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Kommentar von Sibylle Birrer

Hartnäckig im Alleingang

Schweizer Kulturfinanzierung im europäischen Kontext - Ein Kommentar von Sibylle Birrer

Schweizer Kulturfinanzierung im europäischen Kontext – oder: Gibt es Ein- und Auswirkungen der Schweizer Kulturfinanzierung auf das Kulturleben in Mittel- und Südosteuropa?
Ein Kommentar von Sibylle Birrer


Die Schweiz ist eine Insel. Je nach Stand- und Blickpunkt abgenabelt oder unabhängig, eigenständig oder isoliert, funktioniert sie im europäischen Kontext nach wie vor in vielen Belangen in ganz eigenem Tempo und eigener Gangart. Auf dem Weg in die „splendid isolation“ sind nicht nur Vielsprachigkeit und Föderalismus, sondern auch Unabhängigkeit aus Tradition und tief greifende Volksrechte die Triebkräfte - mitten in einer sich ausdehnenden europäischen Union.

Auch die Schweiz wurde in den vergangenen Jahren von der frostigen Lage der Weltwirtschaft eingeholt. Trotzdem bewegt sich die heimische Kulturfinanzierung noch immer auf (verhältnisweise) recht gut gesichertem Terrain. Zwar wurden einschneidende, schmerzhafte Einsparungen sowohl von der öffentlichen wie auch der privaten Hand vorgenommen - jedoch immer von einer vergleichsweise gesättigten Situation ausgehend.
Könnten Funktionsmechanismen der Schweizer Kulturfinanzierung in irgendeiner Weise beispielhaft - oder zumindest anregend - für die Bestellung der Finanz-Brachen in den neuen EU-Ländern sein? Oder: Gibt es Ein- und Auswirkungen der Schweizer Kulturfinanzierung auf das Kulturleben in Mittel- und Südosteuropa? Diese Fragen müssten umfassend und differenziert beantwortet werden, hier aber sollen lediglich Tendenzen skizziert und auf den historischen Kontext eines Schweizer Sonderfalls in Sachen privater Kulturfinanzierung hingewiesen werden.

Um den handfesten, präzisen Teil gleich vorwegzunehmen: Im Sinne von kultureller Außenpolitik und Aufbauhilfe wurden ab 1992 Außenstellen der öffentlich-rechtlichen Kulturstiftung Pro Helvetia in Polen, Tschechien, der Slowakei und Ungarn eingerichtet. Mit einer großen Veranstaltungsreihe wurde im vergangenen Sommerhalbjahr 2004 der entstandene Diskurs zwischen Ost und West gefeiert, um seither eine der Stellen nach der anderen zu schließen. Der Grund? Die Aufnahme dieser Länder in die EU delegiere allfällige Verantwortlichkeiten nach Brüssel. Ohne Zweifel: Die Insel spart, selbstgewiss in ihren Abgrenzungsmöglichkeiten.

Und wie steht es um die acht kulturellen Außenstellen, die 1996 in den südosteuropäischen Hauptstädten errichtet wurden? Solange der entwicklungspolitische Impetus im Vordergrund steht, werden sie mit Geldern aus dem Außenministerium, konkret: der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) finanziert. Pro Helvetia betreut die Stellen im Mandatsverhältnis. Die Dauer des Mandats hängt wiederum von den wirtschaftspolitischen Entwicklungen ab. Wer den Sprung in die EU schafft, wird aus der Schweizer Aufmerksamkeit entlassen …
Wohl gibt es auch in der Schweiz einzelne private Stiftungen, die sich, vorausgesetzt, sie verfügen auch nach der Börsenschwäche über ausreichend Kapital, für den Austausch zwischen Ost und West engagieren. Aber eigentliche Kultursponsoring - Engagements in den Ostnationen von Seiten der Wirtschaft sind nicht bekannt, es wird ja schließlich immer noch um den wirtschaftlichen Distanzradius zu Brüssel gerungen.

Umso mehr konzentrieren sich die Mittel für Kultursponsoring auf die Kommunikation innerhalb der Landesgrenzen. Dabei zeigt sich wiederum, dass die Schweiz stets in verlangsamtem Tempo mit den europäischen Entwicklungen Schritt hält bzw. den Trends, im Guten wie im Schlechten, hinterherhinkt: Setzte in der Schweiz erst in den neunziger Jahren, also mit mehrjähriger Verspätung, die gesamte Professionalisierung des Kulturmanagements und der diversifizierten Kulturfinanzierung im Gegensatz zu den Nachbarländern ein, so herrschen im Kultursponsoring aktuell diejenigen Tendenzen vor, die anderswo bereits wieder zurückgelassen werden: Konzentration auf Einzelengagements, auf eigene Events, rundum akzeptierte „Highlights“ der populären Art, ausschließliche Spartenkonzentration - fernab eines ambitionierten und in seinen Ansätzen innovativen Projekts, wie es hier von Vladan Šír mit „tranzit“ beschrieben wird. Erst langsam kühlt zudem die Begeisterung über die plötzlich in Mode gekommenen Museumsgründungen durch Mäzene aus,  zumal deutlich wird, dass meistens die Betriebskosten früher oder später doch zu Lasten der öffentlichen Hand anfallen. Ebenso stiftet die Idee von „Public-Private-Partnership“ vorderhand noch immer Verwirrung. Wohl nicht nur, weil die herausleuchtenden Beispiele im Inland bis jetzt fehlen, sondern auch, weil bei der öffentlichen Hand die Entscheidungsmacht über die Kulturförderung nicht auf der nationalen Ebene liegt, sondern föderalistisch und demnach von Ort zu Ort nach eigenem Muster strukturiert bei den Kantonen und Gemeinden.

So weit, so wenig also, das Ideen stiftend oder zukunftsweisend für Kulturfinanzierungskonzepte nach Osten ausstrahlen könnte. Aber wie steht es denn um das Migros-Kulturprozent, dessen positiver Ruf sich über die Schweizer Insel hinaus ins europäische Umland verbreitet hat?

Tatsächlich, das Migros-Kulturprozent ist eine bewährte, Wert schöpfende und weltweit wohl einzigartige Einrichtung, die sich ausschließlich innerhalb der Landesgrenzen engagiert. Indem die Schweizer Detailhandelsfirma, die zu den 500 größten Unternehmen der Welt gehört, bis zu einem Prozent ihres Umsatzes als Kulturprozent verwaltet und sowohl in firmeneigene soziale und kulturelle Einrichtungen fließen lässt als auch auf Antrag hin an Einzelprojekte verteilt, leistet sie einen wesentlichen Beitrag zur Schweizer Kulturfinanzierung. 2003 zum Beispiel umfasste das Migros-Kulturprozent knapp hundert Millionen Euro. Davon wurden gut zwanzig Prozent für eigentliche Kulturprojekte aus allen Sparten aufgewendet. Mehr als vierzig Prozent wiederum speisten die hauseigenen „Klubschulen“, in denen man sich für alle Lebenslagen,  d. h. mit Häkel-, Informatik- und Sprachkurs usw. - weiterbilden kann. Weitere Prozente flossen zudem in soziale Projekte und Engagements für Sport und Erholung.

Bereits an dieser Aufteilung merkt man: Beim Migros-Kulturprozent handelt es sich nicht im eigentlichen Sinne um Sponsoring. „Klassisches“ Sponsoring als gezielte Firmenkommunikation leistet die Migros zusätzlich, vor allem im Sport- und Freizeitbereich. Das Kulturprozent der Migros hingegen ist ein nachhaltiger Ausdruck von der tief greifenden Ideologie des Unternehmensgründers: Gottlieb Duttweiler (1888-1962) war eine Art „Sozialkapitalist“. Kaufmännisch basierte sein Geschäftskonzept darauf, durch Reduktion des Zwischenhandels dem einfachen Volk die Alltagsprodukte zu einem besseren Preis als die Konkurrenz verkaufen zu können. Mit dem wachsenden Erfolg seiner Idee finanzierte er sein starkes soziales, humanistisch geprägtes Verantwortungsgefühl: 1941 „schenkte“ er dem Volk die Migros, indem er sie in eine Genossenschaft umwandelte, und verankerte zugleich seine ideologischen Grundsätze in den Statuten. Diese Struktur und Leitsätze, historisch gesehen deutlich von den 1940er und 1950er Jahren geprägt, sind heute noch uneingeschränkt gültig. 1944 wurde zur „Volksbildung“ die erste „Klubschule“ gegründet, seit 1957 ist das Kulturprozent in den Genossenschaftsstatuten verankert.

Nun fragt sich: Ist ein solches sozial-ideologisches Konzept in der Gegenwart neu erfind- oder implantierbar? Und dann ausgerechnet noch an den Bruchrändern des sozialistischen Weltbildes?

Von der Schweiz aus sind darauf keine Antworten formulierbar. Handfest ist nur die Erfahrung, dass das historisch begründete Kulturfinanzierungsmodell des Migros-Kulturprozents tatsächlich rundum Erfolg zeitigt. Und zwar nicht nur auf der Kulturvermittlungs- und Kulturproduktionsebene, sondern in der Konsequenz daraus auch in der Firmenkommunikation - immerhin ist der gute Ruf dieses Engagements weit über die Landesgrenzen hinaus gelangt.

Umso mehr wünscht man den ökonomisch Erfolgreichen nebst aller Sponsoring-Kommunikationsstrategie wieder ein Stück Idealismus. Anscheinend kann genau dieses Stück Idealismus als langfristige Investition ausgesprochen erfolgreich sein.




Sibylle Birrer ist Germanistin und Historikerin. Sie leitet die Kulturinstitution „Forum Schlossplatz“ in Aarau (Schweiz) und arbeitet als freischaffende Literaturjournalistin für die „Neue Zürcher Zeitung“ und den Schweizer Radiosender DRS 2. Sie lebt in Bern.

Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,Dezember 2004
Link:REPORT online -