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Kommentar von Antje Mayer

steirisc[:her:]bst

Schnitzelduft und Traktorfahrt

Dieses Jahr wird alles anders beim steirischen herbst: Erstens keine Politikerreden bei der Eröffnung am 6. Oktober in Graz. Statt dessen ein Vortrag der österreichischen Schriftstellerin Marlene Streeruwitz. Zweitens ein neuer Intendant bis 2004: der frühere Klangforumchef Peter Oswald. Und drittens endlich wieder ein entkrampftes Programm, das dem, in den letzten Jahren zunehmend an Besuchermangel leidenden Festival gut tun dürfte (bis zum 5. November). Neben den Tanz-, Thea-
ter-, Film-, Literatur-Events wartet Oswald auf dem Kunst-sektor geradezu mit einem Entertainment-Programm auf. Eine Leistungsschau heimischer Kunstschaffender will Oswald heuer nicht mehr. Die sollen wieder mehr mit ihren inter-nationalen Kollegen kooperieren.

RE_Public heißt ein großes Projekt, daß auch schon auf der EXPO 2000 in Hannover zu sehen war. Eines der Trend-Themen der diesjährigen Ars Electronica in Linz, „Veröffentlichung des Privaten“, wird in Graz andersherum verbraten: nämlich die „Privatisierung des Öffentlichen“. Die Idee: Politische Diskussion, Rede und Aktion findet nicht mehr im öffentlichen Raum, sondern zunehmend auf virtueller und medialer, also privatisierter, Ebene wie Fernsehen, Internet und Zeitungen, statt. 12 KünstlerInnen wollen von 8. bis 18. Oktober derweil zumindest den Stadtraum Graz zurückerobern.
Der Österreicher Robert Jelinek geht mit olfaktorischen Waffen auf die Barrikaden: Er kreierte einen Österreichduft, der nach Wiener Schnitzel, Bier und Apfelstrudel riecht. Verfallsdatum des Eau d'Austriche, wie könnte es anders sein, war der 3. Februar 2000, der Tag der schwarz-blauen Regierungsbildung im Ösiland. Das niederländische Atelier van Lieshout hat für den Feldzug ein militärisches Camp entworfen, als ironischer Schutz- und Trutzraum junger Kunst. Wilder Westen spielt die Schweizer Gruppe Mass & Fieber in ihrer "Dead Cowboys Radio Show". Stimmen aus dem Jenseits beschwören mit Vorträgen, Lesungen und ritueller Musik die "guten, alten" Zeiten der Pioniere, Kriege und Eroberungen. Apropos Radio: das Blödel-Duo Stermann & Chrisseman macht leider Ernst. Das in ihrer Radioshow seit langem angekündigte Stermann-Museum wird eröffnet, einziges Exponat: ein Hemd. Wem das zu hochstehend ist, lenke sich ab auf einer Landflucht ins Delirium. Der deutsche Performance-Künstler John Bock lädt dazu ein, mit dem alten Trekker seines Vaters. Weitere Kampfgefährten bei RE_Public in diesem fidelen Herbst: Sarah Tripp (GB), Christine Hill (USA), Rirkrit Tiravanija und Franz Ackermann (USA/THAI/D), Jeremy Deller (GB), Pia Lanzinger (D), Aktionsgemeinschaft "Immer wie der Österreich" (A) und "Showcase Beat Le Mot" (D).

Am 7. Oktober wird RE_Public eröffnet, wie jedes Jahr im Halbstundentakt auch alle anderen Ausstellungen und Projekte des steirischen herbstes: darunter die Schau "Fashion will go out of fashion" über den österreichischen Modedesigner Rudi Gernreich (1922), stilgerecht designed von "Coop Himmelb(l)au", im Grazer Künstlerhaus bis 26. November.

Eigentlich heißt es ja steirisc[:her:]bst. Dazu passend: Ab 28. Oktober im Landesmuseum Joanneum Graz die Video-Austellung kuratiert von Stella Rollig. Gezeigt werden Videos von über 22 Künstlerinnen, darunter Pipilotti Rist, Rosemarie Trockel und Kaucyila Brooke (bis 10. Dezember).



erschienen in Kunstzeitung Nr.50/Okt.00,S.12