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Kommentar von Antje Mayer

Länderreport Österreich

Ist Österreich nun (noch) die vielbeschworene Kulturnation oder nicht? Es ist jedenfalls statistisch nachweisbar, so weiß das Wochenendmagazin Profil, dass in Österreich mehr Leute ins Theater und ins Konzert gehen als auf den Fußballplatz. Deswegen kann man in diesem kleinen, gerade mal acht Millionen Einwohner zählendem, Ländle mit Kunst und Kultur ganz gut Politik machen. Erinnert sei an das Plakat der Wiener rechtspopulistischen FPÖ im Jahre 1995, das um die Welt ging: „Lieben Sie Scholten, Jelinek, Häupl Peymann ... oder Kunst und Kultur?“. Wer könnte sich solcherart Plakate in Frankreich oder in Deutschland vorstellen?

Mit Kunst und Kultur nur Politik zu machen, wäre eine andere Variante, sie auf Verteilung und Verwaltung zu reduzieren auch. Genau das, so der Vorwurf der Museumsdirektoren, Kulturinitiativen, Galeristen, Künstlern, Kunstkritikern, passiere derzeit in Österreich.
Die Kulturpolitik der schwarz-blauen Regierung, allen voran von Franz Morak (ÖVP), dem obersten Kunstbeauftragten der Regierung, beschränke sich, so die nunmehr fast täglichen Appelle und verzweifelten Hilferufe in den Medien, allein auf die Repräsentation, Erhaltung und Verwaltung des kulturellen Erbes. Die großen „Kulturtanker“ grüben den kleinen Fischen das Wasser ab. Die Wiener „Cultural Studies“ - Plattform Depot schnappt nach Luft, die Kunsthalle Tirol ist geschlossen, der Kunstraum Innsbruck droht mit dem Ende, die IG-Kultur bekommt seit Monaten keine Zusage für eine Subvention, das Künstlerhaus dümpelte zuletzt Monate lang mit einem Minibudget vor sich hin, für manche Initiativen, wie der Elektronikmusik-Plattform Spoiler wurde die finanzielle Unterstützung gänzlich gestrichen. Ein paar Beispielen von sehr vielen.

Während ein Teil der Kleinen seit dem Antritt der schwarz-blauen Regierung finanziell darbt, hat sich die vergangenen zwei Jahre im Etablierten enorm viel getan: Vor zwei Jahren ging der riesige Kunstanker Museumsquartier vom Stapel, das Karikaturmuseum in Krems startete, im Herbst ging es in St. Pölten mit dem Landesmuseum Niederösterreich los. Heuer feiert sich Graz als Kulturhauptstadt 2003, eröffnete die Wiener Albertina und in Linz das neue Lentos Museum, vielleicht folgt sogar heuer noch das Kunsthaus Graz, nächstes Jahr dann die Sammlung Liechtenstein in Wien.

Aber selbst die Großen jammern, denn es gibt viel Immobilien, indes kein Geld sie zu füllen. Die seit kurzem in die Vollrechtsfähigkeit Entlassenen, wozu auch die Kunstuniversitäten gehören, sollen nun wirtschaftlich denken. Das soll heißen, sie müssen selbst ihr Auskommen auf Basis reduzierter öffentlicher Gelder finden. Jedoch waren sie das nie gewohnt. Der über Jahre verwöhnte Peter Noever legte in seinem MAK 2001 aus Schock gleich ein paar Monate die Ausstellungstätigkeit nieder. Sogar „Kunstmanager“ Albrecht Schröder, Chef der neuen Albertina, hat über die fetten Subventionsjahre hinweg das Rechnen verlernt und musste nun wegen Geldmangel seine für Sommer geplante Schau „Von Raffael bis Goya“ absagen. Aber in oder von einem kleinen Land wie Österreich aus Sponsorengelder aufzutreiben, ist wahrlich nicht einfach.

„Cultural Industry“, Kulturpolitik nach dem amerikanischen Prinzip, Verzahnung von Kultur und Wirtschaft, auf diese Formel bringt Staatssekretär Morak sein dünnes Kulturprogramm. Andreas Mailath-Pokorny, der rote Wiener Kulturstadtrat ist resigniert: „Die restriktive Kulturpolitik des Bundes hat dem Wiener und Kultur- und Geistesleben großen Schaden zugefügt.“ Ein umfassendes, inhaltliches und vernetzendes Kulturprogramm hat auch er nicht anzubieten. Keine Zahlen, Daten, Fakten, sondern der Instinkt, Konkurrenzdenken und persönliche Seilschaften entscheiden nach wie vor in Wien und Österreich. Die Kulturdebatten werden, ein Landespezifikum, politisch, nicht inhaltlich geführt. Der Europarat rügte die Österreicher schon vor über zehn Jahren wegen ihrer mangelhaften Kulturpolitik, die nicht dem europäischen Standard entspreche.

Aber während die vergangenen eineinhalb Kunstjahre von Geldgenörgel, Spießigkeit oder Pseudoaktivitäten geprägt waren, hat sich eine neue Generation von Kunst- und Kulturschaffenden, die gerade mit dem Studium fertiggeworden ist, ein Herz gepackt und angepackt. „Es gibt eine irrsinnig selbstbewusste, gute, neue Generation von Künstlern in Österreich, so Elisabeth Priedl von der vor zwei Jahren eröffneten Design- und Kunstgalerie Engelhorn20. „Die schaffen sich ihre Nischen selbst, stellen in aufgelassenen Lokalen aus oder in ihren Privatwohnungen.“ Neue Orte in Wien sind neben der Galerie Engelhorn20 gegenüber des MAK, das Vienna International Apartment in der Linken Wienzeile, die Galerie Michael Hall in der Franzensgasse oder der im Jahre 2000 gegründete „offspace“ in der Gärtnergasse. „Eine neue Generation rückt jetzt nach und lässt sich von den Vorgängern nicht beeindrucken“, ist auch der Künstler Alexander Wolff (Jahrgang 1976) selbstbewusst, der erst kürzlich eine Personal-Ausstellung in der „jungen“ Galerie Mezzanin zeigte. Neue wie Juli Monaco (Galerie Engelhorn), Patricia Chen (Galerie Krinzinger), Marco Lulic (Gabriele Senn) oder Anna Jermolaeva (Galerie Mezzanin) kommen nun nach.

Lulic, der teilweise in Kroatin aufwuchs, und Jermolaeva, die aus Petersburg stammt, stehen jedoch für noch einen anderen neuen Trend in Österreich, nämlich die Zuwanderung von Künstler aus Osteuropa. Die „Artist in Residence“- Programme der Ost-West-Plattform Kulturkontakt beispielsweise; reichlich Sponsorenmittel (etwa von der Erste Bank) und Staatsgeld für den Ost-Westaustausch (von Morak im übrigen) bringen frischen Wind aus dieser Richtung. Kaum eine Klasse an der Angewandten oder der Akademie, in der kein Schüler aus den osteuropäischen Staaten sitzt, keine Woche, in der nicht eine Ausstellung oder Event mit „Ostkunst“ gezeigt wird. „Angesichts der aktuellen amerikanischen Politik fragen sich derzeit viele, ob wir uns kulturell nicht lieber Richtung Osten orientieren sollen“, so Elisabeth Priedl, „Dort und in deren Nachbarschaft liegen die Reibungsflächen, die in Zukunft unglaubliche Spannung bringen werden.“



erschienen in Kunstzeitung Nr.82/Jun.03,S.31