuss...

Wissenschaftliche Forschungen haben sich in letzter Zeit viel mit der Rolle von Judas beschäftigt. Judas gilt bekanntlich als derjenige, der Christus an den Judenrat ausgeliefert hat. Seit rund 2000 Jahren herrscht daher ein gespanntes Verhältnis zwischen Christen und Juden mit einer Jahrhunderte langen gegenseitigen Verfolgung. Man hat herausgefunden, dass die 30 Silberlinge, die Judas für seinen angeblichen Verrat an Jesus bekommen hatte, in etwa dem Monatslohn eines Legionärs entsprachen. Wenn Judas wirklich so geldgierig war, wie er gerne in den konservativen Traditionen dargestellt wird, warum gab er sich dann mit einem derart geringen Blutgeld zufrieden? Warum sollte einer mit einem so prestigeträchtigen Namen wie Judas der Verräter sein? In der altjüdischen Zahlenlehre, der Kabbala, ergibt der Name Judas den Zahlenwert 30. Man kann davon ausgehen, dass es hierbei zu Übertragungs- und Übersetzungsfehlern gekommen sein könnte zwischen dem Namen und der Geldsumme.
Wahrscheinlicher ist, dass Judas nicht aus Gier sondern aus Enttäuschung verraten hatte, in dem Glauben, dass Jesus als eine Art Widerstandskämpfer sie auch von der drückenden Knechtschaft der Römer befreien würde. Der Film beginnt mit dem berühmt-berüchtigten Judas-Kuss und der Ergreifung durch die Häscher des Tempels. Nach der Tat fantasiert sich Judas ein paar Kinder herbei, die ihn verfolgen, so als ob sie seine personifizierten Zweifel wären. Schließlich nimmt er sich „einfach so“ das Leben.

Vergebene Chancen: Lieber Brutalo-Bilder als Dialog

In dieser wie in vielen anderen Schlüsselszenen (im Garten Getsemaneh, das Letzte Abendmahl, als Veronika ihm das Schweißtuch hinhält, als er mit Simon von Zyrene das Kreuz trägt,...) schafft es Regisseur Gibson überhaupt nicht, so etwas wie Nachdenken, Gedankenaustausch, Interesse an der Situation des anderen oder andere zwischenmenschliche Töne herauszuarbeiten. Es sind nur große, aufgerissene Augen zu sehen und qualvolles Stöhnen zu hören. Aus der Begegnung zwischen Christus und dem römischen Stadthalter Pontius Pilatus hätte man eine wirklich große Erzählung entwickeln können, besonders wenn man sich die historische Figur vergegenwärtigt: Pilatus wurde im Jahr 36 n.Chr. gar wieder nach Rom zurückberufen um sich vor dem Senatsrat wegen seiner antijüdischen Brutalität rechtfertigen. Eine derartige Konfrontation, das wäre was gewesen. Stattdessen verkommt die Szene zur völligen Farce. In weiterer Folge muss die gezeigte Brutalität dafür herhalten, die unter anderem bei dem Propheten Jeseija in recht krassen Bildern dargestellten Qualen des Körpers Jesus’ zu instrumentalisieren. Dafür gebührt Gibson eigentlich, dass man ihm das Drehbuch aus der Hand nehmen hätte müssen. Wer noch immer meint, „Natural Born Killers“ von Oliver Stone sei gewaltverherrlichend, der hat „Die Passion Christi“ noch nicht gesehen und über die martialischen und sublim faschistoide Körperverherrlichung mit all seinen Wunden sprechen wir später…
Gibson lässt eine gute Episode nach der anderen ungenützt verpuffen und suhlt sich lieber in Blut- und Beuschl-Images und plakativem Sadismus. Auf manchen Splatterfilmfan-Homapages wird der Film schon als sehenswert angepriesen. Kein Wunder bei den Folterszenen im Close-Up-Format.

Der „Superseller“ Jesus: Das geht auch besser

Gute Filme zum Thema sind etwa „Die letzte Versuchung Christi“ von Martin Scorsese, „Jésus de Montréal“ von Denys Arcand oder, ästhetisch anspruchsvoll, von Pier Paulo Pasolini „La Ricotta“ und „Il Vangelo secondo Matteo“, von Luis Bunuel „Viridiana“ und Franco Zeffirellis Episodenstreifen „Gesù di Nazareth“.
Der Film trägt vielleicht dazu bei, dass sich wieder mehr Leute mit der Bibel und mit dem Leben Jesu beschäftigen. Zu christlichen Werten verleitet er aber nicht, sogar im Gegenteil. Er wirft viele Fragen auf und gefällt sich anscheinend darin, diese nicht einmal ansatzweise zu beantworten. Das kommt sehr Oberlehrerhaft rüber, so nach dem Motto: Du musst das jetzt so glauben. Obwohl in „Die Passion Christi“ so viel Blut fließt, ist der Film blutleer.
Weil der Film so erfolgreich war, wird sicher bald schon aus einer Schublade in Hollywood das Drehbuch zu Teil II herausgeholt, der heißen könnte: „Jesus – Die Auferstehung“. Wir dürfen gespannt sein...