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Kommentar von Antje Mayer

Das unheimliche Wien

Mike Kelley im MUMOK Wien

Das Gefühl des Unheimlichen regt sich, nach Sigmund Freud, in jenen Momenten, in denen hinter der vertrauten „Heimeligkeit“ des Gewöhnlichen plötzlich eine irritierende und angsterfüllende Dimension hervortritt. Das bislang Vertraute wendet sich in das Unheimliche.
Angeblich sei das heimelige Wien eine Stadt, die solche Gefühle des Unheimlichen evoziere, findet jedenfalls der US-Künstler Mike Kelley (geboren 1954 in Detroit). In der österreichischen Metropole würde eine Atmosphäre herrschen, in der die Kontraste und das morbide Lebensgefühl des ausgehenden 19. Jahrhunderts in einer allgegenwärtigen Doppelbödigkeit und Skurrilität weiterleben würden. Von wegen Schmäh und Charme, Weinseeligkeit und alles Walzer. Wien als Gruselkabinett?
Von 17. Juli bis 31. Oktober wird Kelley jedenfalls dort im Museum Moderner Kunst Stiftung ein ebensolches mit dem Titel „Das Unheimliche“ installieren. Dort sorgen dann Objekte von Orten der Stadt „mit dunkler Aura“, etwa pathologische Wachspräparate aus dem „Narrenturm“, für Gänsehaut, gruselig aufgefettet mit altägyptischen Grabbeigaben und Arbeiten aus dem Bestand des MUMOK und Zeitgenossen wie Christo, Paul McCarthy, Judy Fox oder Tony Oursler. Nicht Künstler, sondern vielmehr „Zeremonienmeister der Angst“, also Regisseur und Kurator ist dabei Mike Kelley, der das Konglomerat auf seine berüchtigt eigensinnige wie humorvolle Art und Weise in Beziehung setzt. Eine Arbeit von sich bringt der Maestro auch ein, nämlich seine Sammlung „The Harems“: Die besteht aus Dingen, die er seit seiner Kindheit zusammengetragen hat: Unter anderen Murmeln, Spielkarten, Modefotografien und sogar Spruchbänder von Kirchen.
Nur was ist an solchen harmlosen Sammlergegenständen furchteinflößend? Dass davon sehr viel gezeigt werden! Jemand der schon einmal vor einem amerikanischen Supermarktregal mit zehn mal drei Meter Toastbrot-Angebot gestanden ist, dürfte dies nachempfinden können: Wenn gewohnte standardisierte Objekte ins Maßlose akkumuliert und wiederholt werden, ein Charakteristikum der Welt des Konsums, macht das Angst. Dann mutiert banal Alltägliches zu etwas „Unheimlichen“. Man kennt dieses Prinzip von jeher aus der Natur: Hitchcocks Psycho-Thriller „Die Vögel“ lässt grüßen.
Die Idee zu diesem „Schauer-Projekt“, das Kelley im Rahmen von Sonsbeek93 vor knapp einem Jahrzehnt schon einmal realisiert hatte, geht übrigens tatsächlich auf einen Wienbesuch des Künstlers zurück. Deswegen hat das MUMOK nun auch die Ausstellung ebendort, in ihre „Geburtsstadt“, zurückgeholt und mit Hilfe der Tate Liverpool neu konzipiert. In der Beatles-Stadt war die Show nämlich bis 3. Mai diesen Jahres schon zu sehen gewesen.
Wem die Ausstellung nicht ausreichend erschaudern lässt, kann sich zudem bei Gruselfilmen weiter haarsträubendend vergnügen. In Koproduktion mit dem Filmcasino Wien hat Horror- und Splatterfilm-Experte Mike Kelley höchstpersönlich ein Gruselfilm-Programm kuratiert. Schön viel Angst wünscht Antje Mayer!



erschienen in der Kunstzeitung Nr.95/ Juli 04, S.11
Mumok - Filmcasino Wien -