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Kommentar von Antje Mayer

Stadt in Sicht

Kunst aus Bratislava im Wiener Künstlerhaus

Wo liegen zwei Hauptstädte so nah, nicht einmal eine Autostunde voneinander entfernt? Von Österreichs Metropole Wien nach Bratislava, dem slowakischen Regierungssitz, einst Pressburg genannt, fuhr anno dazumal sogar eine Straßenbahn. 2004 tritt die Slowakei zur EU, der Eiserne Vorhang ist nun seit 14 Jahren gefallen. Dennoch: in den Köpfen hängt er noch, liegt Bratislava jenseits dieser Welt.

Wie der Titel eines Abenteuerromans á la „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ mutet dann auch der Name der aktuellen Ausstellung in Wiener Künstlerhaus an. „Stadt in Sicht: Neue Kunst aus Bratislava“ (bis 27. Juli). Die Kuratorinnen Henny Liebhart-Ulm und Anna Souèek haben das Naheliegende realisiert und endlich eine Ausstellung mit aktueller, sehr junger Kunst aus der nächsten Nachbarschaft zusammengestellt. Die Ausstellungsarchitektur bastelten die jungen Wiener Architekten von, nomen ist omen, AllesWirdGut (gegründet 1997) zusammen.

Auch wenn es nach 14 Jahren etwas spät ist, einem neu eingezogenen Nachbarn stellt man eine Aufmerksamkeit als Willkommensgruss vor die Tür, somit haben sich auch die Wiener was Nettes ausgedacht: Das Café Bratislava, eine Leseecke, Videovorführung, DJ-Line und eine Livebildschaltung in die Slowakei. Sehr warm und unkonventionell ist somit die Stimmung im Künstlerhaus und erfrischend bodenständig. Nicht fünfmal gebrochen ist die Message, um die es geht, sondern deutlich und sinnlich kommuniziert: Dobry den, Bratislava. Du liegst nur knapp 50 Kilometer von Wien entfernt und Du lebst.

Die Qualität der Kunstwerke der insgesamt 18 Künstler- bzw. Künstlerkollektive wurde bei der Vernissage dementsprechend selten offen diskutiert. „Angepasst an den westlichen Kunstmarkt“ und „kalkuliert“ schimpften die einen, „geschicktes Aufgreifen von internationalen Ausdrucksformen“ und „unmittelbar und humorvoll“ lobten die anderen. Dazu muss man wissen, dass es in der Slowakei, anders als in Tschechien, nur einen sehr kleinen Kunstmarkt gibt. Gerade einmal eine Handvoll Galerien existieren dort für zeitgenössische Kunst. So drängt’s die slowakischen Künstler verständlicherweise gen Westen. Dennoch: Was im Künstlerhaus auf den ersten Blick formal bekannt vorkommt und sich als Wiederholung des obligatorischen Allerlei aus Malerei, Videoarbeiten, Rauminstallationen und Fotoarbeiten präsentiert, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als authentisch.

Da fällt die Videoarbeit „Lenin und das Mädchen“ von Magda Tóthóva (Jahrgang 1979) ins Auge, in dem diese, respektlos verliebt, eine Leninbüste abschmust, die lustig-tragischen Genrefotos aus dem slowakischen Land- und Alltagsleben von Martin Kollár (1971), die Kleider und Unterhosen von Gabíka Binderová (1975) mit der Stoffangabe „100 Prozent Women“ oder der sich drehende Videobeamer von Dušan Zahoranský (1972) als Persiflage auf eine interaktive Rauminstallation. Die Themen sind bekannt, auch die Slowaken sind globalisiert: Politik, Soziales, Kapitalismus und Medien, jedoch nicht durch sieben Metaebenen verbrämt. Zum Aufatmen klar. Von ein paar Namen, soviel ist sicher, wird man in Zukunft noch hören. Auf gute Nachbarschaft!



erschienen in Kunstzeitung Nr.82/Jun.03,S.34