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Kommentar von Ludwig Müller

Rektoskop 1 - Frühlingserwachen

Frühling wird’s, ich sitze wieder einmal im Museumsquartier. Im Hof, vor der Kunststoffkunst, auf der gerade ein paar aufgekratzte Spätsemestrige ihre Erziehungsmängel ausleben. Vor einem Salat mit Putenbruststreifen, dieser vollkommen überzahlten Kompostgemeinheit. Aber auch ich will ja irgendwann wieder in ein Bad gehen, da muß der Leberkäs eben in der Schwitze warten, bis der Herbst wiederkommt. Und warum ist eigentlich
der Wein so teuer geworden ? Richtig: Weil wir jetzt nicht einfach nur mehr ein Achtel trinken, sondern einen Blaufränkischbarrique vom Kreischhuber oder einen Elisium Characteristicum Selection d’Europe 2004 vom Krautsack in Zurndorf. Je länger einer zum Beschreiben braucht, desto teurer wird’s. Hauswein wäre kürzer. Dasselbe gilt für die
Speiskarte. In der oberösterreichischen Industriestadt Lönz (Name von der Redaktion geändert) bestellte ich vor kurzem in einem neuerrichteten Etablissement mit handgeschriebener Karte ein Carpaccio vom Rinderleichnam mit Spenderleber und Bauchfleisch vom altruistischen Hausschwein im Dialog mit dalmatinischer Gartenjungzwiebel an steirischem Kernöl und Granatapfelmostessig, und mußte feststellen, daß ich zum Lesen länger brauchte als fürs Essen der Essigwurst.

Gleich vorweg: Ich bin kein SCHWERENÖTER, kein Mießmacher, kein Almöhi. Ich habe auch nichts gegen die Leute rings um mich herum, die haben eher bald eines mit mir (Schauen Sie mich gefälligst nicht so an, Herr Matt ! Ich kann mir eben keinen besseren Anzug leisten !) Es ist herrlich, so
alleine in der Menge, unbehelligt, denn ich bin zwar Kabarettist, aber kaum jemand weiß, daß ich total bekannt bin. Nein, es sind auch nicht die paar spirituell verarmten WU-Alumnis und die ewig altgebliebenen Designerkojaks mit ihrem japanischen Manga-Infantilismus, die meine Freude an diesem Flecken Stadt trüben. Vielmehr ist das bunte Treiben hier, die Kunststofflümmler, die fangenspielenden Eltern, die Gaukler mit Krawatte und Miniscooter, ein Probelauf für die Allgemeine Städtische Freie-Plätze-Versauung. Ein freier Platz wird entdeckt wie ein übriggebliebenes Eierschwammerl zur Hauptsammelsaison. Sofort kassiert und auf den Platzstrich geschickt, um Kunden anzuwerben, für diese erbärmlichen Hüttelgastronomen und Schießbudenaufsteller.

Ich sollte da nicht sitzen, im MUQUA, denn ich habe es mir versagt. Seit diesem Winter, als der ganze Platz der Glühweinausschank gewidmet war, Motto: zünftig und modern. Eine Iglu-Hüttenkonstruktion aus aufblasbaren, blauen Ziegeln, gesponsert vom Mobilfunknetz/Zielgruppe:
jung, frech und schwer telekommunikationsabhängig (Kommt jetzt der nächste mit Heizdecken an ?) Der ganze Platz stapfte in einem Sumpf aus Wegwerfmusik, laut und selbstherrlich, und dazwischen schrien sich die
perfekt auf schlecht frisierten ADIDAS-Second-Hand-Blödis gegenseitig Zärtliches ins Ohr, wie immer, als wäre es hier nicht schlimmer als beim GTI-Treff, schlimmer als im Zillertal, schlimmer als allein zu Haus mit einem Glas leichten Weins und einer mittleren Winterdepression.

Als im vergangenen Jahr die Schule für Dichtung im 24-Stunden-Lesezelt neben der Burg ihre Werke vortrug, führten direkt daneben Polizei und ÖAMTC Crashtests durch, am Ring fand der Inlineskate-Marathon statt, und der Rathausplatz war das größte nicht überdachte (überdenkt hier überhaupt wer was ?) Bierzelt Österreichs. Manchen Werken der Schule für Dichtung tat die lärmbedingte pantomimische Vortragsweise durchaus gut. Aber was bitte, Herr Bürgermeister, was soll das ?

Dagegen ist ja das MUQUA ein klösterliches Refugium. Und der
Glühweinbudenzauber war nun einmal im Winter, jetzt ist endlich Frühling. Herr Ober, noch ein Achtel vom Krautsack !



Ludwig Wolfgang Müller, Urheber und Selbstdarsteller, email: lieber@ludwig-mueller.at>
erschienen in "Datum", Juni 04, Ausgabe 1, S.59