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Kommentar von Mária Hlavajová

„Ein Spektakel brauchen wir nicht“

Mária Hlavajová on tranzit

Der Begriff „tranzit“ impliziert seine eigene Bedeutung bereits: Es geht dabei um den Akt des Hinübergehens, um den Prozess, um die Beförderung, um eine Brückenfunktion.

Als Kathrin Rhomberg und ich vor rund drei Jahren von der Erste Bank in Wien gebeten wurden, Kunstinstitutionen in der Tschechischen Republik und in der Slowakei zu nennen, die aktiv in das internationale zeitgenössische Kunstgeschehen eingebunden sind und als Partner für ihr Sponsoringprogramm in Frage kämen, mussten wir zunächst einmal lange nachdenken. Soweit wir wussten, waren die Kultureinrichtungen jener Länder bezüglich ihrer Programmschwerpunkte immer noch in den ewig gleichen Mustern der Vergangenheit verfangen.

Hinzu kam unsere Überzeugung, dass angesichts der neuen Herausforderungen die zeitgenössische Kunst verlangte, dass die Strategien des Firmensponsorings neu überdacht werden müssen. Wenn wir allen Ernstes in jene Kunstszenen investieren wollten und das langfristige Ziel sein sollte, die Einstellung gegenüber zeitgenössischer Kunst und ihren Institutionen dort positiv zu beeinflussen, brauchten wir kein Spektakel, kein einmaliges, von einem großen Banner überschattetes Ereignis, auf dem stand, wer dafür bezahlt hatte.

Was unserem Gefühl nach nötig war, war ein langfristiges Engagement, das den Kunst- und Kulturschaffenden eine ganze Reihe von Ansätzen bot, sich aktiv einzubringen und Visionen für die Zukunft zu formulieren. Um noch einmal die Metapher von tranzit zu bemühen: Es schien uns angebracht, mit unserem Programm sowohl ein Transportmittel als auch den Pfad anzubieten, mit deren Hilfe eine neue institutionelle Kreativität entwickelt werden konnte.
Tranzit wurde als eine Reihe vielfältiger, dynamischer und flexibler Projekte konzipiert, die darauf ausgerichtet sind, die internationale Isolation zu überwinden, in der sich die Kunstszenen befanden, obwohl seit der politischen Wende bereits über ein Jahrzehnt vergangen war. Die Kluft zwischen den Generationen und den Disziplinen sollte zudem geschlossen werden.

Die Projekte von tranzit sind durchwegs in das lokale Umfeld eingebettet und verfügen über das Potenzial, auch in internationalen Kontexten zu bestehen. Tranzit unterstützt Einzelpersonen (anstelle von Institutionen) und schätzt klein angelegte, prozessorientierte und innovative Projekte. Mit kleineren Stipendien werden zum Beispiel Künstler und Kuratoren gefördert, deren Projekte in Grenzbereichen experimentieren und längerfristig in andere, umfangreichere Arbeiten einfließen können. Zudem werden Partnerschaften mit Künstlern und Veranstaltern eingegangen, die teilweise hervorragende Ideen für Projekte haben, die durch minimale finanzielle Unterstützung realisiert werden können oder schon allein durch den Austausch von Netzwerken und Expertisen.

Basierend auf Analysen im Hinblick auf die jeweiligen lokalen Erfordernisse sind dann die Gesprächsreihen, Präsentationen, Performances, Screenings und Publikationen entwickelt worden, die den Eintritt in den aktuellen künstlerischen und intellektuellen Diskurs ermöglichen sollten.

Der „mentale Austausch“ ist in beide Richtungen organisiert. Wenn beispielsweise Kuratoren, Kunsttheoretiker oder Autoren in Bratislava oder Prag einen Vortrag halten, werden ihre Besuche zeitlich und inhaltlich so organisiert, dass sie sich ernsthaft mit der lokalen Kunstszene auseinander setzen können. Ein Wissensaustausch vor Ort ist immerhin Basis für künftige Kooperationen. Tranzit unterstützt auch, dass Kultur- und Kunstvertreter (etwa Kuratoren der Biennale und anderer größerer Ausstellungen) außer der Reihe lokale Szenen besuchen, um sich mit ihnen vertraut zu machen. Es werden Atelierbesuche und Begegnungen mit Künstlern und Kunstvermittlern arrangiert.

Umgekehrt wird jungen, talentierten Tschechen und Slowaken, die im Bereich der Kunst tätig sind, ermöglicht, im Rahmen eines Volontariats praktische Erfahrungen bei Institutionen im Ausland zu sammeln. Hier trägt tranzit mit seinem Netzwerk und mit finanzieller Unterstützung bei.

Idealerweise möchte tranzit den Aufbau einer ausbalancierten Struktur fördern, die in der Lage ist, der Gegenwartskunst einen Raum zu bieten. Um das zu erreichen, müssen sowohl intellektuelle als auch finanzielle Investitionen in Bereichen getätigt werden, die sich entwicklungsfähig zeigen. Dazu gehören durchaus auch eher fragile künstlerische Ideen und Projekte, die potenziell visionär sind und deswegen besonders in Zeiten der Transformation unterstützt werden sollten.

Dazu fällt mir ein Kommentar von Borut Vogelnik ein, Mitglied des Künstlerkollektivs IRWIN aus Ljubljana in Slowenien. In einem seiner Aufsätze bezieht er sich auf einen allgemeinen, scheinbar von uns allen akzeptierten Konsens. Er meinte, dass das künstlerische Schaffen in der Region, die wir früher „Osteuropa“ genannt haben, hinsichtlich seiner Qualität und seines Inhalts von der Kunst im „Westen“ so gut wie nicht mehr unterscheidbar sei. Dabei, so seine Befürchtung, werde aber übersehen, dass der Kontext, in dem diese Kunst entsteht, und die lokale und regionale institutionelle Infrastruktur zu ihrer Verbreitung mit den Gegebenheiten im „Westen“ schlichtweg nicht vergleichbar seien. „Die Produktion zeitgenössischer Kunst in einem Umfeld“, so Vogelnik, „das nicht nur über keine vergleichbare und ähnlich gereifte Infrastruktur verfügt, sondern der Kunst häufig auch noch feindselig gegenübersteht, ist etwas völlig anderes als die Produktion zeitgenössischer Kunst in Ländern mit einer flächendeckenden und an die internationalen Strömungen angebundenen Galerien- und Museumsstruktur, einem gut organisierten Markt und einer kontinuierlichen kritisch-theoretischen Auseinandersetzung mit gegenwärtiger, historischer und zukünftiger Kunst.“

Damit beschreibt er, finde ich, sehr treffend die komplexe Situation, zu deren Lösung tranzit sich verpflichtet fühlt. Es geht darum, in bescheidenem Maße zur Schließung einer Kluft beizutragen und auf einer langen Reise unzählige kleine, beinahe unsichtbare Schritte zu setzen.



Mária Hlavajová (1971 geboren in Bratislava) ist u.a. Direktorin der BAK, basis voor actuele kunst in Utrecht (Niederlande). Zusammen mit Kathrin Rhomberg zeichnet Mária Hlavajová seit September 2002 als zuständige Leiterin für das Projekt tranzit verantwortlich.

Artikel erschienen in: REPORT. Magazin für Kunst und Zivilgesellschaft in
Zentral- und Osteuropa,Oktober 2004
Link: REPORT online - Link: tranzit -