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Kommentar von Antje Mayer

Plädoyer für die Kunst des Musikvideos

„Das Musikvideo ist die logische Erfüllung in der Zusammenführung von Kunst und Technologie“, orakelte David Bowie bereits Mitte der Siebziger Jahre, „Ich verstehe es als künstlerische Bereichung. Ich sehe den Tag kommen, da an der Schnittstelle von Musik und Video ein völliger neuer Künstlertyp entsteht.“
Bowie sollte recht behalten, auch wenn sich bis heute das Gros der Kunstkritiker immer noch vehement dagegen stemmt, das Genre des gemeinen Musikvideos als eine Kunstform anzuerkennen: Zuviel Boulevard, zuviel Trash, zuviel Markt. Ob Avantgarde oder Massen-Popkultur, das ist hier die ewige Frage. Frank Zappa machte sich diesbezüglich keine allzu großen Illusionen: „We’re only in it for the money.“
Ja und?, kann man nur fragen. Verhält es sich bei einem Marktkünstler wie Damien Hirst soviel anders? Wird hier nicht Gleiches mit zweierlei Maß gemessen? Während „Konsumkreatives“ wie Industrie-, Grafik-, Mode- und Werbedesign in den vergangenen Jahren wie selbstverständlich Eingang in die Ausstellungshäuser gefunden haben, ist das Musikvideo zwar bereits seit Anfang der Achtziger Jahre Gegenstand etlicher popkultureller Auseinandersetzungen, aber als Kunstform kaum noch diskutiert. „Kulturzeit“ (auf 3Sat) etwa zeigt zwar zum Ende seiner Sendung stets ein Musikvideo, wählt jedoch, so scheint’s, den Beitrag meist aus rein musikalischen Aspekten aus, selten wegen seiner filmischen Qualitäten.
Dabei ging das Music Television, MTV, bereits vor über zwei Jahrzehnten, 1981, „on air“ und läutete damit eine neue Ära der Gattung Film ein. Wie aufregend war das doch damals als Michael Jackson im „Thriller“-Video (19XX) zum moonwalkenden Werwolf mutierte oder Madonna sich für damalige Verhältnisse verboten lasziv „like a virgin“ auf einer Gondoliere räkelte! Duran Duran wurden als die neuen Beatles gefeiert mehr wegen ihrer erfolgreichen Videos weniger wegen ihrer Musik. Filmregisseure wie Martin Scorcese, Jon Landis und Brian de Palma produzierten damals Musikvideos, die teurer waren als ihre Filme.
Auszug aus der damaligen Presseerklärung von MTV: „Diese Videos zeigen mehr als nur eine singende und spielende Band. Es sind vielmehr hoch stilisierte bildliche Interpretationen von Musik, hergestellt mit modernster Videotechnik. Und der in Stereo übertragende Sound bringt völlige neue Dimensionen in das gewohnte Fernseherleben.“ Das Publikum hatte diese neue Art des Sehens schnell angenommen, dass es im Grunde aus der Werbung schon kannte: leichter verdauliche, kurze Filmeinheiten, eher assoziative als narrative Abfolgen von Bildern und Geschichten, die eine andere Konzentration und sinnlichere Wahrnehmung verlangten. Alles Kritierien, die die Kunstbeurteiler als „oberflächlig“ abtaten. Früher, so ihr Tenor, konnte man sich zu einem Song noch selbst die Bilder und Geschichten dazu träumen, die nun das Musikvideo fix und fertig liefert.
Der Soziologe Ulrich Wenzel mag das in dem Buch „Viva MTV! Popmusik im Fernsehen“ (edition surkamp 2090) nicht gelten lassen: „Soll das einer verstehen! Musikvideos zu rezipieren bereitet offenbar Schwierigkeiten [...] Vorzugweise Abwesendes scheint man aus den Clips herauslesen zu können, etwa die Absenz von narrativer Einheit und Kontinuität, oder auch die Inkonsistenzen zwischen gesungenem Text, musikalischer Form und filmästhetischer Umsetzung. Selbst die Bilder werden zuweilen nicht als zusätzlicher, Komplexität erhöhender Stoff für die Rezeption, sondern als Verlust, als Abtötung der Phantasie beschrieben.“
Auch wenn man nun die alte Frage stellen könnte, wer zuerst da war, das Huhn oder das Ei, dürfte es als unbestritten gelten, dass die McVideo-Ästhetik inzwischen nicht nur andere Medienformate von der Nachrichtensendung bis zur Wochenzeitung, sondern auch die Literatur oder das Theater stark beeinflusst hat und freilich die zeitgenössische Videokunst: Man denke nur an den Rhythmus und die Ausstattung der filmischen Personality-Inszenierungen einer Mariko Mori oder einer Pipilotti Rist. Aber auch Regisseure kommerzieller Videos werden inzwischen als Künstler gehandelt.
Allen voran Chris Cunningham (William Gibson: „The guy’s a genius.“). Der hatte seine Absolution als Künstler spätestens seit der „Sensation“-Nachfolge-Ausstellung „Attraction“ in der Royal Academy erhalten, wo er jedoch freilich nicht mit einem Musikvideo, sondern einer Kunstvideo vertreten war. Cunnigham ist ein Meister der Specialeffects und des Abstrakt-Surrealen. Seine Arbeiten sind technisch unvergleichlich präzise und wegen ihres hohen künstlerischen Anspruchs teilweise besser als die Songs, wie manche seiner Fans behaupten. Berühmt geworden ist der Brite mit Videos für den exzentrischen Electronic-Guru Aphex Twin („Come to Daddy“) und Madonna („Frozen“). Als einer seiner Meisterwerke darf sicherlich der technisch aufwendige Clip zum Song „All is Full of Love“ von Björk gelten, in dem zwei Roboter Sex miteinander haben.
Für die isländische Sängerin, die bekanntlich höchsten Wert auf die filmische Umsetzung ihrer Songs legt, arbeiteten auch zwei weitere Musikvideokünstler: Allen voran mit ihrem „Hausregisseur“ Michel Gondry und Spike Jonze. Der Franzose Gondry produzierte seine Kurzfilme unter andern für White Stripes, Rolling Stones, Chemical Brothers oder Kylie Minogue. Sponze für Fatboy Slim, Beastie Boys oder Daft Punk. Nun hat Palm Pictures eine dreiteilige DVD-Edition herausgegeben, auf der Arbeiten, Musikvideos, Dokumentarfilme, Kurzfilme und Installation von Cunnigham, Gondry und Jonze zu bestaunen sind. Die beigelegten Kataloge mit Zeichnungen, Fotos und Skizzen zeigen, dass sich die Regisseure durchaus selbst als Künstler sehen. Zu Recht.



erschienen in Kunstzeitung Nr.91/März 04, S.24