Aktuell *Ost Über Uns Archiv Impressum English




Kommentar von Antje Mayer

„Lieber Maler, male mir...“

Kunsthalle Wien: Malerei des radikalen Realismus

Kitsch und Realismus lägen nahe beieinander, meint der amerikanische Maler John Currin (Jahrgang 1962): „Die Klischees selbst sind so etwas wie die Form der großen Kunst für Arme. Was ich eigentlich tue, ist auf ein Klischee zu stoßen und versuchen, daran zu glauben, versuchen, dahin zu kommen, dass ich nicht mehr darüber lache." Currins Werke in der Wiener Kunsthallen-Ausstellung "Lieber Maler male mir...“. Radikaler Realismus nach Picabia“ (bis 1. Januar 2003), überwältigen angesichts ihrer realistischen, akademischen, radikal antimodernistischen Form, die sich jeder Vorstellung von „guter Malerei“ widersetzt. Keine Videokunst, kein multimedialer Schnickschnack. Allesamt einfach nur Gemälde, Malerei, tausendfach schon totgeglaubt, die historische Porträtkunst imitiert, die einen lediglich durch kleine Irritationen, zeitgenössische Accessoires oder Karikaturhafte Überzeichnung der Gesichtszüge, daran erinnert, dass es sich hierbei um Zeitgenössisches handelt.

Ähnlich provokant wie Currin gehen mit der Malerei auch die übrigen 18 Künstler um, deren Werke derzeit die Kunsthallen in Zusammenarbeit mit dem Centre Pompidou Paris und der Schirnhalle Frankfurt in Wien präsentiert: Allen voran die manipulierten Kopien bekannter Meisterwerke von Glenn Brown, vier Schlüsselwerke aus Anfang der Sechziger von Sigmar Polke, die heute immer noch herzhaft punkig anmutenden „akademischen“ Genrebilder von Bernhard Buffet oder die klassizistischen Comicschinken von Neo Rauch.

Vermeintlich reaktionäre figurative Porträts, die die Konventionen moderner Kunst auf die Schippe nehmen und neu zu definieren versuchen. Deswegen auch der Titel „Lieber Maler, male mir...“, der sich auf eine gleichnamige Ausstellung von Martin Kippenberger im Jahre 1981 bezieht. Für diese Schau engagierte jener damals einen Plakatmaler, hyperrealistische Sujets zu malen. Kippenberger wollte damit dokumentieren, dass die Rolle des Bilderzeugers inzwischen ausstauschbar sei, genauso wie die Vorlagen, die durch die Massenmedien längst leer und vieldeutig geworden seien.

So sind der Schau auch eine Auswahl von realistisch gemalten Akten des französischen Künstler Francis Picabia (1887-1953) vorangestellt, die dieser Anfang der 40er Jahren nach Vorlagen von Erotikmagazinen wie dem „Paris Sex Appeal“, fertigte. Die Kuratoren, Alison M. Gingeras (Paris), Sabine Folie (Wien) und Blazenka Perica (Frankfurt) sehen ihn als Wegbereiter für eine „neue figurative Malerei“. Was immer der Begriff des „Figurativen“ heutzutage genau umschreiben kann, Picabia jedenfalls wusste, wo dabei die Kunst liegt: „Der Maler wählt etwas aus, dann imitiert er das Ausgewählte und deformiert es schließlich. Im Letzteren liegt die Kunst.“



erschienen in Kunstzeitung Nr.75/Nov.02,S.16